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Berlin: Mitte: Wer nicht arbeitet, sündigt nicht

Blauer Dunst von Selbstgedrehten liegt über dem Bühnenfoyer und vermengt sich mit Chili-Dämpfen aus der Gulaschkanone der "Volxküche". Als Lektüre empfiehlt ein Mann mit zotteligem Bart die Straßenzeitung "mob": In authentischer Atmosphäre, angesiedelt zwischen Sozialamt, Suppenküche und Obdachlosenheim, leistete die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz am Wochenende ihren Beitrag zur Debatte um "das Recht auf Faulheit".

Blauer Dunst von Selbstgedrehten liegt über dem Bühnenfoyer und vermengt sich mit Chili-Dämpfen aus der Gulaschkanone der "Volxküche". Als Lektüre empfiehlt ein Mann mit zotteligem Bart die Straßenzeitung "mob": In authentischer Atmosphäre, angesiedelt zwischen Sozialamt, Suppenküche und Obdachlosenheim, leistete die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz am Wochenende ihren Beitrag zur Debatte um "das Recht auf Faulheit".

Drei Tage lang formulierten Wissenschaftler, "glückliche Arbeitslose" und Künstler alternative Vorschläge zur traditionellen Arbeitsmarkpolitik. Ihre Botschaft: Statt Arbeitsunwillige zur Arbeit zu zwingen, sollte der Staat ihr Nichtstun alimentieren - als Belohnung dafür, dass sie "freiwillig auf die Teilnahme am völlig überlasteten Arbeitsmarkt verzichten", wie es in einer Proklamation heißt.

Der Kabarettist Matthias Beltz hält die Arbeitswut der Deutschen sowieso für einen "protestantischem Wahnsinn" und erinnert an das Schicksal seiner Mutter, die sich für die Rente kaputtgerackert habe, und sie dann nur zwei Jahre lang genießen zu können. Beltz selbst kämpfte in den 70er Jahren in der Bewegung "Revolutionärer Kampf" für die Abschaffung der Arbeit. Die sei schädlich für die Gesellschaft: Wer arbeitet, baue Raketen, wer hingegen schläft, sündigt nicht, so die Losung des Kabarettisten.

Überhaupt steckt in der Nichtarbeit ein ungeheures kreatives Potenzial. Das beweisen seit Jahren die nachmittäglichen Talkshows, in denen Menschen gegen Geld aus den Abgründen ihres alltäglichen Müßiggangs berichten. Konsequent denkt die Volksbühne diese Idee zu Ende und lässt Obdachlose selbst solche Formate produzieren. Wie so etwas aussieht, demonstrierte das Obdachlosentheater "Ratten 07": Gnadenlos werden die Kandidaten in der "Haste-Mal-ne-Mark-Show" zum Mitmachen gezwungen, und in den Pausen werben Punker für den Genuss von "Wodka bei drei Grad".

Von einer Utopie wird man sich jedoch nach diesem Faulenzer-Workshop verabschieden müssen: Auch im Reich des Müßiggangs wird es keine klassenlose Gesellschaft geben. Darauf deuten Tendenzen hin, wie sie an der Volksbühne sichtbar wurden: Während sich die Opfer der New-Economy-Flaute ihren Frust bei "Pink-Slip-Partys" von der Seele reden, lässt Frank Castorf die Ausgestoßenen der "old economy" in seiner "Weber"-Inszenierung nach Mallorca fliegen. Mit Deutschlandflaggenhosen und Chanel-T-Shirts.

Martin Groll

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