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Offenes Haus für alle. Pfarrer Stephan Rauhut und seine Mitstreiter von der Moabiter Reformationskirche leisten Arbeiten in einem schwierigen sozialen Umfeld.

© Paul Zinken

Moabit: Junge Mannschaft fürs alte Kirchenschiff

Lange war die Moabiter Reformationskirche geschlossen. Jetzt gibt es einen Neuanfang.

Morgens um acht donnern Laster durch die Beusselstraße, Busse hupen, weil Autos ihre Spur verstopfen. Passanten eilen zur S-Bahn. Etwas aber ist anders als in der zurückliegenden Zeit: Die Türen der Reformationskirche an der Ecke Wiclefstraße stehen weit offen. Das Kirchenschiff ist so groß, dass der Lärm draußen bleibt. In einer Ecke sitzen, knien und liegen Menschen auf dem Boden. Ein junger Mann spielt Gitarre, die anderen singen, lesen aus der Bibel, beten. Sie feiern Morgenandacht.

Danach steht ein Mann in Kapuzenshirt und Jeans auf und begrüßt den Besucher. Es ist Stephan Rauhut, evangelischer Pfarrer, angestellt bei der Berliner Stadtmission. Er sagt: „Wir wollen, dass hier wieder Gottesdienste stattfinden.“ Er sagt das nicht nur so daher, sondern verfolgt damit einen Plan.

Die Reformationskirche wird schon lange nicht mehr als Gotteshaus genutzt: 2004 fusionierte die Kirchengemeinde mit der benachbarten Pfarrei, ein Brand beschädigte das Gemeindehaus, Feuchtigkeit drang ein, das Dach bekam Löcher. Man entschied, den Standort aufzugeben. Doch jetzt beginnt die Stadtmission dort etwas Neues: 20 junge Leute, Studenten, eine Krankenschwester, Lehrer, Sozialarbeiter haben die Kirche für sechs Monate übernommen. Sie kennen sich vom Studium, aus Kirchengemeinden oder Freundeskreisen. Die meisten sind in die Nachbarschaft gezogen. Mit Optimismus und guter Laune, mit Sozialarbeit, Gottesdiensten und Festen wollen sie Kiez und Kirche neu beleben. Es könnte eine Auferstehung werden. Mit der Lukaskirche in Kreuzberg hat das schon einmal geklappt.

„Refo – Kirche im Kiez“ haben Projektleiter Stephan Rauhut und seine Frau Irene ihre Initiative im Beusselkiez genannt. Die Landeskirche haben sie schon mal überzeugt: „In Stadtmitte, wozu Moabit gehört, schließen wir keine Kirchen, wir öffnen sie“, sagt Bertold Höcker, Superintendent des Kirchenkreises Mitte.

Auch Thomas Horrer gehört zur Wiederbelebungsgruppe. Der Sozialarbeiter macht mit, weil es ihn reizt, seinen Glauben mit anderen Menschen zusammen zu leben und ganz von vorne zu beginnen – ohne eingefahrene Strukturen. „Beim Einkaufen oder im Hausflur entstehen Gespräche mit den Nachbarn“, sagt Horrer. „So können wir Beziehungen knüpfen und andere Menschen auf unser Projekt neugierig machen.“ Schon jetzt würden Menschen in die Kirche kommen und fragen, einfach weil die Kirchentür offen steht. Er habe schnell die Erfahrung gemacht, dass sich die Leute einladen lassen. Etwa zur Andacht, die künftig an jedem Freitag stattfindet.

Dabei ist der Beusselkiez für die Kirche eigentlich ein hartes Pflaster: Die bürgerliche Mittelschicht, die oft den Kern einer Kirchengemeinde ausmacht, fehlt fast völlig. Viele Läden stehen leer, nur Spielhallen boomen. Im „Monitoring Soziale Stadt“ liegt das Viertel auf Platz 392 von 434. 15,3 Prozent der Anwohner sind arbeitslos. Doch es gibt Hoffnung: Vor zwei Jahren lag das Gebiet noch auf Platz 417. Mittlerweile sind junge Familien zugezogen, weil die Mieten niedrig sind. „Ich glaube, dass wir uns hier einbringen können und zusammen mit anderen Glaubensgemeinschaften Netzwerke für einen besseren Stadtteil bauen können“, sagt Sozialarbeiter Horrer. Bei ihm habe einige Zeit lang eine Muslima in der WG gewohnt, es sei spannend gewesen, sich auf ihre Art des Lebens einzulassen. „Wir werden gerade hier im Kiez schnell Möglichkeiten der Zusammenarbeit finden.“

In den nächsten Wochen wollen sie sich bei den anderen Initiativen vorstellen, Rauhuts Bruder Andreas hat sich in den Quartiersrat wählen lassen. Sie würden auch gern etwas gegen die Kinderarmut tun, aber was genau, wissen sie noch nicht. Fest steht: Ein altes Feuerwehrauto wollen sie zum mobilen Jugendtreffpunkt umbauen.

Gerade kommt Hartmann Bökenkamp mit einem Putzeimer durch die Kirchentür. Er will hier mal durchschrubben. In der alten Gemeinde war er viele Jahre im Gemeindekirchenrat, dass „seine“ Reformationskirche als Standort aufgegeben wurde, hat ihn traurig gemacht. Den neuen Aufbruch beobachtet er freudig und skeptisch zugleich. „Es ist schön, dass hier nach so langer Zeit wieder Gottesdienste gefeiert werden“, sagt er, auch wenn ihm der Stil der „Neuen“ fremd sei. Gitarre bei der Morgenandacht? „Nicht so meine Sache“, sagt er. Aber es sei das Wichtigste, dass jetzt hier eine aktive Gemeindearbeit entsteht.

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