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Berlin: Musiker kämpfen um ihre Platte

Ein Haus aus DDR-Zeiten bot 100 jungen Bands jahrelang Räume zum Üben – nun sollen sie raus

Bis vor kurzem war der Plattenbau in Marzahn ein kleines Paradies für 400 junge Musiker: 80 Proberäume, ein Studio für Aufnahmen. Keine Eltern, keine Nachbarn und auch sonst niemand, der sich durch zu laute Musik gestört fühlte – weil die Straße 13 mitten in einem so gut wie leeren Industriegebiet liegt. Und die Eigentümerin, die Immobiliengesellschaft TLG, verlangte Mieten, die sich auch Musiker im Alter zwischen 15 und 25 Jahren leisten konnten. Etwa sechs Jahre lang.

Dann kam der Mai 2004 und brachte Brandschutzprüfer in den Plattenbau, in dem die DDR-Filmfirma Orwo in den 80er Jahren Farbbilder herstellte. Entspricht nicht den Bestimmungen, ergab die Untersuchung. Seit dem vergangenen Wochenende sind deswegen die Schlösser im Orwo-Haus ausgewechselt, die Bands kommen mit ihren Schlüsseln nicht mehr ins Haus und nicht mehr in die Proberäume. Draußen am Eingangstor zäunen Bauarbeiter das Grundstück ein. Und drinnen, im ersten Stock, wohnt seit Sonntag eine Gruppe von 15 jungen Menschen zwischen Verstärkern, Mikrofonen und Schlagzeugen, die für ihr Paradies kämpft.

Einer von ihnen ist André Szatkowski. Zuerst mal, sagt er, müsse er eines klarstellen: „Wir sind hier Mieter, und keine Besetzer, wie es von der Hausverwaltung gerne dargestellt wird. Wir haben gültige Verträge bis Ende September.“ Er hat mit einer Sonnenbrille seine langen blonden Haare zurückgesteckt.

Viele der Nachwuchsmusiker sind 20 Jahre oder jünger. Um ihre Proberäume zu retten, haben sie einen Verein gegründet. Haben einen Pressesprecher gefunden, der erklärt, wen es trifft, wenn das Haus geschlossen wird. Der Pressesprecher ist 20 Jahre alt und eigentlich ein Schlagzeuger. Andreas Otto trägt einen Pferdeschwanz und ein schwarzes T-Shirt mit dem Logo seiner Band. „Wir haben einen Nutzungsplan erarbeitet, zusammen mit Anwälten und Bauingenieuren. Wie die TLG es von uns verlangt hat.“ Das eigentliche Problem aber sei: „Die glauben nicht, dass wir das Haus führen könnten.“

Seit gestern Nachmittag sieht es so aus, als seien alle Bemühungen der jungen Musiker um ihre Proberäume gescheitert. „Wir haben entschieden, den von den Mietern vorgeschlagenen Nutzungsplan abzulehnen“, sagt TLG-Sprecherin Sabine Pentrop. Der Plan war: Die TLG sollte das Hochhaus soweit herrichten lassen, dass die Brandschutzbestimmungen erfüllt sind. Die jungen Musiker wollten ein Viertel der Kosten übernehmen, die sie bis zum 1. Juli 2005 durch Spenden und Konzerte einnehmen wollten. TLG-Sprecherin Pentrop sagte: „Wir glauben nicht, dass die jungen Leute die erforderlichen Kosten aufbringen können.“ Mit welchen Sanierungskosten die TLG rechnet, sagte Pentrop nicht. „Die Mieten würden sich vervielfachen. Das könnte sich keine junge Band mehr leisten. Damit fällt das Konzept.“ Die TLG will nun über einen Verkaufspreis für die Paradies-Platte nachdenken. Kaufinteressenten gibt es laut TLG noch keine.

Die Marzahner Jugendstadträtin hätte die Räume gerne erhalten, sagen die Musiker. Im Moment ist sie im Urlaub.

Marc Neller

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