zum Hauptinhalt
Robert Glenn Thompson (1935-2019). Das Foto entstand mutmaßlich Ende April 1978 bei seiner Ausreise aus den USA.

© Nachlass Gregor Alexander Best

Münchhausen modern, Teil 2: Wer am besten lügt, der hat’s am besten drauf

Robert G. Thompson (geb. 1935) war Stasi- und KGB-Agent, im US-Knast, ging in die DDR. Die Geschichte war ihm nicht groß genug. Ein Nachruf als Spurensuche.

Von David Ensikat

Dies ist ein Nachruf auf Robert G. Thompson. Seine Person ist eng verknüpft mit dem Agenten Gregor Alexander Best, der möglicherweise von Thomson erfunden wurde. Lesen Sie hier einen Nachruf auf Gregor Alexander Best.

Am 17. August 1957 gegen 16 Uhr 20 erhielt der Offizier vom Dienst im Ost-Berliner Ministerium für Staatssicherheit einen Anruf. Ein Volkspolizist meldete sich: Er stünde in einer Telefonzelle auf der Stalinallee, neben sich ein Amerikaner, in dessen Auftrag er anrufe. Der Amerikaner habe ihn um Hilfe gebeten, da er mit dem DDR-Geheimdienst in Kontakt kommen wolle, aber kein Ostgeld zum Telefonieren habe.

Nach Klärung der Zuständigkeit begab sich Leutnant Fischer von der Stasi-Hauptabteilung V/3 ins Kulturhaus der Bauarbeiter, wo der Polizist und der Amerikaner warteten. Es handelte sich um den Obergefreiten Robert Glenn Thompson, seit drei Jahren tätig bei einem US-Geheimdienst. Auf die Frage, warum er sich an die Stasi wende, sagte er, er habe „einige Sympathien“ und würde gern weiterhelfen, „wenn er etwas Geld dafür bekommen könnte“. Weiter vermerkt der Treffbericht: „In Westberlin hat er eine Freundin, mit der er seine Freizeit verbringt, was ihn, wie er sagte, viel Geld kostet.“

Das war der Beginn der Karriere des „Meisterspions“ Robert Glenn Thompson. So jedenfalls hat er sich selbst bezeichnet, die Stasi nannte ihn „Geheimer Informant“, Deckname „Gregor“. Er arbeitete dann noch ein wenig für den KGB, er saß im Knast und geriet schließlich wieder in die treusorgende Obhut der Stasi. Sterben sollte er als „Antifaschist“ und Held der Friedrichshainer linken Szene, arm an Besitz, doch reich an Geschichten, von denen nur ein Teil wahr ist. Der andere Teil, der heldenhafte, ausgedachte, war Thema des Nachrufes vor einer Woche auf „Gregor Alexander Best“. So lautete sein selbst gewählter zweiter Name.

Dieser Text nun fußt neben den Gesprächen mit Nachbarn und Freunden auf 500 Stasi-Aktenseiten, diversen amerikanischen Presseartikeln und Buchkapiteln über den KGB-Spion, Erinnerungen des Rechtsanwalts Wolfgang Vogel, der mit dem Agentenaustausch betraut war, sowie auf Unterlagen aus dem Nachlass des Gestorbenen.

Robert Glenn Thompson als Jugendlicher
Robert Glenn Thompson als Jugendlicher

© Nachlass Gregor Alexander Best

Robert Glenn Thompson wuchs in Detroit auf, einfache Verhältnisse, der Vater starb, da war er sechs. Früh schon arbeitete er neben der Schule in einer Fabrik, was gelang, weil er sich älter machte, als er war. Mit 17 meldete er sich freiwillig zur Air Force. Die Mutter gab nur widerwillig ihr Einverständnis. Sie war nicht die russische Jüdin, von der er später berichtete, sondern eine treue Christin aus Detroit.

Nach einem Unfall wurde Thompson Sachbearbeiter beim Geheimdienst der Air Force, dem „Office of Special Investigations“, O.S.I. Das wäre nicht besonders spannend gewesen, wäre er nicht nach Deutschland versetzt worden, nach Berlin, die Frontstadt, in der die Geheimdienste wirklich was zu tun hatten. Davon jedenfalls kündeten die Karteikarten, die er in einem fensterlosen Raum am Flughafen Tempelhof zu sortieren hatte. Lauter Agentennamen, Einsatzorte in Ost und West, lauter Geschichten, die so viel größer waren als die des Airman Second Class, der in seiner Freizeit zu viel trank, mal seine Dienstwaffe verlor und damit auch seine Aussicht auf baldige Beförderung. Immerhin, er lernte Evelin kennen, eine groß gewachsene, rothaarige Deutsche, die er prompt heiratete.

