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Berlin: Mut und Anstand

F.C. Delius über die Ehrung der „EuropäischenUnion“

Spät, denkt man zuerst, kommt diese Ehrung für Georg Groscurth, Paul Rentsch und Herbert Richter. Wie gut wäre es gewesen, wenn ihre Witwen nach jahrzehntelanger Demütigung durch die Behörden und nach dem Freispruch für den MordRichter ihrer Männer, Rehse, diese Genugtuung noch erlebt hätten. Aber für solche hohen Ehren von Yad Vashem, die bislang 360 Deutschen zugesprochen wurden, gibt es kein spät oder gar zu spät, da wird, zu unser aller Vorteil, in größeren Dimensionen gedacht.

Die Widerstandsgruppe „Europäische Union“ dieser drei Männer und Robert Havemann ist bis in die 90er Jahre so gut wie unbekannt geblieben. Erinnerungen an ihre Taten löschte der Kalte Krieg. Im Westen galt die Gruppe wegen Havemann als kommunistisch, deshalb war es anrüchig, sich mit ihr zu befassen. In der DDR galt sie als nicht-kommunistisch, deshalb war es noch anrüchiger, sich gründlich mit ihr zu befassen. Und als Havemann von der DDR-Regierung isoliert und schikaniert wurde, zog die Stasi alles Archivmaterial über die Gruppe an sich, um gegen ihn Vorwürfe zu konstruieren – vergeblich. So kam alles, von den Verhörprotokollen der Gestapo bis zu den Zeugnissen der Nachkriegszeit, erst nach der Wende ans Licht.

„Gerechte unter den Völkern“, das klingt nach unerreichbaren, fast übermenschlichen Eigenschaften, nach auserwählten Ausnahmen. Dabei sind es die einfachen Reflexe des Anstands, die zum Widerstand gegen ein Verbrecher-Regime und zur Hilfe für die Verfolgten führen: Verstecken, wer gejagt wird und wem die Ermordung droht; mit Lebensmitteln versorgen, wer versteckt ist; ärztlich behandeln, wer in Gefahr ist und von Staats wegen nicht behandelt werden darf; mit falschen Ausweisen dem helfen, der auf der Flucht ist.

Für die Frauen und Männer der „Europäischen Union“ war das selbstverständlich. Sie taten das für Juden und andere Gegner der Nazis. Wie schwer das war, darüber sprachen sie nicht. Auch die nicht, die überlebt hatten. In Berlin hat es einige tausend solcher stillen Antinazis mit Mut und Anstand gegeben, die Juden versteckt und versorgt haben – Inge Deutschkron hat oft darüber geschrieben. Fürdie„Europäische Union“ war diese Hilfe der Kern ihrer Tätigkeit. Und doch liegt eine peinliche Frage über der Entscheidung aus Israel. Es fehlt Havemann. Wenn Groscurth, Rentsch und Richter zu den „Gerechten“ zählen, dann Havemann ebenso.

Der Autor des Beitrags, Friedrich Christian Delius, schrieb den Roman „Mein Jahr als Mörder“ über die Europäische Union und die Familie Groscurth. 301 Seiten, 20,50 Euro, Rowohlt.

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