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Die "MS Moby Dick".

© Georg Moritz

MS Moby Dick: Berlins originellstes Schiff wird 40

Vor vierzig Jahren startete Berlins originellstes Schiff, die „Moby Dick“, zur Jungfernfahrt vom Wannsee nach Tegel. Gleich zu Beginn gab es eine Panne. Aber heute gehört der Dampfer fest zu Berlin. Ein Geburtstagstörn.

Für gute Unterhaltung hat die „MS Moby Dick“ vom ersten Augenblick an gesorgt. Als der schwimmende Wal der Stern- und Kreisschifffahrt am 2. Mai 1973 getauft wurde, schwang Heidi Schütz, die Frau des damaligen Regierenden Klaus Schütz, die Sektflasche gegen den Dampfer. Der Nylonfaden aber riss, die Pulle verschwand im Wasser. Ersatz war rasch zur Hand, die Reederei blieb optimistisch, verkündete, das sei kein schlechtes Omen. Und tatsächlich gehört die Moby Dick für die Berliner seither zu ihrer Stadt wie der Große Gelbe oder die Kongresshalle. Jetzt fährt Berlins originellstes Ausflugsschiff in seine Jubiläumssaison. Der Tagesspiegel ging an der Greenwich-Promenade in Tegel an Bord – ein paar Tage vor dem offiziellen Geburtstag am kommenden Donnerstag.

Im Bug der "MS Moby Dick" machen es sich die Gäste bequem

So komfortabel ist Jona gewiss nicht im Inneren des Walfischs gereist. Im Bug – oder besser: im aufgerissenen Maul mit den mehr als hundert Zähnen, die an ein Sägeblatt erinnern – machen es sich die Gäste vor den Panoramafenstern zwischen Ober- und Unterkiefer bequem. Ein Achtjähriger klopft an die Scheiben. „Schön dick“, sagt er. „Die verhindern, dass er zubeißt.“ Dann zeigt er zur Decke. Über den Köpfen hängt eine große, vorne abgerundete knallrote Holzplatte. „Das ist Mobys Zunge“, erklärt Kellner Siegfried Retzlaff, während er das erste Tablett voller Wiener und Limos zu den Tischen balanciert. Retzlaff hat zwei Jobs. Hier an Bord ist jeder, der zur Mannschaft gehört, zugleich Schiffsführer, auch wenn er nicht wie Kapitän Peter Wolter den 48 Meter langen Kahn lenkt. Denn mit so viel Neugier und so vielen Fragen wird kein anderer Berliner Dampfer von seinen Gästen erkundet.

Mittschiffs trennen merkwürdige Holzrippen den Raum zwischen Getränketresen, Küche und den Tischen an der seitlichen Fensterfront. Barfrau Isabell Apfelstedt kennt den Sinn und Zweck. „Das sind die Gräten“, sagt sie, meeresbiologisch nicht ganz korrekt, denn schließlich ist ein Wal kein Fisch. Über der Aussichtsplattform am Heck schwebt der riesige silbrige Schwanz, der dem Käpt’n manchmal Probleme macht, wenn Böen gegen die Flosse drücken, so dass er gegensteuern muss. Jetzt wirft Peter Wolter im Führerhaus auf dem Walrücken aber erstmal den 200-PS-Dieselmotor an. Moby Dick brummt und vibriert, behäbig schiebt sich das Schiff mit der glänzenden Haut, die nach alter Handwerkskunst noch genietet ist, rückwärts hinaus in den Tegeler See. Die Möwen kreischen, am Ufer rufen Kita-Kinder „Tschüss Moby!“, am Oberdeck winken die Gäste – der Wal kurvt zwischen den Inseln Scharfenberg, und Valentinswerder hindurch, geht auf einen zweistündigen Rundkurs an Tegelort vorbei bis zur Schleuse Spandau.

Schon die heutigen Eltern waren als Kinder an Bord des riesigen Wals

Etliche Großeltern mit ihren Enkeln sind an Bord sowie Mütter und Väter mit ihrem Nachwuchs. Das kennt die Mannschaft schon. „Wir sind ein Drei-Generationen-Kahn“, ruft Schiffskoch Jens Weber aus der Kombüse. Die heutigen Eltern waren früher schon mit der Moby Dick unterwegs, jetzt schippern sie mit den eigenen Kindern auch ein wenig zurück in die eigene Jugendzeit. Jens Weber (30) hat auf diesem Weg sogar seinen Traumjob gefunden. Mit zehn Jahren „bewunderte“ er „den Mobby“, wünschte sich, „darauf mal zu arbeiten“. Nun will er nicht mehr weg. Er verschränkt die Arme vor der roten Schürze, sagt: „Ich mag den dicken Wal.“

Wieso hat die Reederei ein derart ungewöhnliches Schiff bestellt?

