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Berlin: Musikindustrie: Glücklich im Hintergrund

Nein, mit seinem Job hat sich Thorsten Mehwald keinen Traum wahr gemacht. Sicher, er habe irgendwann gewusst, dass er etwas mit Musik machen wolle.

Nein, mit seinem Job hat sich Thorsten Mehwald keinen Traum wahr gemacht. Sicher, er habe irgendwann gewusst, dass er etwas mit Musik machen wolle. "Aber einen Masterplan hatte ich nie", sagt er. Seit ein paar Wochen baut der 28-jährige Product Manager gemeinsam mit einigen Kollegen einen Ableger der Plattenfirma "Virgin" in Berlin auf - Name: "Labels". Und das ist bereits seine zweite Pionierleistung im Musikgeschäft. Mehwald war auch mit dabei, als das Label V2 an den Start ging. Damals war er 25 Jahre alt, hatte keine Erfahrung in der Plattenindustrie und keine Ausbildung. Dafür kannte er die Technoszene und trug einen zweifelhaften Ruf vor sich her.

Thorsten Mehwald wundert sich noch heute, dass er die Stelle bei V2 bekam, denn das Vorstellungsgespräch verlief so: Auf die Frage, ob er denn wisse, was in dem Job zu tun sei, habe er - sinngemäß - geantwortet: "Keine Ahnung". Vielleicht verlief das Treffen mit seinem zukünftigen Chef auch gar nicht so katastrophal, wie er es heute mit Vergnügen berichtet. Doch zuzutrauen wäre es ihm, der sich selbst als "nicht karrieregeil" bezeichnet.Während des Gesprächs verliert er sich in Details, kramt Anekdoten hervor - und vergisst darüber ganz, worüber er eigentlich reden wollte. Aber das Sprechtempo bleibt unvermindert hoch. Dabei raucht er eine Zigarette nach der anderen und verspeist einen Cheeseburger. Wenn ihn der Traum von der großen Karriere also nicht voran gebracht hat, was dann? Ganz leicht: "Ich habe Glück gehabt".

Es war also das Glück, das den 20-jährigen Internatsabsolventen zum Frankfurter Techno-Magazin "Groove" brachte? "Mein ewiger bester Freund war da, der hat mich geholt", erinnert er sich. Zuvor war er mit einigen Freunden beim Versuch gescheitert, in Köln ein eigenes Techno-Magazin herauszubringen. Doch ein richtiger Journalist ist Thorsten Mehwald nie geworden. "Ich war nicht offen. Ich hatte Vorurteile und behielt sie auch." Das passt zu jemandem, der sich mit Stolz zum Snobismus bekennt, vor allem in Sachen Musik. "Ich habe eine Menge CDs zu Hause, aber es sind nur wenige dabei, die ich wirklich mag." Der Umfang seiner Sammlung dürfte die Vorstellungskraft eines üblichen Konsumenten sprengen, gibt Thorsten doch etwa 200 Mark in der Woche für Platten aus. Und wie sich das gehört für einen Musikenthusiasten, hat er auch in einem Plattenladen gearbeitet. Mit 22 Jahren fängt er als Verkäufer bei "Groove-Attack" in Köln an. Das Geschäft war auf HipHop spezialisiert, dem nach der elektronischen Musik Thorstens zweite Liebe gilt.

Schon mit elf Jahren kannte er "Grandmaster Flash", den frühen König des Rap. Über die aktuellen deutschsprachigen HipHopper hat er allerdings nicht viel Gutes zu sagen. Mit 23 Jahren geht Thorsten in die Stadt, wo die Partys "viel angenehmer" waren als in Köln oder Frankfurt: Berlin. Wieder arbeitet er in dem heiligen Ort aller Musikfans, dem Plattenladen. Der gehört dem Berliner DJ "Kid Paul". Der habe bei Thorsten in Köln angerufen, weil sein Laden schlecht lief. "Aber da war nichts mehr zu retten", sagt Mehwald. Und verrät, wer Kid Paul damals mit dem Laden so über "den Tisch gezogen" hat, dass er seine DJ-Karriere aufgeben musste.

Er erzählt ohne Häme oder Neid, eher mit Verwunderung darüber, was die Reichen und Berühmten so alles anstellen. Beispielsweise die Gallagher-Brüder beim Interview oder der Boss des amerikanischen HipHop-Imperiums "Wu-Tang-Clan" im Berliner Hotelzimmer. Oder Virgin-Boss Richard Branson. Oder der ostdeutsche DJ-Star Paul Van Dyck. Aber Vorsicht: Thorsten schaut natürlich in die coole Seite des Sternenhimmels und tratscht nur über die korrekten Promis. Jetzt sitzt Thorsten Mehwald in einer Hinterhofetage am Schlesischen Tor in Kreuzberg und denkt sich Vermarktungskonzepte für die Musiker verschiedener kleinere Plattenfirmen aus. Die Firma "Labels" nimmt keine eigenen Künstler unter Vertrag, sondern gleich ganze Firmen, denen sie die Werbung und Promotionarbeit für Deutschland abnimmt. Diese suchen sich jedoch weiter selbst ihre Musiker, bestimmen also das Programm und können sich ihren "Independent"-Status erhalten. "Labels" arbeitet mit den Berliner Namen "City Slang" von Christof Ellinghaus und "Bungalow" zusammen, aber mit auch "Source" aus Frankreich, zu denen die Band "Air" mit ihren sanften Sounds gehört. Aus den USA kommt "Grand Royal" der Rap-All-Stars "Beastie Boys". Trotz seines Postens bei dem Virgin-Ableger, wo er etwas Neues aufbauen kann ("sehr angenehm"), sehnt sich Thorsten Mehwald an den heiligen Ort zurück.

"Manchmal wäre ich glücklich, wenn ich ein, zwei Mal die Woche in einem Indie-Plattenladen verkaufen könnte", sagt er. "Da kriegt man mit, ob eine Maxi gut läuft oder nicht, ob eine Band was wird." Bei soviel Musikleidenschaft, hätte da auch ein DJ aus ihm werden können? "Wie öde, wer will schon ein Star sein", sagt er und lacht - er scheint es ernst zu meinen. Er sei "immer glücklich im Hintergrund" gewesen.

Jasmin Jouhar

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