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Willkommen im Lande Liliput. Beim Zuschneiden und Zusammenkleben der nur sieben Zentimenter langen Alten Nationalgalerie braucht man fast eine Lupe.

© Mike Wolff

Modellbau: Kleb dir deine Stadt

Immer mehr Berliner Wahrzeichen gibt es als Modellbausatz zu kaufen – sogar das künftige Stadtschloss.

Ihre Majestät, Sie sind eine Zumutung! Nur vier Millimeter hoch zu Ross, wie soll man Sie da sauber ausschneiden? Die strichdünnen Pferdebeinchen, der winzige Schweif, und erst Sie selbst, Friedrich Wilhelm IV. von Liliputanien, aus Karton zierlich geformt, im Sattel thronend vor der Alten Nationalgalerie, auch diese preußische Pracht im Miniformat, in einer knappen Stunde ausgeschnitten, gefalzt und zusammengeleimt, frei nach dem Motto: Ich war eine Postkarte.

Vielleicht hätte sie das bleiben sollen. Gewiss, die 15,5 mal 10,5 Zentimeter große Pappe, auf der das nun dreidimensionale Kleinstmuseum in Einzelteile zerlegt aufgedruckt war, gibt sich als Bastelbogen, rückseitig mit knapper Bauanleitung, quasi der Lizenz zum Kleben, aber der eigentliche Zweck bleibt doch der Versand als Postkarte. Zu filigran die Details, zu wenig biegsam die Pappe, kaum sauber zu bearbeiten – als postalischer Gruß aus Berlin aber originell.

Es gibt davon beim Hersteller „BerlinerLuft“ gleich 20 hiesige Bauwerke wie das Brandenburger Tor, den Reichstag, die Häuser der Museumsinsel, teilweise sogar ihre besten Schaustücke wie das Ischtartor, dazu den Palast der Republik, Fernsehturm, Mauer, Wachturm, Checkpoint Charlie, Jüdisches Museum, Neue Nationalgalerie, Gedächtniskirche, Kongresshalle – ein Querschnitt durch Berlins Architekturgeschichte.

Ein langsam gewachsener, auch von anderen Herstellern gepflegter Mikrokosmos, in dessen Ausweitung sich Berlins Nachwende-Aufschwung widerspiegelt. Noch in den Neunzigern musste der Modellbauer nach Berliner Bausätzen lange suchen, waren die Möglichkeiten, die Stadt im Kleinen nachzuformen, weitaus begrenzter als etwa in Paris. Mittlerweile aber ist eine stattliche Kollektion zusammengekommen, kann der fingerfertige Bastler sich durch die Jahrhunderte kleben, ja sogar der eher an Marine oder Nahverkehr als an Architektur Interessierte findet den richtigen Bausatz: Der Marineversorger „Berlin“, die alte S-Bahn samt Bahnsteig und „Sommer- Fahrplan 1938“ – kein Problem.

Schneller als die Bauarbeiter. Berliner Schlossherr kann schon jetzt jeder werden, der mit Schere und Klebstoff geschickt umzugehen weiß.
Schneller als die Bauarbeiter. Berliner Schlossherr kann schon jetzt jeder werden, der mit Schere und Klebstoff geschickt umzugehen weiß.

© Georg Moritz

In der Regel bilden solche Bausätze die bestehende Realität ab, mitunter aber auch die künftige. Beim Reichstag ist das zweimal passiert. Erstmals wurde er 1894 eröffnet, da war der passende Schreiber-Bogen schon auf dem Markt. Und ein Jahr, bevor der Foster-Bau 1999 seiner Bestimmung übergeben wurde, konnte man sein Abbild im Maßstab 1 : 400 zusammenkleben, wiederum als Schreiber-Bausatz. In einem Detail erwies der sich sogar als prophetisch: Auf jedem der vier Ecktürme hatte der Verlag schwarz-rot-goldene Fähnchen vorgesehen, während die Bundestagsverwaltung damals noch betonte, über die Beflaggung sei noch nicht entschieden. Tatsächlich erhielt dann jeder Turm seine Flagge.

Auch aktuell kann der Bastler der Wirklichkeit vorgreifen: Der von Faller angebotene Terminal mit dem Namen „Schönefeld“ ist zwar tatsächlich nur der nach Platzecks Anti-Nachtflug-Vorstoß befürchtete Dorfflugplatz und kein Bastel- BER. Berliner Schlossherr aber kann schon jetzt jeder werden, der mit Schere und Klebstoff umzugehen weiß, und wieder greift der 32-seitige Bausatz dem Planungsstand vor. Der als „schwierig“ bewertete Pappbau im Maßstab 1 : 400 wurde im Auftrag des Fördervereins Berliner Schloss in Auftrag gegeben, wie es heißt, „inklusive der historischen Kuppel, die im Original nur gebaut werden kann, wenn es gelingt, die dafür notwendigen Gelder zu beschaffen“.

