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Berlin: Mordfall Marina: Freispruch für den Angeklagten - Die Indizien kippten

Er verlässt das Gericht als freier, "als glücklicher Mann". Und doch, sagt Christian J.

Er verlässt das Gericht als freier, "als glücklicher Mann". Und doch, sagt Christian J. auf dem Gerichtsflur, könne das Urteil die vergangenen Monate nicht ungeschehen machen. "Als ewiger Albtraum" werde ihn die Anklage begleiten. Der Makel, als mutmaßlicher Mörder der kleinen Marina Ermer vor Gericht gestanden zu haben, bleibe an ihm haften - bis "der wahre Mörder" gefunden ist. Doch heute, für einen Abend, will er diese Aussicht vergessen. "Ich werde feiern, feiern, feiern! Mit meiner Familie und meinen Freunden!", jubelt Christian J.

Der 39-Jährige hört es nicht, doch fast im selben Augenblick bestätigt der Staatsanwalt nur wenige Meter weiter die Befürchtungen des Freigesprochenen. "Ich rücke nicht von meiner Überzeugung ab", verkündet Michael von Hagen. Nach der Lage der Indizien sei für das Gericht ein Freispruch zwar zwingend gewesen, aber: Er persönlich halte Herrn J. nach wie vor für den Täter. Von Hagen glaubt, dass der Lagerarbeiter im Juli 1993 die neunjährige Marina auf dem Dachboden seines Hauses in Adlershof getötet hat. Das Mädchen war an diesem Tag nicht vom Spielplatz zurück gekehrt. Erst ein Jahr später fand ein Nachbar die skelettierte Leiche, eingewickelt in ein Bettlaken, auf dem Dachboden des fast leerstehenden Miethauses. Doch der Ankläger konnte seine Theorie nur auf Anhaltspunkte stützen; seine Indizienkette schloss sich nie lückenlos. Nachdem von Hagen deshalb in der vergangenen Woche selbst auf Freispruch plädierte hatte, verkündete der Vorsitzende Richter am Donnerstag erwartungsgemäß: "Wir wissen nicht, wer der Täter ist." Das stärkste Indiz sei im Laufe des Prozesses ins Wanken geraten, sagte Hans Luther. "Und damit kippen auch die anderen."

Das stärkste Indiz war ein Bettlaken. Fünf Jahre lang galt der Mord an Marina als ungeklärt, dann nahm ein Kripo-Beamter die Akte routinemäßig zur Hand - und stieß auf einen kleinen, verblichenen Waschzettel. Er stammte aus einer Adlershofer Wäscherei und haftete an dem Bettbezug, unter dem Marinas Leiche lag. Nun fanden die Ermittler heraus: Es gehörte der damaligen Freundin des 39-Jährigen. Das Stück Stoff schaffte die fehlende Verbindung zwischen dem toten Mädchen und dem ehemaligen Mieter. Einziger Makel: "Die Fehlerquote bei der Ausgabe der Wäsche ist in der Reinigung zu hoch", sagt Luther. Es sei deshalb nicht auszuschließen, dass das Laken der Freundin an einen Fremden ausgeliefert wurde.

Christian J. hatte bis zuletzt seine Unschuld beteuert. "Ich bin nicht der Täter. Ich könnte niemals Menschen weh tun, geschweige denn töten." Er komme aus einer glücklichen, katholischen Familie und führe seit fünf Jahren eine "Bilderbuchehe". Anfang der 90er Jahre habe er ebenfalls eine feste, wenn auch manchmal schwierige Beziehung geführt. Weil sich seine damalige Freundin zuweilen verweigert habe, sei er manchmal mit einem Pornoheft auf den Dachboden geschlichen, um zu onanieren. Die beschmutzten Taschentücher, die Christian J. in eine Ecke geworfen hatte, fand die Polizei, als sie das Haus in der Dörpfeldstraße untersuchte. Ausreichend Tatverdacht für eine Festnahme lieferten sie nicht.

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