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Berlin: Modemacher in der Zwangsjacke

Von Ulrike Heitmüller Treptow-Köpenick. „Wenn nur die Hälfte davon wahr ist, dann ist es toll!

Von Ulrike Heitmüller

Treptow-Köpenick. „Wenn nur die Hälfte davon wahr ist, dann ist es toll!“ Eigentlich hatten sie der Berliner Modeszene den entscheidenden Aufschwung geben sollen: Die Kiefholz-Ateliers in Treptow. Ein Hamburger Unternehmer hatte die ehemalige Maschinenfabrik am Landwehrkanal gekauft und mit Hilfe von Bund und Land saniert. Hier sollten junge Modedesigner für fünf oder sechs Euro pro Quadratmeter großzügige und helle Lofts mieten, ihre Kollektionen auf Modenschauen zeigen und in einem „Designer-Kaufhaus“ in der Oranienburger Straße verkaufen können. Ein großartiges Projekt, und die Modejournale titelten „Trends aus Treptow – Berlin wird wieder Modemetropole“ und „Berlins Top-Adresse für kreative Köpfe“. Doch heute sind nicht einmal ein Dutzend Modeunternehmen vor Ort. Die eigentliche Zielgruppe der Existenzgründer wurde nicht erreicht, und sie fanden auch nur wenig Unterstützung: Das Designer-Kaufhaus gibt es immer noch nicht, Pressearbeit findet nicht statt, und die letzte Modenschau ist fast vergessen.

Dabei ist das Gebäude wunderschön: „Der Himmel ist angeschlossen“, schwärmt Cora Schwind, geschäftsführende Gesellschafterin von Coration menswear: Es ist bloß neun Meter schmal, an beiden Seiten sind große Fenster, und vom dritten Stock aus kann sie den Alex und den Görlitzer Park sehen, hohe Bäume und den Himmel. Drinnen sind die ehemaligen Fabrikhallen mit hohen Decken jetzt ausgestattet mit Parkettboden, Teeküchen und sanitären Anlagen. „Dies war eine ganz alte abgewrackte DDR-Fabrik“, erzählt Cora Schwind von ihren Anfängen Mitte der 90er, „wir hatten noch Kohleöfen mit alten Loren, morgens um acht war es heiß und um 15 Uhr musste man nach Hause gehen, weil es dann kalt wurde“. Aus der Kohleofen-Zeit stammt der riesige Schornstein im Hof. Ende der 90er wurde die alte Fabrik, bis dato nur zur Hälfte nutzbar, saniert. Es entstanden rund 6000 Quadratmeter für Ateliers und eine 400 Quadratmeter große Halle für Veranstaltungen. Die Gesamtinvestitionen beliefen sich auf neun Millionen Euro, Bund und Land gaben einen Zuschuss von 4,5 Millionen Euro.

Der neue Besitzer des Kiefholz-Areals, die J&O (Jorzick und Olofson) Immobilien GmbH, beauftragte eine Maklergesellschaft aus Berlin-Grunewald mit der Akquise von Mietern. Die verschickte ein Kurzkonzept an potenzielle Mieter aus der Modebranche. In diesem Brief vom Februar 1999 wurde viel in Aussicht gestellt: Ein Informationspool für Designer, Modenschauen vor Ort, Unterstützung bei der Teilnahme an internationalen Messen, Pressearbeit und, wichtig vor allem für die jungen Designer, ein Kaufhaus der Mode in der Oranienburger Straße, wo sie ihre Mode verkaufen sollten. „Wir haben den Brief gelesen und dachten, wenn nur die Hälfte davon wahr ist, dann ist es toll“, sagt ein Mieter.

Es fing auch gut an: Zur Eröffnung der Kiefholz-Ateliers im September 2000 kam sogar der damalige Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner. Der Vermieter beauftragte einen Eventmanager, der noch im selben Jahr Internationale Modedesigntage (IMODTA) und dann die Grundsteinlegung für das Kaufhaus der Mode organisierte. Doch die Termine waren schlecht gewählt. Cora Schwind: „Es gibt nicht viele Termine für Modemessen, aber die IMODTA fand während der Stoffmesse in Paris statt, und die Grundsteinlegung während der Interjeans in Köln.“ Die Folge: Viele Mieter aus den Kiefholz-Ateliers, aber auch Modeinteressierte und Modejournalisten konnten zu den Treptower Events nicht kommen. Manchen Mietern war die Beteiligung schlicht zu teuer: Zum Beispiel Esther Melhorn und Luis Gunsch (“Lucid 21“) nahmen an der IMODTA nicht teil – 1500 Euro hätte es gekostet – welcher Existenzgründer könne eine Summe schon aufbringen? Der Vermieter sieht dies anders: Gescheitert sei das Ganze „am mangelnden Interesse und der mangelnden Bereitschaft der Mieter, sich kapitalmäßig zu beteiligen“. Zum Beispiel habe J&O für die IMODTA 125 000 Euro aufgewendet und auch ein Internet-Portal bezahlt, in dem die Mieter für eine einmalige Zahlung von 250 Euro ihre eigene Homepage hätten hineinstellen können. „Aber das wollten die nicht“, schimpft Christoph Kleiner von J&O. So hielt der Elan nicht lange an, die IMODTA fanden nicht regelmäßig, sondern nur einmal statt, und auch mit der Pressearbeit sah es bald mau aus, sagt ein Mieter. Die allgemeine wirtschaftliche Lage tat ein Übriges: Einige Mieter mussten schließlich Insolvenz anmelden, der Vermieter beklagt hohe Mietaußenstände, und etwa ein Fünftel der Fläche steht wieder leer.

Christoph Kleiner sagt, dass Mitte Juni Baubeginn für das Kay-Degenhard-Haus, das Kaufhaus der Mode in der Oranienburger Straße, war. In einem Jahr sei mit der Fertigstellung zu rechnen. Mit zwei Jahren Verspätung. Den Mietern übrigens wurde vom Baubeginn nichts mitgeteilt. „Mein neuester Stand ist ein Exposé vom 13. März vergangenen Jahres“, sagt einer. Und hofft, dass die Mieter bei der Vergabe der Verkaufsflächen überhaupt berücksichtigt werden. Luis Gunsch hat inzwischen die Geduld verloren: Seine Lucid 21-T-Shirts mit aufgedruckten Rehlein will er ab heute in der Mariannenstraße 50 in Kreuzberg an den Mann und an die Frau bringen – im eigenen Geschäft.

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