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Berlin: Morgens Baustelle, abends Oase

Idyllisch wird es am Engelbecken immer nachmittags. Wenn die Bagger verstummen, die Gäste ins Café strömen und die Graureiher wieder landen

Die Idylle ist gestört. Dort, wo sonst Blesshühner und Graureiher ihre Bahnen ziehen, rumpelt ein mit Steinen beladener Bagger durch das hüfthohe Wasser. Er kippt seine Ladung direkt vor die frühstückenden Gäste des Ufercafés. Ausgerechnet jetzt, in der lukrativen Sommersaison. Cheena Riefstahl, einer der Pächter des „Cafés am Engelbecken“, ist ein wenig genervt. Immerhin: Noch diese Woche, das hat das Bezirksamt Mitte versprochen, soll der Bautross endlich ans andere Ufer weiterziehen.

Dabei hat Riefstahl hier schon ganz andere Schwierigkeiten gemeistert. Als er und seine Partner vor zwei Jahren hierher kamen, sprach eigentlich alles gegen den Bau eines Cafés. Das Engelbecken zwischen Mitte und Kreuzberg war ein trostloser Ort, selbst 15 Jahre nach dem Fall der Mauer sah es hier immer noch ein bisschen nach Zonenrandgebiet aus. Es fehlte an allem – weder stand hier ein Gebäude, noch gab es Strom, es gab keinen Gasanschluss, nicht mal Abwasserrohre waren verlegt.

Doch davon ließ sich Riefstahl nicht abschrecken. Er glaubte an das Potenzial des Ortes – an eine Oase mit großer Uferterrasse, einen Platz zum Entspannen in bester Südlage. Geduldig überwand er alle Hürden, durchlief das sechswöchige Genehmigungsverfahren, lieferte seinen Bauantrag in siebenfacher Ausfertigung beim Bezirksamt ab, bezahlte die 30 000 Euro für den Stromanschluss bei der Bewag und führte hunderte von Telefonaten. Selbst die strengen Umweltauflagen nahm er in Kauf: Die Verwendung von Einweggeschirr, Bierdeckeln und Servietten wurde ihm behördlich untersagt – sie könnten vom Wind ins Engelbecken geweht werden, so die amtliche Begründung. Im Februar 2005 war es dann endlich geschafft. Die Mannschaft um Riefstahl hatte ein attraktives, in Modulbauweise errichtetes Café mit großer Fensterfront und ausladender Holz-Terrasse buchstäblich aus dem Boden gestampft. Ein Ort der Entspannung und Ruhe sollte es werden – bloß keine Erlebnisgastronomie.

Doch der Traum von der Innenstadt-Oase währte nicht lange. Als im November die Bagger des Bezirksamtes anrückten, drohte das Gebiet um den Miniatursee im Baulärm zu versinken. Und Riefstahls Entspannungskonzept gleich mit. Eine unangenehme Überraschung. Jahrelang hatte es geheißen, dass für die Neugestaltung des Engelbeckens kein Geld übrig sei. Doch mit einem Mal stand die Finanzierung des 816 000 Euro teuren Bauabschnitts, und für die Pächter bedeutete das gleich doppeltes Pech: Zum Baulärm kam bald auch noch der Verlust eines Teils des Außenbereichs dazu. Das Schmuckstück des Cafés ist um rund ein Fünftel geschrumpft, seitdem die Bagger dort zu Gange sind. Wie hoch der dadurch entstandene finanzielle Verlust ist, kann Riefstahl nicht beziffern. Eine Entschädigung steht ihm ohnehin nicht zu.

Riefstahl zündet sich eine weitere Zigarette an und blickt gelassen zur Baustelle rüber. Ein Vorarbeiter bellt ein paar unverständliche Befehle. Vielleicht bleibt er so gelassen, weil schon jetzt jeden Tag ab Nachmittag alles so ist wie er sich das immer vorgestellt hat: Wenn die Bauarbeiter Feierabend haben, die Maschinen schweigen und sich langsam die Tische füllen. Dann kehrt auch das Blesshuhn zu seinem Nest zurück und die Graureiher ziehen wieder ihre Bahnen. Und wenn man ganz genau hinsieht, kann man sogar zwei Schildkröten im Wasser entdecken. Wo die herkommen? Riefstahl weiß es auch nicht. Aber es sieht schön aus, und das zählt nach dem täglichen Baustress.

Konstantin Vogas

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