Aber wieso kam die Reederei in den frühen 70ern auf die Idee, ein derart ungewöhnliches Schiff für 400 Fahrgäste zu bestellen? Vermutlich gab es zwei Inspirationen. Zuallererst Herman Melvilles populärer Roman über den riesigen Pottwal Moby Dick und den rachsüchtigen Kapitän Ahab. Schließlich ist das in Vlotho an der Weser für 1,8 Millionen DM gebaute Schiff mit seiner spitzen Schnauze eindeutig dem einzigen bezahnten Großwal nachempfunden. Zum anderen erinnerten sich die Planer wohl noch an die Walsensation 1966 am Niederrhein. Dort traute eine Tankerbesatzung ihren Augen nicht, als sie im Wasser einen vier Meter langen Beluga-Wal entdeckte. Die alarmierte Wasserschutzpolizei führte erstmal einen Alkoholtest beim Kapitän durch, überzeugte sich dann aber selbst von der Erscheinung. Der Wal war von einem gekenterten Frachter, der ihn in einen englischen Zoo bringen sollte, in die Nordsee gespült worden und über Rotterdam in den Rhein geschwommen. Erst in Bonn drehte er um und verschwand ein paar Tage später wieder im Meer.

Bei der Jungfernfahrt von Moby Dick gab es eine Panne

Zur Jungfernfahrt des Berliner Moby Dick war der Tegeler Hafen „schwarz von jubelnden Menschen“, erinnern sich Zeitzeugen. Das Schiff pendelte vor der Wende meist auf der Havel zwischen Wannsee, Tegel und der DDR-Grenze am Niederneuendorfer See. Die Post brachte es 1975 auf eine Briefmarke, 1979 war es Kulisse in Ulrike Ottingers Film „Bildnis einer Trinkerin“. Nach dem Mauerfall konnte der Dampfer das enge Fahrplan-Korsett abwerfen, seither fährt er von der Greenwich-Promenade aus abwechslungsreiche Routen bis nach Potsdam, Lehnitz oder über den Hohenzollernkanal zum Haus der Kulturen der Welt in der City. Weiter darf der recht hoch gebaute Wal wegen der niedrigen Spreebrücken nicht mehr nach Mitte vordringen. 1998 hatte das Schiff die Weidendammer Brücke an der Friedrichstraße gerammt. Vermutlich war der Kapitän zu dicht an den seitlichen Brückenbogen geraten, das Führerhaus wurde abgerissen, es gab einen Leichtverletzten.

Mehrfach wurde Moby Dick modernisiert

Mehrfach wurde die Moby Dick modernisiert, zuletzt barrierefrei für Behinderte ausgebaut. Das Flair der Siebziger, die grünen und roten Resopalverkleidungen aber hat man im Bauch gelassen. „Maritimer Denkmalsschutz“ sagt Kellner Siegfried Retzlaff (55). Einst hatte er seine eigene Kreuzberger Kneipe, das „Malheur“, doch inzwischen genießt er die Abwechslung, mag die Uferbilder, die beim Servieren vorbeiziehen. Bootsmann Manuel Dennert (26) war 2012 noch auf Rheinfrachtern unterwegs, aber er wollte nach Berlin zurück und hatte Glück: „Da hab ich gleich den Kahn erwischt, der am besten zu dieser flippigen Stadt passt.“ Kapitän Wolter (63) beurteilt den Wal nüchterner. Er meint, der habe eine „etwas zu große Klappe.“ Die lange Schnauze versperrt dem Schiffsführer mit dem goldenen Anker am Halskettchen die Sicht. Und die angehende Binnenschifferin Stephanie Merkel hat manchmal Stress durch die Schwanzflosse, wenn die Kinder darauf herumklettern. Das nämlich ist verboten.

Gibt es für die Moby Dick ein Geburtstagsfest? „Nein, nichts geplant“, heißt es bei der Reederei. Also ein ganz normaler Ausflugstag. Aber zumindest Jubiläumswetter sagen die Meteorologen voraus. Am Donnerstag soll die Sonne scheinen.

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