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Berlin: Mosaik-Künstlerin: Puzzeln für die Ewigkeit

Die Sterne über den Posaunenengeln werfen kleine Schatten. Es sind kleine Plättchen aus Glas, die am Firmament haften.

Die Sterne über den Posaunenengeln werfen kleine Schatten. Es sind kleine Plättchen aus Glas, die am Firmament haften. Darin schimmert das eingelegte Blattgold - für die Ewigkeit, wenn nichts dazwischenkommt. Das All drumherum füllen kleine hellbraune Natursteinquader aus. Ein helles, freundliches Universum, nur leider ist am hölzernen Rahmen vorerst Schluss.

Es ist ein Modell, ein paar hundert Steinchen, nicht viel für ein Mosaik, das sich mal über ein ganzes Gewölbe erstrecken soll. Wie lange wird es wohl noch dauern? Wann wird der Schlussstein gesetzt? Eine dieser überzähligen Fragen. Frau Jeskes Augen sind müde. Der Mund formt sich kurz zu einem Lächeln. "Noch lange." Assistent Helmut Mencke, auch er ein hagerer Mensch, bestätigt. "Noch sehr lange." Die Zeit ist kein geeigneter Maßstab für diese Arbeit. Elisabeth Jeske übt sich seit 60 Jahren vor allem in Geduld, Präzision und Sorgfalt. Am 8. August wird sie 80 Jahre alt. Sie ist eine der letzten Mosaik-Künstlerinnen, vielleicht die letzte "Mosaizistin" in Deutschland.

Sie wird dringend gebraucht, kann sich nicht einfach so zur Ruhe setzen. Gegenwärtig arbeitet sie an Entwürfen für ein neues Mosaik, das die Südempore des Berliner Domes zu einem Paradiesgarten mit allerlei Engelsvolk machen soll. Noch fehlen Spendengelder für das mehrere hunderttausend Mark teure Projekt. Dieses Problem ist ihr wohlbekannt. Schon damals, beim Kaiser, ging zwischendurch das Geld aus. Deshalb blieb die Südempore unvollendet. Jetzt möchte Elisabeth Jeske zusammen mit Dombaumeister Rüdiger Hoth das Versäumte nachholen. Die Vorlage für ein Seitenbild hängt schon an der Werkstattwand, darüber ein Pergament zum Durchpausen. Auf das Pergament wird später ein Karton mit einem Schnittmuster gelegt. Der Mosaizist fertigt jedes größere Bild zunächst in handlichen Ausschnitten an, die erst später, direkt am Gewölbe zu einem Gesamtmosaik aneinander gefügt werden. Erst dann zeigt sich, ob die Wirkung des Mosaiks im Raum genau durchdacht wurde. Das Blattgold glänzt nur, wenn das reflektierte Licht auch den Betrachter erreicht. Angewandte Optik. "Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel", doziert Mencke.

1940 fing Frau Jeske an, führte in der Berliner Mosaik- und Glasmalereiwerkstatt von Puhl & Wagner zunächst die Hüttenbücher, in denen Farbrezepturen eingetragen wurden. Mit dem künstlerischen Leiter der Werkstatt, Heinrich Jungebloedt, eröffnete sie nach dem Krieg in Schulzendorf einen eigenen Betrieb. Mit kleinen Arbeiten wie Tische oder Tabletts tastete sich Elisabeth Jeske langsam an die Mosaikkunst heran. Die Berliner Museen wurden bald auf das Duo aufmerksam. 1951 restaurierte die Werkstatt Jungebloedt/Jeske die Ravenna-Kuppel des Bodemuseums. Später galt es, antike Mosaiken im Pergamonmuseum wiederherzustellen. Dabei tritt die Rekonstruktion hinter das Original zurück. Ihre Farben sind blasser, damit die Wunden erkennbar bleiben und die 2000 Jahre, die vergangen sind.

Seit 1987 restauriert Frau Jeske zusammen mit Helmut Mencke Mosaiken im Berliner Dom. Dafür erhielt sie vor fünf Jahren das Bundesverdienstkreuz. Bei unserem Besuch sitzt die Künstlerin eng an den Kachelofen geschmiegt. Ihr zierlicher Körper saugt die Wärme in sich auf. In ihrer Umgebung hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht viel verändert. Das schwarze Telefon könnte in einem Hitchcock-Klassiker mitspielen. In der Küche, die zum Steinlager mutierte, steht noch ein Kohlenherd. Neben dem Arbeitstisch ist eine einfache Liege aufgespannt. Frau Jeske braucht nicht viel zum Leben, solange sie eine Aufgabe hat.

Helmut Mencke lernte Elisabeth Jeske vor 30 Jahren kennen. In seiner Freizeit kam er in die Werkstatt, um mitzuhelfen. Später ging er bei ihr in die Lehre und studierte an der Kunsthochschule Weißensee. "In der DDR war Mosaikleger noch ein eigener Lehrberuf." Heute wird er in die Zunft der Fliesenleger eingeordnet. Die Werkstatt, die immer noch nach dem Gründer Jungebloedt benannt ist, möchte Mencke eines Tages übernehmen. Arbeit gibt es genug, nur das Geld fließt spärlich. Vielleicht kommen ja ein paar Engel vorbeigeflogen und rupfen sich tüchtig Blattgold aus den Federn.

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