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Bürgerintitative für den Weiterbetrieb des Berliner Flughafens Tegel.

© imago/Klaus Martin Höfer

Monatelange Bearbeitungszeiten: Berliner Senat verzögert Volksbegehren

Viele Volksbegehren leiden darunter, dass Kostenschätzung und Rechtsprüfung oft Monate dauern. Gesetzlich festgelegte Fristen gibt es bisher nicht.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der Senat lässt sich Zeit, wenn es darum geht, für Volksbegehren eine Kostenschätzung abzugeben und den Abstimmungstext rechtlich zu prüfen. Ein extremes Beispiel ist die Initiative für ein werbefreies Berlin. Im August 2017 wurden über 32.000 gültige Unterschriften für das Volksbegehren anerkannt, doch erst im Januar 2018 legte die Senatsverwaltung für Inneres die amtliche Kostenschätzung vor. Die juristische Zulässigkeitsprüfung ist in der Behörde noch immer in Arbeit. Länger als eineinhalb Jahre liegt das Volksbegehren auf Eis.

Im Grundsatz ist sich Rot-Rot-Grün einig, dass in das Berliner Abstimmungsgesetz endlich gesetzliche Fristen für die behördlichen Prüfungen eingebaut werden. Aber noch streitet die Koalition über eine Reform, die Ansichten gehen nicht nur in der Frage auseinander, wie schnell die Verwaltung künftig prüfen muss. Über ein innenpolitisches Gesetzespaket wird nach den Osterferien weiter gepokert.

Bisher mussten die meisten Volksbegehrens-Initiativen viel Geduld zeigen, weil bindende Fristen für Kostenschätzung und Zulässigkeitsprüfung fehlen. Das Volksbegehren für mehr Videoüberwachung, das im Juli 2017 startete, musste beispielsweise neun Wochen auf die Kostenschätzung warten, anschließend prüfte der Senat bis Oktober vergangenen Jahres die Zulässigkeit.

Der Bescheid war negativ, seitdem liegt der Gesetzentwurf der Initiative beim Landesverfassungsgericht. Ein Termin für die Entscheidung steht bisher nicht fest.

Ähnlich erging es dem Volksbegehren für mehr Pflegepersonal in Krankenhäusern, das im Oktober 2017 mit der Sammlung von Unterschriften begann. Zweieinhalb Monate wurden die Kosten geschätzt, die Zulässigkeitsprüfung dauert noch an.

Innenverwaltung bittet um Verständnis für monatelange Bearbeitungszeiten

Auf Anfrage des Linken-Abgeordneten Michael Efler erarbeitete die Innenverwaltung jetzt eine Statistik der letzten fünf Jahre, die dem Tagesspiegel vorliegt. Demnach dauerte die amtliche Kostenschätzung durchschnittlich 9,5 Wochen. „Trotz der vordringlichen Bearbeitung bleibt es im Einzelfall nicht aus“, antwortete die Behörde, „dass aufgrund hoher Komplexität oder inhaltlicher Unschärfen und fehlender statistischer Daten oder Erfahrungswerte eine längere Bearbeitungszeit in Kauf genommen werden muss“.

Schließlich sei die Verwaltung vor allem bei Volksbegehren mit hohen finanziellen Auswirkungen verpflichtet, eine „ausreichend belastbare Schätzung aufzubereiten“. Bei der Initiative zur Offenhaltung des Airports Tegel dauerte dies beispielsweise 15 Wochen.

Bei der Initiative zur Offenhaltung des Airports Tegel dauerte die Kostenschätzung 15 Wochen.
Bei der Initiative zur Offenhaltung des Airports Tegel dauerte die Kostenschätzung 15 Wochen.

© Paul Zinken/dpa

Die behördliche Zulässigkeitsprüfung verlangt den Initiativen für ein Volksbegehren noch mehr Geduld und Nervenstärke ab. Bei den sieben erfolgreichen Unterschriftensammlungen, die seit 2016 gestartet wurden, betrug die durchschnittliche Prüfungsdauer fast 32 Wochen. Also sieben Monate.

