zum Hauptinhalt
Vertieft. Um den „Sinn und Unsinn des Schenkens“ ging es bei der Deutschklausur am Donnerstag.

© Doris Spiekermann-Klaas

MSA und Berufsbildungsreife in Berlin: Prüfungen beginnen, Kritik hält an

Die ersten Klausuren für den Mittleren Schulabschluss sind geschrieben. Die Kritik daran, dass Standards bei der Zulassung zur Prüfung gesenkt wurden, hält an. Premiere für die Prüfung zur Erweiterten Berufsbildungsreife.

Das war eine Premiere im doppelten Sinn: Am Donnerstag hat der erste Jahrgang der Sekundarschüler an den Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss (MSA) teilgenommen. Gleichzeitig gab es den Auftakt zur Erweiterten Berufsbildungsreife. „Alles glatt gelaufen“, war die vorherrschende Botschaft der Schulen.

Als erstes waren die Deutscharbeiten dran, bevor nächste Woche Mathematik und Englisch folgen. Die Schüler sollten unter anderem Fragen zu einem Text zum Thema „SMS-Jugendsprache“ beantworten und damit ihre Lesekompetenz unter Beweis stellen. Außerdem war ein Artikel für eine fiktive Schülerzeitung zu schreiben, bei dem die Zehntklässler den „Sinn und Unsinn des Schenkens“ zu erörtern hatten. Und es gab jede Menge Fragen zu Grammatik und Stilmitteln.

Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben sei ähnlich wie sonst gewesen, hieß es aus mehreren Schulen. Wer den MSA, den es seit 2006 gibt, anstrebte, musste Zusatzaufgaben beantworten. Die anderen Schüler mussten die Hälfte ihrer einfacheren Aufgaben richtig lösen, um die Erweiterte Berufsbildungsreife zu erreichen. Insgesamt waren die Aufgabentypen und auch die Punktverteilung für die Lehrer nachvollziehbar konzipiert. „Der Anspruch wurde nicht gesenkt“, sagte ein Tempelhofer Lehrer, der langjährige Erfahrungen mit derartigen Prüfungen hat.

Anders verhält es sich mit den Voraussetzungen, die Schüler erfüllen müssen, um am MSA teilzunehmen und anschließend in die gymnasiale Oberstufe aufzusteigen. So dürfen etwa die Noten im regulären Schuljahr, die ebenfalls in den MSA einfließen, schlechter sein als früher. Auch für den Übergang in die gymnasiale Oberstufe reichen nun schlechtere Noten aus. Vertreter ehemaliger Gesamtschulen kritisieren dies.

Die Grünen fordern Aufklärung von der Bildungssenatorin

Das Thema beschäftigte am Donnerstag auch das Abgeordnetenhaus. Die Grünen-Politikerin Stefanie Remlinger forderte Aufklärung von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Das Niveau dürfe nicht an die schwächeren Schüler angepasst werden, zumal es ein zentrales Problem des Berliner Bildungssystems sei, dass die schulischen Leistungen im Bundesvergleich unterdurchschnittlich seien. „Wir dürfen Probleme nicht verschleiern“, sagte Remlinger im Parlament.

Die grüne Bildungspolitikerin Stefanie Remlinger fragte im Parlament nach.
Die grüne Bildungspolitikerin Stefanie Remlinger fragte im Parlament nach.

© promo

Scheeres erwiderte, dass die Anforderungsniveaus und Abschlüsse den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz entsprächen. Das Niveau sei nicht abgesenkt worden, die jetzt diskutierten Unterschiede rührten daher, dass an den Gesamtschulen früher eine andere Notentabelle gegolten habe.

Die Elternschaft warnt auch vor einer Niveauabsenkung beim Abitur

Die Vorsitzende des Landeselternausschusses, Lieselotte Stockhausen-Doering, fürchtet hingegen, dass die Absenkung der Zulassungskriterien eine generelle Verschlechterung des Bildungsniveaus zur Folge haben könnte. Insbesondere könne es auch den Wert des Abiturs schmälern. „Und das Berliner Abitur hat ja ohnehin nicht den besten Ruf“, sagte sie. Die Schulen legten schon jetzt einen Fokus auf die Förderung leistungsschwächerer Schüler, das hätten auch die Schulinspektionen gezeigt. „Aber anscheinend hat das nicht die gewünschten Effekte“, gab Stockhausen-Doering zu bedenken.

Die Piraten halten Prüfungen für überbewertet

Martin Delius von den Piraten stellt den Sinn der Prüfungen infrage.
Martin Delius von den Piraten stellt den Sinn der Prüfungen infrage.

© dpa

„Man gibt den Schülern falsche Botschaften“, sagte Lothar Semmel vom GEW-Schulleiterverband. Er befürchtet, dass mehr Schüler im MSA und später auch im Abitur scheitern. Denn die Anforderungen in den Prüfungen selbst sind gleich geblieben, während die Zulassungsbedingungen an den ehemaligen Gesamtschulen bisher strenger waren.

Der bildungspolitische Sprecher der Piratenpartei, Martin Delius, sagte dagegen, es sei richtig, möglichst viele Schüler zum MSA zu bringen. „Langfristig ist aber die Konzentration auf die Abschlussnoten der falsche Weg“, sagte er dem Tagesspiegel. Ob jemand für einen Beruf geeignet sei, hänge nicht von einem formalen Abschluss ab. Individuelle Beurteilungen seien hilfreicher. Delius sprach sich dafür aus, die Berufsqualifizierung in der Schulzeit insgesamt auszubauen, was in den Sekundarschulen auch versucht wird. Die Kooperationen mit Betrieben haben erheblich zugenommen. Zudem besuchen schwache Schüler schon ab Klasse 9 Praxisklassen, damit sie einen besseren Zugang zur Berufswelt bekommen. Den Betrieben reicht das aber nicht. Sie erwarten auch vorzeigbare Rechtschreibkenntnisse und ein Beherrschen der Grundrechenarten.

Was die Rechtschreibkenntnisse anbelangt, zeigt ein Blick in die am Donnerstag geschriebenen Klausuren, dass es damit nicht weit her ist. Massenhaft werden da Substantive klein geschrieben, obwohl bei der Arbeit Wörterbücher benutzt werden dürfen. Kommata fehlen in manchen Klausuren ganz. „Die Rechtschreibkompetenz kommt zu kurz“, sagt ein Lehrer. Dennoch sei er stolz darauf, was aus seinem ersten Sekundarschuljahrgang geworden sei: In der siebten Klasse das reinste Chaos, inzwischen habe er es mit erwachsenen, höflichen Menschen zu tun. Das sei ja auch schon etwas. Und es habe wahnsinnig viel Kraft gekostet.

Zur Startseite