1000 Dollar im Monat von der Stasi

Doch ein amerikanischer Geheimdienstler durfte nicht mit einer Deutschen in Berlin zusammenleben. Deshalb wurde seine Frau erst einmal in die USA geschickt. Gegen den Frust halfen die Abenteuer in den G.I.-Bars und eine neue, teure Freundin. So kam es, dass der Sachbearbeiter des O.S.I. mit 260 Dollar Monatseinkommen den Nebenberuf Geheimer Informant des Ministeriums für Staatssicherheit ergriff, zusätzliche monatliche Einkünfte: gut 1000 Dollar, verabreicht bei den Treffen in D-Mark- und Dollarscheinen.

Entsprechend dankbar und eifrig erfüllte er seine Aufgabe. Er war in jener Zeit die beste Quelle, die die Stasi in West-Berlin hatte. So öde sein Job in der Registratur, so wertvoll sein Wissen. Hunderte von Mitarbeitern der amerikanischen Geheimdienste konnte er nennen, darunter etliche Doppelagenten. Hier ein Ausschnitt aus der Stasi-Akte (Quelle: BStU). Doch schon nach fünf Monaten war Schluss, die Air Force schickte den Airman zurück nach Amerika. So weit reichte der Arm der Stasi nicht. Sie übergab ihren Agenten den Genossen vom sowjetischen Geheimdienst KGB.

Doch die hatten weniger Glück mit ihm. In der Heimat, bei Frau und bald auch Kindern, hatte er keine Lust mehr auf Armee und Spionage. Trotzdem hielt der KGB den Kontakt aufrecht. Was genau Robert Thompson noch für die Russen tat, ist nicht so leicht nachzuvollziehen, die Quellen sind hier widersprüchlich. Über ein paar Fotos von Militäreinrichtungen von außen und die Observation der ein oder anderen FBI-Dienststelle ging es aber kaum hinaus. Im Sommer 1964 flog er auf und wurde zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Hätte man geahnt, was genau er damals in Berlin getan hatte, wäre Robert Thompson wohl auf dem elektrischen Stuhl gelandet.

Im Gefängnis

So kam er in den Knast von Lewisburg, 200 Meilen westlich von New York. Noch im Sommer 1965 schrieb er einen Brief an den Rechtsanwalt Wolfgang Vogel in Ost-Berlin, woher auch immer er dessen Namen kannte. Vogel war der Mann, der 1962 den spektakulären Agentendeal Abel gegen Powers auf östlicher Seite organisiert hatte. Er wollte Thompson gerne helfen, doch die Sache war kompliziert, nicht zuletzt, weil die Amerikaner ungern einen Amerikaner wegtauschten. Das muss Thompson gewusst haben, denn schon in seinem ersten Brief an Vogel schrieb er, dass er seit 1957 sowjetischer Staatsbürger sei und dass Vogel die Belege dafür liefern solle. Das überstieg Vogels Möglichkeiten; er konnte nur Angebote unterbreiten, die die Amerikaner ablehnten: Was waren schon ein paar Berliner Fluchthelfer gegen einen echten KGB-Agenten? Die Sache zog sich in die Länge, und Thompson wurde jetzt so richtig kreativ. Einem amerikanischen Anwalt schrieb er, er sei 1925 in Leipzig geboren, Vater Deutscher, Mutter Russin, den Namen Thompson habe er 1950 angenommen, als er in die USA gekommen sei. Auch das half nichts.

Häftling Robert Glenn Thompson mit seinem amerikanischen Anwalt Peter Krehel, 1970
Häftling Robert Glenn Thompson mit seinem amerikanischen Anwalt Peter Krehel, 1970

© Nachlass Gregor Alexander Best

Erst nach 13 Jahren gelang es dem DDR-Anwalt Vogel, gemeinsam mit einem israelischen Geschäftsmann und einem New Yorker Rabbi, einen Deal einzufädeln, dem diverse Regierungen zustimmen mussten: Thompson gegen einen israelischen Piloten, der in Mosambik in Gefangenschaft geraten war, und einen amerikanischen Studenten, der einer Ost-Berliner Familie zur Flucht verhelfen wollte und im DDR-Knast gelandet war.

