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Berlin: Mordversuch bei Mai-Krawall: Polizei verfolgt neue Spuren

Zwei Jahre nach der Tat lässt die Staatsanwaltschaft wieder Zeugen befragen Nach Freispruch für Yunus K. und Rigo B. nun offenbar andere unter Verdacht

Wenige Tage vor dem 1. Mai werden nun Ermittlungen nach den Ausschreitungen des Jahres 2009 neu aufgerollt. Damals waren zwei Schüler wegen Verdachts des versuchten Mordes festgenommen worden. Sie sollen in Kreuzberg einen Molotowcocktail nach Polizisten geworfen haben. Eine Frau war dabei am 1. Mai 2009 durch auslaufende Brennflüssigkeit verletzt worden. Der heute 21-jährige Yunus K. und der 18-jährige Rigo B. saßen sieben Monate in Untersuchungshaft. In einem aufsehenerregenden Verfahren wurden sie 2010 freigesprochen.

Nach Tagesspiegel-Information befragen Ermittler der Mordkommission in diesen Tagen intensiv mögliche Zeugen von 2009. Darunter auch Personen, die bisher nicht vernommen worden sind. Die Ermittler versuchen offenbar mit einstigen Teilnehmern der linksradikalen Mai-Demonstration zu sprechen, die am 1. Mai rund um das Kottbusser Tor gezogen ist. Dem damaligen Ankläger, Oberstaatsanwalt Ralph Knispel zufolge soll dort gegen 21.45 Uhr Yunus K. einen selbst gebauten Brandsatz entzündet haben, den Rigo B. geworfen habe.

Die Staatsanwaltschaft teilte am Mittwoch mit, dass man wegen möglicher „Gefährdung des Untersuchungszweckes“ keine Auskünfte erteile. „Die Ermittlungsansätze sind zu frisch“, sagte Sprecher Holger Freund. Allerdings hatten die Behörden schon zu Prozessbeginn 2009 Hinweise auf mögliche andere Tatverdächtige bekommen: Die Anwältin von Rigo B., Ulrike Zecher, hatte ein privates Foto eines Studenten von jenem Abend vorgelegt und auf offenbar ignorierte Zeugenaussagen aufmerksam gemacht, die dem Tagesspiegel bekannt sind. Demnach hätte ein anderer Jugendlicher aus einer Vierergruppe den Brandsatz geworfen, einer der Männer trug wie Rigo B. ein weißes T-Shirt und ein Basecap. Zwei der vier konnten anhand des Fotos identifiziert werden: Das Gesicht des einen war einem Ermittler wegen eines anderen Falls im Gedächtnis geblieben. Bei anschließenden Hausdurchsuchungen entdeckten Beamte sogar Kanister in den Wohnungen der beiden, ohne die Funde jedoch zu beschlagnahmen – eine Polizistin sagte vor Gericht, sie habe „auf Anweisung“ nur fotografiert.

Die Ermittlungen gegen sogenannte Alternativtäter, bei denen es sich dem Vernehmen nach um die Männer aus der Vierergruppe handeln soll, werden nicht von Knispel geführt: Der Oberstaatsanwalt wechselte die Abteilung und ist seit Februar dieses Jahres nicht mehr für Kapitalverbrechen, sondern für Staatsschutzdelikte zuständig. Deren bisheriger Chefankläger, Michael von Hagen, hat Knispels Posten übernommen und leitet die Untersuchungen wegen des Brandsatzes von 2009. Yunus K. und Rigo B. hatten stets ihre Unschuld beteuert, bei ihrer Festnahme noch am Abend des 1. Mai 2009 hätten sie nicht nach Benzin gerochen, sagte ein Beamter vor Gericht.

„Die Anklage hatte sich auf meinen Mandanten und Yunus K. eingeschossen“, sagte Anwältin Zecher. „Es gab öffentlichen Druck, jemanden zu verurteilen, ohne Gesichtsverlust hätte man nicht von den beiden abrücken können.“ Tatsächlich sprachen in Politik- und Justizkreisen viele von einem „gesteigerten Verurteilungswillen“ nach den traditionellen Mai-Ausschreitungen. Beobachter hatten Ermittlungen und Justiz scharf kritisiert. „Es gibt Anzeichen dafür, dass hier an zwei jungen Unschuldigen versucht wurde, ein Exempel zu statuieren“, hieß es etwa von den Grünen. Auch in anderen Parteien und an Schulen erklärte man sich mit K. und B. solidarisch. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte Randalierer 2009 mit Vergewaltigern verglichen und sich später entschuldigt. Wenige Monate danach bezeichnete er militante Linksradikale als „rot lackierte Faschisten“. Eine Sprecherin des Senators sagte am Mittwoch, Körting habe sich nie zu dem konkreten Prozess geäußert, sondern generell Gewalt verurteilt.

Vergangenen Sommer verzichtete die Staatsanwaltschaft wegen geringer Erfolgsaussichten auf eine Revision gegen die Freisprüche von K. und B., die seitdem rechtskräftig sind. Yunus K., der schon 2007 bei Mai-Krawallen eine Flasche geworfen hatte, ist allerdings vor rund einem Jahr noch mal polizeilich aufgefallen: Er soll ins Kreuzberger Technikmuseum eingebrochen sein.

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