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Mode: Das Berliner Abgeordnetenhaus als Laufsteg

Bisher war das Berliner Abgeordnetenhaus nicht für gewagte Outfits bekannt. Das hat sich jetzt geändert. Eine Modekritik.

Die größte Überraschung: Ein Pirat mit Krawatte. Allerdings hat Christopher Lauer das kupferfarbene Ding um sein Handgelenk gewickelt und überlegt, ob er das zu seinem Statement machen soll. Die etwas kleinere Überraschung: Er trägt dazu einen dreiteiligen Anzug.

Wenn es gewollt ist, dass man nicht weiß, was man von den Piraten halten soll, haben sie das durch ihre Kleiderwahl prima hingekriegt: Der schon erwähnte Lauer ist der Voll-Anzug-Vertreter, es gibt den Computernerd mit herausgewachsenem Haarschnitt  und schlabberigem T-Shirt, den als Müllmann verkleideten Karnevalisten. Und wie der 24-jährige Heiko Herberg da als zweijüngster des Parlaments neben dem Alterspräsident auf dem Podium sitzt, sieht er aus wie ein Kandidat von „Deutschland sucht den Superstar“.

Nach seinem Auftritt hätte die Jury zu seinem Outfit aus gestreiftem T-Shirt, Weste mit Buttons und Turnschuhen gesagt: „Uns gefällt voll gut, dass du nicht verkleidet aussiehst. Man sieht dir an, wie jung du bist - krass authentisch."Nur singt Heiko Herberg nicht, als er ans Pult tritt sondern ruft die Namen der Abgeordneten auf. Dann gibt es noch Alexander Spies, 56, der mit kariertem Hemd und Schiebermütze da hockt wie ein gemütlicher Landwirt, der gegen Investoren kämpft. Und Susanne Graf, mit 19 jüngste Abgeordnete, ist die einzige, die hier wie eine Schulsprecherin mit nackten Armen sitzt. Das seltsame Panoptikum der Piraten soll uns sagen: Ihr könnt uns nicht über einen Kamm scheren, ihr müsst aufmerksam bleiben.

Sonst ist alles so, wie gehabt: Dort wo sich die meisten Rechtsanwälte und Kaufleute tummeln – tragen die Männer auch am selbstverständlichsten Anzug. Der zackige Michael Garmer von der CDU sticht mit seinem scharf geschnittenen Anzug, Haifischkragen und akkurater Krawatte unter alle den Abgeordneten hervor, die ihre Sakkos wie Zelte tragen: zu groß, zu lang, zu ausgeleiert. Da mit der FDP diejenigen weg sind, die sich am besten aufs Anzugtragen verstehen, muss jetzt die CDU das Fähnchen hochhalten. Die SPD tut es ganz bestimmt nicht. Die meisten Genossen begnügen sich mit Anzügen in gedeckten Farben, die nach zwei Stunden Sitzung ihre mindere Qualität offenbaren: Hinten sind Sakko und Hosenbeine in viele schöne Knitterfalten gelegt.

Auch in der Kategorie bestangezogene Parlamentarierin geht der Preis an die CDU. Die Diplomatin Hildegard Bentele punktet mit einem mit blauer Spitze belegten hautfarbenen engen Rock zu hohen Pythonpumps mit auf Taille geschnittenem Jackett – im Vergleich zu ihren Kolleginnen sieht sie aus, als hätte sie sich aus einer großen europäischen Metropole in die Provinz verirrt.

Bei den Grünen fehlt sichtbar der Wille, Kleidung als Ausdrucksmittel zu benutzen. Sie sind nur noch ein verblichenes Foto aus Anfangstagen. Das Auftauchen der Piraten rückt die Grünen auch rein optisch da hin, wo sie hingehören, seitdem Joschka Fischer Dreiteiler trägt - ins bürgerliche Mittelfeld. Auch wenn Turgut Altug seine Zugehörigkeit zum linken Flügel der Grünen als Neuling mit schwarzem Kapuzenpullover mit roter Taz-Symbol kundtun muss, sind die Outfits zwischen braunem Cordanzug und bravem Strickkleid gesetzt.

Wenn man man vom Äußeren schließen soll, sind die Linken in desolater Verfassung. Klaus Lederer von den Linken erscheint zur ersten Sitzung in einem curryfarbenen Kapuzenpullover. Vielleicht hat er morgens vorm Kleidungsschrank gedacht: Ist doch eh egal, was ich anhabe. Genau wie Noch-Wirtschaftsenator Harald Wolf, der zum ersten Mal in seiner Amtszeit ohne Krawatte auf der Senatsbank sitzt, als sei er schon auf dem Weg in die Freizeit. Und so mancher Linke-Abgeordnete kombiniert immer noch Hemden in der fröhlichen Farbe von DDR-Hausfassaden mit robusten Wollsakkos.

Der Blaumann des Parlamentariers ist der schlecht sitzende Anzug. Da es für Frauen keine solche Uniform gibt, müssten sie sich noch viel mehr anstrengen, um gut angezogen zu sein. Das kann ja nur eines heißen: Dass sie ihre volle Kraft der Lösung aller Probleme der Stadt zur Verfügung stellen.

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