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Roter Alarm. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD) waren als Aufsichtsratsmitglieder der Flughafengesellschaft für die Kontrolle der BER-Baustelle verantwortlich. Dass der Hauptstadtflughafen nicht termingerecht eröffnet werden kann, haben sie dennoch nicht kommen sehen. Beide sehen keinen Grund für persönliche Konsequenzen.

© dapd

Nach dem BER-Desaster: Warum Wowereit und Platzeck nicht zurücktreten werden

Die verschobene Flughafen-Eröffnung ist ein Desaster ohne Verantwortliche. Wowereit und Platzeck könnten damit durchkommen.

Er mag sich für unkündbar halten. Klaus Wowereit, Langstrecken-Regierender seit dem Jahr 2001, hat eine Menge Leute aufsteigen und abstürzen sehen. Nur ihm selbst ist nichts und niemand gefährlich geworden. Das könnte sich jetzt ändern. Erstmals seit Wowereits geschicktem Griff nach der Macht mitten in der Bankenaffäre wird ein „Desaster“ (Wowereit über die verpeilte Flughafeneröffnung) mit dem Skandal von damals verglichen. Und es werden Rechnungen aufgemacht.

Es rechnet zwar niemand im Ernst damit, dass der Flughafen – wie damals die Bankgesellschaft – zum finanziellen Problemfall wird. Doch weiß bisher keiner, welche zusätzlichen Kosten auf Berlin, Brandenburg und den Bund zukommen. Die „Jobmaschine“ Flughafen, um die der Regierende seit Jahren in jeder Regierungserklärung herumtanzte, startet jedenfalls aus den roten Zahlen. Und die werden noch roter. 40 000 Jobs? Kleinunternehmern, die sich auf die Eröffnung im Juni eingestellt hatten, soll „unbürokratisch“ durch finanzielle Engpässe geholfen werden. Mancher Shop-Betreiber wird einstweilen nichts verkaufen können. Es wird Klagen durch diverse Instanzen wegen nicht eingehaltener Zusagen geben, womöglich auch Pleiten kleiner Firmen. Mit der Jobmaschine sollen doch nicht bloß die Mitarbeiter der Berliner und Brandenburger Justiz beschäftigt werden? Oder ahnte Wowereit schon immer, dass der hochmoderne Flughafen nur mit „Mensch-Maschine-Schnittstellen“ zu betreiben sein wird – mit Leuten, die Türen von Hand schließen oder öffnen, weil deren automatische Steuerung nicht funktioniert?

Sicher ist eins: Wowereit wusste schon, warum er in seiner Regierungserklärung vom Donnerstag vergangener Woche von einem „Desaster“ sprach. Verantwortlich fühlt er sich nicht dafür. Das erinnert an seinen Vorgänger im Amt, Eberhard Diepgen, auch er war ein Langstrecken-Regierender. Diepgen wies noch im Mai 2001, kurz vor seiner Abwahl, die politische Verantwortung am Bankendesaster zurück – persönlich und für den damals schwarz-roten Senat. Die Ursache der Bankenkrise liege in gravierenden Fehleinschätzungen und im Missmanagement der Bank, so Diepgen im Abgeordnetenhaus. Und fügte hinzu, was sich als Langstrecken-Wahrheit erweisen sollte: Noch schwerer als der materielle wiege der psychologische Schaden für die Stadt.

Die Bauarbeiten in Schönefeld schritten scheinbar voran - doch dann passierte die Katastrophe. Die Ereignisse in Bildern:

Wenig später wurde dem CDU-Politiker die Verantwortung für die Krise sozusagen aufgedrängt. Sein Regierungspartner SPD, angeführt von den Chefstrategen Peter Strieder und Klaus Wowereit, kündigte ihm das Vertrauen. Diepgen wurde aus dem Amt gewählt, ohne die politische Verantwortung für die Krise – und deren Bewältigung – übernehmen zu dürfen oder zu müssen.

Die Übernahme der Verantwortung für ein Desaster ist eine zwiespältige Sache. Man muss nicht lange googeln, um auf drei Namen und drei politische Schicksale zu stoßen, die erzählen, wie kompliziert die Sache ist. Im Herbst 2008 verlor eine der zentralen Figuren der ersten Finanzkrise ihren Job: Georg Funke, Vorstandsvorsitzender der Desaster-Bank HRE, die mit mehr als 100 Milliarden Euro Steuergeldern stabilisiert werden musste. Furore machte der Desaster-Manager dann als Klagender in eigener Sache: Vor Gericht forderte er von seinem ehemaligen Arbeitgeber HRE 3,5 Millionen Euro Abfindung und 47 000 Euro Rente. Man könnte von einem ausgeprägten Sinn für Eigenverantwortung sprechen: Prinzip Selbstverantwortung.

