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Berlin: Mit Plattdütsch die Berliner Schnauze übertrumpfen

Immer diese schönen Aussichten! In ihrem eigenen Land haben die Schleswig-Holsteiner den weiten Blick über Nord- und Ostseewellen regelrecht gepachtet, und hier in Berlin setzt sich dies Privileg der exquisiten Sehweisen fast zwangsläufig fort.

Immer diese schönen Aussichten! In ihrem eigenen Land haben die Schleswig-Holsteiner den weiten Blick über Nord- und Ostseewellen regelrecht gepachtet, und hier in Berlin setzt sich dies Privileg der exquisiten Sehweisen fast zwangsläufig fort. „Schauen Sie bitte mal, hier . . .“ sagt Werner Schönborn, seit Mitte April Schleswig-Holsteins Bevollmächtigter beim Bund, und bittet uns hinter seinen Schreibtischstuhl. Der Mann sitzt im oberen Stockwerk eines voluminösen Neubaues In den Ministergärten mit dem Gesicht zum Brandenburger Tor, unverstellt geht der Blick über das Wahrzeichen hinaus zum Reichstag. Eine attraktivere Bürolage kann man sich kaum denken, und selbst der Baukörper der künftigen amerikanischen Botschaft wird den Traumblick vom Sessel des Bevollmächtigten nicht beeinträchtigen.

Aber, Blick hin oder her, die Nordlichter sind ja zum Arbeiten in die Ministergärten gekommen. Zusammen mit ihren Kollegen aus Niedersachsen bezogen sie ein ungewöhnlich großes Gebäude mit einer riesenhaften Halle im Zentrum; rechts und links liegen die Büros für je 33 Mitarbeiter. Die Kosten des vor einem Jahr eingeweihten Neubaus betrugen über 55 Millionen Mark plus 25,8 Millionen für den Grunderwerb. Schleswig-Holstein trägt von den Baukosten 25 Millionen und beteiligt sich am Grunderwerb mit 13 Millionen Mark. Zur Finanzierung des neuen Gebäudes hat das Land ein Grundstück im Tiergarten für über 25 Millionen an die Länder Nordrhein-Westfalen, Berlin und an die Vereinigten Arabischen Emirate verkauft.

Auch in der Bonner Kurt-Schumacher-Straße hatten die Abgesandten einen Amtssitz der kurzen Wege zu allen für die Lobby-Arbeit wichtigen Institutionen, aber seit dem Umzug habe eine (in Bonn ganz ungewohnte) Hektik „vor allem im medialen Bereich heftig zugenommen“, sagt Werner Schönborn, der von Hause aus Richter ist, aber schon seit 1988 die Arbeit der Landesvertretung seines Heimat-Bundeslandes durch eigene Mitwirkung kennt.

Nach der Versetzung des bisherigen Bevollmächtigten Klaus Gärtner in den einstweiligen Ruhestand stieg der bisherige Leiter der Landesvertretung zum Bevollmächtigten auf. „Berlin liegt näher an Kiel als an Bonn“, antwortet Werner Schönborn mehrdeutig auf die Frage nach dem Unterschied der Arbeit an den beiden Amtssitzen.

Jede Landesvertretung hat am Eingang ein Regal mit Werbematerial und Informationen zur Regierungsarbeit, zum Kennenlernen der typischen Industrie, zur Kultur und zum gerade hier besonders stark ausgeprägten Urlaubertourismus. Bei den Schleswig-Holsteinern liegt eine interessante historische Spurensuche zum Verhältnis zwischen dem Land, wo die Ost- und Nordseewellen trecken an den Strand, und der Hauptstadt am grünen Strand der Spree.

Da gibt es Beiträge über Theodor Mommsen, Werner von Siemens, von den Dichtern Storm und Fontane bis zu Günter Grass, der bei Lübeck, aber auch in Berlin lebt. „Ich brauche diese Berliner Mischung bis heute – Großstadt einerseits, kleinkariert andererseits. Das Großkotzige und das Kleinmütige sind immer ganz eng beieinander, sehr anstrengend“, sagt der Dichter.

Er findet die Präsenz Schleswig-Holsteins in Berlin richtig , „aber es wird auch eine auftrumpfende sein müssen“, rät der Meister, „das Land muss präsent sein und darf nicht verstummen, wenn die Berliner Schnauze meint, den Ton angeben zu können“. Also, da sei Heide Simonis vor – die Norddeutschen lassen sich in ihrer gläsernen Burg nicht die Butter vom Brot nehmen, sondern versuchen auf ihre Weise, das kulturelle Leben Berlins zu bereichern.

Wie jüngst, als Solisten der Eutiner Festspiele ihren Schlossgarten mit seiner Naturkulisse inmitten der Holsteinischen Schweiz mit dem Garten der Landesvertretung am immerhin historischen Ort der Berliner Ministergärten hinter der Wilhelmstraße getauscht hatten. Wegen eines nahenden Unwetters fand das Musiktheater im Saale statt, aber zum anschließenden Empfang konnten sich die 500 Gäste wieder unter weißen Schirmen im Garten ergehen.

Ende letzten Jahres präsentierte Heide Simonis zur Eröffnung der Ausstellung „100 Jahre Buddenbrooks – der Jahrhundertroman und sein Autor“ den Film-Mann Armin Mueller-Stahl. Und ein zeitgenössischer Nobelpreisträger wird im Herbst zu seinem 75. Geburtstag geehrt: Günter Grass.

„Für Berliner, Holsteiner und zugereiste Bayern“, sagt Werner Schönborn, gibt es Lesungen und Theater unter dem Motto „Plattdütsch in uns Tied“, und auch dies gehört gewissermaßen als gemütlicher Teil zur Lobby-Arbeit hinter den Kulissen. Schönborn bezeichnet diesen ernsteren Teil treffend als sein Berliner Frühwarnsystem für die Landesregierung in Kiel. Für alle Fälle. Lothar Heinke

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