Die Senatsinnenverwaltung wirbt um Verständnis. „Insbesondere, wenn komplexe Regelungsvorhaben Gegenstand eines Volksbegehrens sind, kann die Prüfung mehrere Monate dauern.“ Auch sei es schon vorgekommen, dass die Initiative die Aussetzung der Prüfung beantragt habe, „weil sie mit dem Senat in Verhandlungen stand“.

Für die Volksbegehren „Berlin werbefrei“ und „Gesunde Krankenhäuser stellte die Innenverwaltung jetzt in Aussicht, dass die Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit spätestens Ende Juni beendet werden. Beide Initiativen haben bisher darauf verzichtet, sich gegen die langen Fristen zu wehren. Beim Fahrrad-Volksbegehren war das anders.

Fahrrad-Initiative hatte den Senat 2016 wegen Untätigkeit verklagt

Im Dezember 2016 verklagten die Organisatoren der Abstimmung den Senat wegen Untätigkeit und warfen Rot-Rot-Grün vor, die Zulässigkeitsprüfung in die Länge zu ziehen, um einen Volksentscheid für ein Fahrrad-Gesetz am Tag der Bundestagswahl im September 2017 zu verhindern. Es gehe auch anders, hieß es in der Klageschrift. So sei die Zulässigkeit der Volksbegehren für die Rekommunalisierung des Stromnetzes und die Freihaltung des Tempelhofer Feldes, die 2012 mit Unterschriftensammlungen begonnen hatten, innerhalb von einem bzw. zwei Monaten geprüft worden.

Allerdings zogen die Radler-Aktivisten ihre Klage zurück, weil sich der rot-rot-grüne Senat bereit erklärte, ein Mobilitätsgesetz im Sinne des Volksbegehrens zu erarbeiten.

Welche Fristen bei der Kostenschätzung und der Rechtsprüfung juristisch verbindlich einzuhalten sind – oder ob dies weiterhin im Belieben des Senats steht, bleibt vorerst strittig. Die bisherigen Erfahrungen zeigten, so der Abgeordnete Efler, „wie wichtig die Festlegung von Fristen ist“.

Protest gegen steigende Mieten: Lange Wartezeiten könnten auch das Enteignungs-Volksbegehren treffen.
Protest gegen steigende Mieten: Lange Wartezeiten könnten auch das Enteignungs-Volksbegehren treffen.

© Maurizio Gambarini/dpa

Linke und Grüne fordern einen Monat bei der Schätzung der Kosten und für zwei Monate bei der Zulässigkeitsprüfung. Die langen Bearbeitungszeiten in Berlin, so die Grünen-Abgeordnete Susanna Kahlefeld, „sind doch immer ein probates Mittel, um ein Volksbegehren auszuhungern“. Dies könnte auch das Volksbegehren "Deutsche Wohnen & Co enteignen" treffen, wenn die Unterschriftensammlung beendet ist. Die Kostenschätzung dauerte immerhin 14 Wochen, die rechtliche Prüfung steht noch bevor.

Koalitionsintern wird die Reform des Abstimmungsgesetzes noch verhandelt. Die SPD-Fraktion kommt mit ihrem Vorschlag eher dem Innensenator und Parteifreund Andreas Geisel (SPD) entgegen: Drei Monate für die Kostenschätzung und sieben Monate für die Zulässigkeitsprüfung. Es werden wohl keine einfachen Koalitionsgespräche, zumal die Gesetzesnovelle insgesamt noch strittig ist. Ob ein Treffen der Fraktionschefs von SPD, Linken und Grünen nach den Ferien schnelle Klärung bringt, ist ungewiss. Koalitionsintern wird die Reform des Abstimmungsgesetzes noch verhandelt, und die SPD kommt mit ihrem Vorschlag eher dem Innensenator und Parteifreund Andreas Geisel (SPD) entgegen: drei Monate für die Kostenschätzung und sieben Monate für die Zulässigkeitsprüfung.

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