Manche Politiker nehmen sich das Prinzip zu Herzen - und treten auch mal deswegen zurück. Aber es gibt auch krasse Gegenbeispiele.

Das Gegenteil zeigte wenig später der Fall Franz-Josef Jung: Im November 2009 übernahm der heute fast vergessene Verteidigungsminister die „politische Verantwortung“ für das Informationsdesaster nach einem Luftschlag der Bundeswehr im afghanischen Kundus. Anfang September hatte ein deutscher Oberst den Angriff amerikanischer Kampfjets auf zwei Tanklaster angeordnet – 142 Menschen sollen dabei getötet oder verletzt worden sein. Während schon Berichte über getötete Kinder kursierten, behauptete Jung noch, bei der Explosion der Tankzüge seien ausschließlich Taliban ums Leben gekommen. Das erwies sich als Irrtum. Jung zog die Konsequenzen und trat zurück.

Auch diese Haltung lässt sich in ihr Gegenteil verkehren, wie das Beispiel Adolf Sauerland zeigte. Mit Konsequenz vor allem an Sturheit bestritt der Oberbürgermeister von Duisburg jede persönliche Verantwortung für das Sicherheitsdesaster bei der Loveparade 2010. Bei der gigantischen Tanzparty waren 21 Menschen ums Leben gekommen, als in dem Tunnel, der aufs Festgelände führte, eine Panik ausbrach. Monatelang stritten Organisatoren und Polizei darum, wer die entscheidenden Fehler gemacht habe. Sauerland verhielt sich so, als habe das Rathaus mit all dem nichts zu tun und ignorierte auch, dass ihn der damalige Bundespräsident Christian Wulff an die „politische Verantwortung“ erinnerte, die Sauerland womöglich übernehmen müsse. Das ging so lange, bis ein größerer Teil der Bürger Duisburgs den Mann unerträglich peinlich fand, ihm gewissermaßen die Verantwortung abnahm und ihn im Februar dieses Jahres per Volksentscheid aus dem Amt entfernte.

Wowereits Rücktritt fordert derzeit einzig eine Friedrichshagener Bürgerinitiative. Deren Mitglieder grollen dem Regierenden vermutlich noch wegen dessen Haltung im Streit um die Flugrouten. Doch nicht mal die Berliner Grünen, Spezialisten für politische Moral, wollen, dass Wowereit die Konsequenzen für sein Versagen als Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft zieht und auch nur eines seiner Ämter zur Verfügung stellt.

Es ist, als sei auch die Opposition im flughafendesastermäßig vereinigten Berlin-Brandenburg unter Schock. Die Grünen hatten in einer ersten Reaktion auf die Terminverschiebung noch gespottet, Wowereit habe Rot-Grün nicht gewollt, weil man mit den Grünen keine Infrastrukturpolitik machen könne – und jetzt das! Seither kamen von ihnen nur noch Rufe nach Transparenz. Die Linke? War bis zum Herbst 2011 im Aufsichtsrat und dort offenbar auch nicht wacher als Wowereit. In Brandenburg verlangt CDU-Generalsekretär Dieter Dombrowksi von Wowereits Aufsichtsratskollegen Matthias Platzeck, dass dieser sich „seiner Verantwortung stellt“. Grünen-Fraktionschef Axel Vogel verlangte immerhin den Rücktritt des Aufsichtsrats: Wowereit und Platzecks sollten Aufsichtsräten Platz machen, die ihre Aufgaben „sachgerecht“ erfüllen würden.

Das werden die beiden jetzt versuchen – indem sie im Amt bleiben. Wie hatte Wowereit in seiner ersten Regierungserklärung 2012, am 12. Januar, noch getönt? „Das wichtigste Datum“ des Jahres sei die Flughafen-Eröffnung „am 3. Juni“ – keine Ahnung vom kommenden Desaster. Wowereit und Platzeck verstehen das Prinzip Verantwortung jetzt wohl so, dass sie Pflichtverletzungen zu heilen versuchen – und danach auf das Prinzip Vergessen setzen. Darauf war beim Wahlvolk schon immer Verlass.

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