Am 1. Mai 1978 kam Robert Thompson in Ost-Berlin an und war ab sofort ein Patriot und Held, zuständig: das Ministerium für Staatssicherheit, Hauptabteilung II „Spionageabwehr“, Abteilung 3 „Amerikanische Linie“. Das mag interessant klingen, nur kann man sich leicht vorstellen, dass Robert Thompson, dessen Zeit als Superagent mehr als 20 Jahre zurücklag und der den westlichen Geheimdiensten wohlbekannt war, sich für den Spionagedienst nicht mehr so gut eignete. Was also sollte er jetzt tun? Was sollte die Hauptabteilung II/3 jetzt mit ihm machen?

Die "Eingliederung des Kundschafters"

Ein vierseitiger „Plan zur Eingliederung des Kundschafters Robert Glenn Thompson“ gibt Auskunft (hier ist er). Zunächst erhielt er eine neue Identität, den Namen durfte er sich selbst aussuchen: Gregor Alexander Best. Geburtsort: Toledo/Ohio; beim Geburtsjahr blieb er vorerst bei der Wahrheit, 1935. Er sollte einen Deutschkurs machen, um anschließend „vor Kollektiven innerhalb des MfS“ aufzutreten und seine Erfahrungen im Kundschafterdienst und in den Kerkern des Klassenfeindes zu teilen. Außerdem, so stellte man in Aussicht, sollte er in Heimarbeit englische Publikationen analysieren und übersetzen. Unterstützen wollten ihn die Genossen von der Spionageabwehr bei seinem Hobby: „Es wird angestrebt, in der Perspektive eine Abdeckung als freischaffender Kunstmaler aufzubauen.“

Er sollte einen Pkw „Lada 1600“ erhalten, monatlich 2500 Mark – etwa das Dreifache eines Facharbeitergehalts – sowie den Vaterländischen Verdienstorden in Silber. Des Weiteren eine Vier-Zimmer-Neubauwohnung in Berlin-Lichtenberg und ein Haus am See.

Alles gar nicht schlecht, aber was war mit dem Heldentum? Er war 43. Sollte es das gewesen sein? Immerhin, der Plan erwähnt auch den „Einsatz zur Lösung spezifischer operativer Aufgaben entsprechend seiner Fähigkeit und Möglichkeit“. Vielleicht doch noch ein bisschen Nervenkitzel? Er machte Vorschläge, doch es ist nicht erkennbar, dass die Stasi je ernsthaft darauf eingegangen wäre. Es findet sich ein einziger, eher komischer Observationsbericht, den er als Inoffizieller Hauptamtlicher Mitarbeiter „Harry“ abgeliefert hat: Im Oktober 1979 berichtet er, wie er in einem Potsdamer Interhotel Ausschau hält, doch da erlebt er nichts Verdächtiges, er „kontrolliert“, wie er selbstbewusst noch schreibt, die Schlösser Sanssouci und Cecilienhof, auch da nichts. Dennoch, ganz unten: „P.S. It was very good to be working again.“

Das Misstrauen der Stasi

Was also tun? Der frische DDR-Bürger verhielt sich wie ein altgedienter, wenn auch einer mit etwas besseren Beziehungen. Als er das Wassergrundstück doch nicht bekam, sondern ein ganz normales, beschwerte er sich so lange, bis man ihm noch eine Datsche an einem See zusprach. Er baute sein Haus aus, er beschwerte sich über fehlende Baustoffe. Er kämpfte um das jeweils beste Auto, das in der DDR zu haben war. Sein Nachbar erinnert sich, wie er mal mit ihm im schwarzen Peugeot durch die Gegend fuhr. So ein Auto fuhren in der DDR nur hochrangige Funktionäre, deshalb salutierten Soldaten, an denen sie vorbeifuhren. Gregor Best, dessen Robert-Thompson-Identität inzwischen nur noch ihm selbst und ein paar Stasi-Offizieren bekannt war, grüßte zurück, als sei das ganz und gar normal. Diesem Amerikaner in der DDR sollte man irgendeine Geschichte nicht abnehmen? Der Nachbar glaubte alle.

