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Leben in Trennung. Manche Berliner sind mit den vielen unterschiedlichen Tonnen auf ihren Hinterhöfen überfordert.

© Jens Kalaene/dpa

Mülltrennung in Berlin: An der Tonne hört der Spaß auf!

Windeln zwischen den Wertstoffen, grüne Flaschen im Weißglas – das hehre Ziel der Mülltrennung wird bereits im eigenen Hinterhof Tag für Tag verfehlt. Ein Plädoyer an die Nachbarn.

Jetzt wird’s eklig. Richtig fies. Geht nicht anders. Denn es ist ja nicht so, dass man gerne, in jeder Hand einen Beutel mit dem Übriggebliebenen der Woche, über den schlecht beleuchteten Hinterhof auf die Ecke zutapst, aus der es immer so verdächtig nach Alltag von unten riecht. An der Mülltonne hört der Spaß auf. Deckel auf.

Was ist das? Irgendjemand hat schon wieder seinen unsortierten Unrat ins Blaue geworfen. Blaue Tonne aber bedeutet: Papier. PAPIER! Nun liegen da obenauf Zellophan, zerknüllte Taschentücher und Plastikkartuschen für Lutschpastillen. Ich habe das zwölfjährige Gör aus unserer Wohnung in Verdacht. Himmel, sie lernt es nie. Was ist so schwer daran, den Müll zu trennen?

In Asien und Amerika, ja selbst in England wird unser System der Müllsortierung kopiert. Delegationen aus aller Welt nehmen es in Augenschein. Es hat sich herumgesprochen, dass Rohstoffknappheit durch Wiederverwertung kompensiert werden kann. In Berlin wird Müll, wie es in der Abfallbilanz des Senats heißt, „vollständig verwertet“. Er ist viel wert. Nur in unserem Hinterhof nicht. Da greift das Prinzip: Warum ich, wenn die anderen auch nicht?

Es gibt Nachbarn, die werfen Windeln in die gelbe Wertstofftonne, und andere, die bringen Weiß- und Buntglas durcheinander. Ich bin schon versucht gewesen, den falsch entsorgten Weinflaschen hinterherzutauchen. Aber, na ja, die Tonnen sind verdammt tief.

An der Papiertonne trage ich meine schlimmsten Kämpfe aus. Ein Kollege sagt mir, dass er mit dem Teppichmesser all die Päckchen zerschneidet, in denen sich seine Töchter neue Schuhe schicken lassen. So einen Nachbarn wünsche ich mir. Bei uns stecken die Kartons hochkant in der Tonne, da passen selbst sorgsam gepresste Zeitungsstapel nicht mehr hinein. So einem Paket springe ich mit beiden Füßen ins Kreuz. Die Falzkante bricht unter wütenden Tritten. So! Und: so! Dem Karton, groß und bloß leer, so einem Mistkarton stoße ich unerbittlich meine Hacken in die Visage.

Auch der Verbraucherschutzminister lässt Anreize erarbeiten, das „Richtige“ zu tun

Wenn ich mir einen schönen Tag machen will, dann fahre ich zum Recyclinghof. Nur glückliche Gesichter. Sogar die Männer in Orange sind fröhlich. Sie sagen einem, wohin man muss. „Altmetall hinten rechts.“ „Geschirr ist Hausmüll, dafür müssen sie bezahlen.“ Menschen trotten zu gut beschrifteten Containern, darin der Wohlstandsschrott der vergangenen Jahrzehnte. Mit jeder Habseligkeit, die sie polternd versenken, werden ihre Schritte leichter. Wegschmeißen ist das neue Wiederfinden.

Ich habe den Verdacht, dass die hartnäckige Weigerung meiner Nachbarn, sich der BSR-Logik zu unterwerfen, das Symptom einer Überforderung ist. Auf den Deckeln der meisten Tonnen sucht man den Hinweis vergeblich, was genau hier entsorgt werden darf. Wenn vorhanden, sind die Erläuterungen so klein gedruckt, dass sie höchstens kniend lesbar wären. Wer macht das schon?

Zwölf Positionen umfassen die Informationen der Berliner Verbraucherzentrale darüber, was in die Altpapiertonne darf. Besonders kniffelig: der Unterschied zwischen Packmaterial (meist Pappe) und Verbundverpackung (mit Kunststoff beschichtete Pappe). Erstere ist Altpapier, letztere Wertstoff. Ziemlich umständlich. Stattdessen müsste es für jeden Mülltyp ein Piktogramm geben, ein intuitiv verständliches Symbol. Denn haben Sie schon mal eine Zwölfjährige den Müll heruntertragen lassen? „Nee, ne?“ – einen vollkommeneren Ausdruck an Lustlosigkeit gibt es nicht. Dann das Mädchen, total aufgeschmissen vor der Batterie an gelben, blauen, schwarzen, grünen, braunen, weißen Tonnen. Hier mal nachgesehen, da mal gelinst. „Nee, ne?“ So landet der Teenie-Trash einfach da, wo er am wenigsten auffällt.

In der Masse geht das vielleicht unter. Die Frage ist jedoch, wie man die erreichen kann, die etwas nicht tun, weil sie denken, dass sie es nicht für sich tun. Auch den SPD-Verbraucherschutzminister Heiko Maas treibt das um, er lässt sogenannte „Nudging“-Methoden ausarbeiten, eine Art geistiges Schubsen, suggestive Anreize, das „Richtige“ zu tun. Was das wohl wäre? Da müssen wir uns erst einmal sortieren.

Dieser Text ist auch in der Rant-Rubrik auf den Mehr-Berlin-Seiten des gedruckten Tagesspiegels erschienen.

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