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Auf Hausbesuch. Der ehrenamtliche Energieberater Julian Affeldt (rechts) hat den Haushalt von Alexander Obst nach Klimaschädlingen durchsucht.

© Doris Spiekermann-Klaas

Modellprojekt: Ökologisch leben in Berlin: Klimaschutz fängt beim Kühlschrank an - und hört beim Fliegen auf

100 Berliner Haushalte versuchen in einem Modellprojekt, das Klima zu schonen, ohne auf Lebensqualität zu verzichten. Das funktioniert nur teilweise.

Das 50er-Jahre-Reihenhaus von Familie Obst im Berliner Südwesten ist klein, was gut ist. Aber die Welt ist groß, was sich gerade als Problem erweist. Denn Familie Obst, die Eltern, nehmen zurzeit am Projekt „Klimaneutral leben in Berlin“ teil, bei dem unter Regie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und diverser Partner 100 Berliner Haushalte versuchen, binnen Jahresfrist ihren CO2-Fußabdruck drastisch zu reduzieren, ohne viel Lebensqualität einzubüßen. Mit bisher elf Tonnen CO2 pro Jahr und Person trägt Familie Obst gewissermaßen die deutsche Durchschnittsschuhgröße. „Klimaneutral“ wären eineinhalb Tonnen. Die meisten Haushalte, die sich für das Projekt angemeldet haben, sind schon deutlich besser als der Durchschnitt. „Wir haben den Anspruch, keine Klimasäue zu sein“, sagt Alexander Obst, aber das Austauschjahr des Sohnes „hat uns um 100 Plätze zurückgeworfen“.

Dann klingelt es. An der Tür steht Julian Affeldt, im Hauptberuf Lehrer, aber hier als ehrenamtlicher Energieberater des BUND. Es ist sein zweiter Besuch – zur Auswertung des ersten. „Eineinhalb Stunden ist der durchs Haus gerannt“, hatte Alexander Obst gesagt. Der Berater wirft gleich beim Reinkommen einen missmutigen Blick nach rechts in die offene Küche. Dort steht noch immer der 20 Jahre alte Kühlschrank, den er neulich angeprangert hat. 690 Kilowattstunden Jahresverbrauch! „Der neue ist schon bestellt“, sagt Alexander Obst. „A+++, 130 Kilowattstunden pro Jahr.“ Die Miene des Beraters hellt sich auf, während er am Esstisch seine Unterlagen ausbreitet, innehält und in die zweiflammige Designerleuchte blinzelt: „Oh, neue Lampen?“ – „LED“, sagt der Hausherr, „aus dem Greenpeace-Shop.“ Der Berater sieht jetzt sehr zufrieden aus.

Die Heizung ist oft der größte Einzelposten auf der Klimasündenliste

„Knapp dreieinhalb Tonnen CO2 könnten wir in Ihrem Haushalt noch vermeiden“, resümiert er. „Das ist eine ganze Menge.“ 2,2 Tonnen könnten modernere Geräte bringen, weitere 1,3 Tonnen Verhaltensänderungen wie kurzzeitiges Stoßlüften, kürzeres Duschen und Heizen mit elektronisch geregelten Ventilen.

Die Heizung ist in vielen Haushalten der größte Einzelposten auf der Klimasündenliste – und zumindest für Mieter besonders schwer zu beeinflussen. Bei Familie Obst hakt es eher an der Datenbasis, weil sie gerade erst die alte Ölheizung durch eine Gastherme ersetzt haben. Mit 75 Grad Vorlauftemperatur gemäß Betriebsanleitung, was Affeldt als „viel zu hoch“ brandmarkt. „55 Grad sollten selbst bei strengem Frost reichen.“ Er hat die Heizungsmonteure im Verdacht: Deren Maxime sei oft, dass gewärmte Kunden zufriedene Kunden seien. „Die Heizungsfirma zahlt ja nicht Ihre Energierechnung.“ Und loben mag er das Gerät auch nicht, denn „selbst die neueste Gasheizung zementiert fossilen Energieverbrauch für die nächsten 20 Jahre.“ Sie hätten auch lieber Erdwärme genommen, sagen die Obsts. Aber das durften sie wohl aus Wasserschutzgründen nicht; Solarthermie habe wegen der hohen Kiefern im Garten wenig Sinn, und eine Wärmepumpe wäre dreimal so teuer gewesen.

Ein Teufelskreis

Affeldt, der sich selbst eine solche mit staatlicher Förderung geleistet hat, sagt, dass es hier immerhin keine typischen Mietwohnungsärgernisse wie elektrische Durchlauferhitzer und undichte Fenster gebe. Oft ist er bei Hartz-IV-Empfängern, denen Stromsperren drohen. „Ein Teufelskreis: Diese Haushalte zahlen jedes Jahr viel Geld für Elektrogeräte, die ihnen die Haare vom Kopf fressen, und können sich deshalb keine neuen, sparsamen Geräte leisten.“ Andererseits sei er es, der in vielen Haushalten zum ersten Mal den riesengroßen Fernseher ausschalte oder die gemütliche 100-Watt-Hintergrundbeleuchtung, die hinter einer Blende das Glühlampenverbot der EU überdauert.

Von draußen scheint die Abendsonne in den Wintergarten. Die getigerte Familienkatze, die ebenfalls in den elf Tonnen CO2 steckt und im Unterschied zu ihrem Frauchen nicht klimafreundlich vegetarisch lebt, kratzt zum Abendessen. Die Fenster sind dreifach verglast, was gut ist, aber laut Affeldt immer noch mindestens zehnmal so viel Wärme durchlässt wie gedämmtes Mauerwerk. Affeldt rät, die Vorhänge nachts zuzuziehen. „Haben wir uns vorgenommen“, sagen die Bewohner, die dank seiner Beratung jetzt auch das Sparprogramm ihrer Waschmaschine kennen. Das läuft drei Stunden, womit die Obsts aber leben können. Sie kennen das vom A+++-Geschirrspüler, der das Öko-Programm automatisch wählt. Laut Affeldt gehört der Irrtum, dass kurze Programme zugleich die sparsamen seien, zu den am weitesten verbreiteten.

„Beim Reisen hört der Spaß auf.“

Bei den Obsts ist das mit der Elektrizität ohnehin halb so dramatisch: Ihr Ökostrom wird mit 40 Gramm CO2 pro Kilowattstunde angesetzt, während konventioneller ein halbes Kilo verursacht. Ihr größtes Problem, das wissen sie, sind die Wohnorte der Kinder: Die Tochter lebt bei Toulouse, und der Sohn verbringt ein Jahr in Neuseeland, wo sie ihn natürlich besucht haben. Macht fast 13 Tonnen CO2 pro Nase für den Flug, auf den die Obsts deshalb nicht verzichten wollten. „Das ist typisch“, sagt Affeldt. „Beim Reisen hört der Spaß auf.“ Immerhin haben die Obsts den Klimaeffekt bei Atmosfair kompensiert. Und neulich waren sie sogar mit der Bahn in der Schweiz. Ganz bewusst. Zu viert. Sehr teuer und langwierig sei das gewesen. Aber für einen guten Zweck.

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