In weit geringerem Maße braucht man die auch für ein Modell, aber selbst da gibt es Ausnahmen. Den Palast der Republik kann man sich bei „BerlinerLuft“ gratis herunterladen und auf festerem Papier ausdrucken, Berliner und andere Bauten auf der Website des ehemaligen Grundschullehrers Hans-Dieter Richter. Vor etwa 40 Jahren hatte er erstmals solch einen Bausatz entworfen, eine römische Mietskaserne, Material für den Unterricht, an dem die Schüler neben Architekturgeschichte Fingerfertigkeit lernen, sich mit dem Material auseinandersetzen sollten. Zum Vergleich formte er eine Weddinger Mietskaserne nach, weitere Gebäude folgten, darunter der Reichstag, korrekt mit vier Fahnen. Während sie aber bei Schreiber standartengleich preußischstramm über den Türmen stehen, flattern sie bei Richter lustig im Wind.

BASTELEI MIT FAMILIE

„Autos, Flieger, Schiffsmodelle – Alles rund um den Modellbau“ – so heißt eine Veranstaltung am Wochenende im FEZ Wuhlheide mit Bastel-, Spiel- und Aktionsangeboten für jedes Alter. Unter anderem werden Auto-, Schiffs- und Eisenbahnmodelle vorgeführt, und der Mitteldeutsche Kartonmodellverlag zeigt sein Sortiment, darunter Bauten aus Henningsdorf (Sa 13-19 Uhr, So 10-18 Uhr. 3 Euro, Familien 10 Euro. Infos: www.fez-berlin.de)

BERLINER PAPPEN

Neben den 20 Berliner Wahrzeichen im Postkartenformat gibt es bei „Berliner Luft“ das Brandenburger Tor als Bastelbogen – und Postkarten mit den Berliner Spezialitäten Döner und Curry-Wurst (berlinerluft.org). Die Edition „faltplatte“ begann mit Kartonmodellen von DDR-Plattenbauten und dem Palast der Republik. Auch jetzt dominiert im Sortiment Ost-Berliner Architektur, vom Café Moskau bis zum Haus des Lehrers, doch auch die Schaubühne ist zu haben (www.faltplatte.de). Der Aue-Verlag bietet fünf „SchreiberBogen“ mit Berliner Motiven an: Reichstag, Jüdisches Museum, Berliner Dom, Brandenburger Tor, S-Bahn. Alles aus Berlin laufe überdurchschnittlich gut, heißt es (www.schreiber-bogen.de). Das „Berliner Schloss – Humboldtforum“ des Hamburger Modellbaubogen Verlags (www.kartonmodellbau.de), der ebenso den Marineversorger „Berlin“ im Programm hat, gibt es auch im Humboldtbox-Shop. Das Olympiastadion aus Pappe und andere deutsche Stadien kann man unter werkmeistermodelle.de beziehen, einen zweiten Bausatz unter heiss-verlag.de. Der Ex-Lehrer Hans-Dieter Richter bietet seine MiniWelt gratis zum Herunterladen an, doch nur für unterrichtliche Zwecke unter bastelbogen-online.de. Eher politisch-pädagogisch ist dagegen das Anliegen des Anbieters „xzcute“, der eine aktualisierte, schon wieder überholte Version der Mauer entworfen hat: Bush/Blair statt Gorbatschow/Honecker als Graffiti-Paar (www.xzcute.com).

KUNSTSTOFFWELTEN

Modellbahn-Ausstatter Faller bietet den Fernsehturm in Plastik (www.faller.de), ein Konkurrent Mauer und Wachturm (www.busch-model.com). Spezialbedürfnisse befriedigen Bausätze wie „Germans in Berlin 1945“ mit Hausruine (www.henino.de) oder „Berlin House“ (www.italeri.com: „Ideal fürs Wargames-Ambiente“)



BAUKLÖTZE STAUNEN

Die Spielehersteller Ravensburger und Simba bieten 3-D-Puzzles des Brandenburger Tores an, Jumbo Spiele sogar ein 4-D-Modell Berlins auf drei Zeitebenen. Und auch Lego baut an Berlin mit – mit dem Brandenburger Tor aus 363 Bausteinen (35 Euro).

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