Immerhin, die Stasi entwickelte ein Misstrauen gegenüber ihrem teuren Maskottchen. In einem Bericht aus dem Jahr 1985 wird nicht nur aufgerechnet, was der Mann so kostet (jährlich allein 2400 Dollar für die Unterstützung seiner Mutter), es werden generell schwierige Charaktereigenschaften ausgemacht, allem voran „sein übersteigerter Geltungstrieb … So äußerte er, er sei General der sowjetischen Aufklärung.“ Weiterhin „traten übersteigerte materielle Interessen in den Vordergrund, was auch das Dominierende in der Ehe darstellt (Prinzip: Der Staat soll zahlen).“

Gregor Best hatte geheiratet. Seine Frau Sylvia hatte eine Tochter in die Beziehung gebracht, eine gemeinsame Tochter war 1980 zur Welt gekommen. Der Treueste war er nicht, und dann fiel auch noch die Mauer! Das Ende der Stasi und der ganzen DDR war auch das Ende des luxuriösen Ehelebens des ehemaligen Kundschafters. Seine Frau verließ ihn mitsamt der Töchter, er saß allein in dem Haus, dessen Heizung er sich nicht einmal mehr leisten konnte.

Schlimme neue Welt

Er war inzwischen 55, hatte zwei Familien in den Sand gesetzt, Frauen und Kinder, die nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten. Er machte einen Kurs als Versicherungsverkäufer. In der Branche kamen viele ehemalige Armee- und Stasileute unter. Doch für ihn war das nichts. Er versuchte, seine Geschichte an einen amerikanischen Autor zu verkaufen, und vermerkte in einem langen Brief die Stationen eines Lebens, gegen das die Abenteuer von Forrest Gump lächerlich realistisch wirken. Korea kommt drin vor, Mexiko, Ost-Berlin, die McCarthy-Verfolgungen. Gut möglich, dass der Autor ein paar Zweifel hatte; jedenfalls wurde nichts aus dem Projekt.

Seine letzte Wohnung am Boxhagener Platz ertauschte sich unser Mann mit den vielen Leben. Und alsbald variierte er ein weiteres Mal seine Biografie. Ab sofort nahm sie ihren Anfang am Boxhagener Platz, an dessen größtem Baum sein Vater von der Nazipolizei erschossen worden sei.

Auf dem Platz war er bald gut bekannt, nicht nur weil er so oft unten saß und mit Hinz und Kunz gern kiffte, sondern weil er seine Geschichte so kundenfreundlich teilte. Zartfühlenden berichtete er, wie er als Rotarmist durch den Krieg kam, ohne je auf einen Menschen zu schießen. Anspruchsvolleren erzählte er, wie er sogar mal einen russischen Offizier totschießen musste, da der im Begriff war, ein polnisches Baby zu schänden. Das war alles so konkret, so heftig und besonders, dass kein Zweifel aufkam. So was denkt man sich nicht aus!

Gregor Alexander Best auf seinem Balkon in der Krossener Straße, Berlin-Friedrichshain
Gregor Alexander Best auf seinem Balkon in der Krossener Straße, Berlin-Friedrichshain

© Nachlass Gregor Alexander Best

Ein junger Mann wollte einen Film machen. Er fragte Gregor Best aus, wie ihn noch keiner ausgefragt hatte. Als er ein paar Unstimmigkeiten klären wollte, machte ihm sein Protagonist klar, dass es auch einen anderen mit einer Kamera gebe, der nicht so ein krankes Misstrauen hege. Den Film machte dann der andere: Gregor Best erzählt seine Münchhausengeschichte. Der ermordete Vater, die Emigration nach Shanghai, die Rückkehr als Rotarmist, sein Beitrag zum Fall der Mauer … Ein freundlicher weißhaariger Zeuge des kriegerischen 20. Jahrhunderts.

Keiner seiner zahlreichen Bekannten wäre auf die Idee gekommen, dass er einsam war. Aber er hatte keinen, dem er sagte, wer er wirklich war.

Mit 22 war Robert Glenn Thompson in die Welt der Spionage geraten. Da wird pausenlos gelogen. Ich bin ein anderer. Wer am besten lügt, der hat’s am besten drauf. Darum ging es ihm, der Welt Bescheid geben: Ich hab’ es drauf.

Der kleine Teil Welt, der ihn umgab, hat es ihm geglaubt. Die Freunde, die jetzt, nach seinem Tod, erfahren, dass seine große Geschichte so groß nicht war, bleiben dabei: Sie mögen ihn. Ein Spinner, na und? Ein Mann, der Heimat, Halt, Bedeutung verloren hatte. Das fantasierte er sich alles zurück, vollständiger und größer als im wahren Leben. Womöglich glaubte er sich seine Lügen irgendwann ja selbst. Waren es denn dann noch Lügen?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false