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Schule

© Kleist-Heinrich

Nach dem Brandbrief: Blick in den Notlagenbezirk

Mitte ist nicht nur schick. Vielmehr klagen Schulleiter über die maroden Gebäude, in denen unterrichtet werden muss. Jetzt ist auch das Kanzleramt aufgeschreckt worden.

Birsen Özata, 35, musste lange nach einer Schule für ihren Sohn suchen. Die türkischstämmige Berlinerin aus Mitte legt Wert auf Bildung bei ihrem Siebenjährigen. „Diese hier fand ich zu heruntergekommen“, sagt Özata und nickt mit dem Kopf zu dem roten Backsteinbau der Gustav-Falke-Schule in Wedding, vor dem sie auf die Kinder einer Freundin wartet.

Die Leiterin der Schule in der Strelitzer Straße, Karin Müller, würde das sofort unterschreiben. „Das letzte Mal wurde die Schule vor 30 Jahren saniert“, sagt sie und seufzt, „und in manchen Klassen hat jedes Kind einen Migrationshintergrund“. Die Rektorin wundert sich nicht, dass sich die Zahl ihrer Schüler seit den 90er Jahren fast halbiert habe.

Ein kurzer Blick in das Gebäude genügt, um nachzuvollziehen, was jetzt die Schulleiter von Mitte wie berichtet in einem öffentlichen Brief an den Bezirksbürgermeister kritisiert haben: „Die bauliche Unterhaltung unserer Schulen bietet nicht einmal den normalen Standard“, steht da. Tatsächlich sind die Wände im denkmalgeschützten Gebäude der Gustav-Falke-Schule verdreckt, der Putz löst sich in langgezogenen Rissen von der Wand, darunter scheint braun gefleckter Beton vor. Auf den Fluren herrscht konstant 15 Grad, und den Schultoiletten mangelt es an Hygiene.

Zweieinhalb Jahre nach dem Hilferuf der Neuköllner Rütli-Schule befeuert nun erneut ein Brandbrief die Debatte um Schulen in Berlin. Müller hat ihn ebenso unterschrieben, wie 67 weitere Kollegen. „Der Bezirk Mitte steht vor seinem bildungspolitischen Aus“, heißt es darin. Bemerkenswert an dem Schreiben ist nicht zuletzt seine Herkunft, denn die maroden Schulen befinden sich im selben Bezirk wie das Kanzleramt, der Bundestag und schicke Viertel wie das um den Hackeschen Markt.

Ein genauer Blick auf den Bezirk kann das erklären: 2001 wurden Mitte, Wedding und Tiergarten zum Großbezirk Mitte zusammengefügt, in dem rund 45 Prozent der Bewohner einen Migrationshintergrund haben. Die überwiegende Zahl davon lebt in Wedding und Tiergarten. Zum Vergleich: Der soziale Brennpunkt Neukölln kommt mit 39 Prozent Zuwanderern erst an zweiter Stelle. In den (öffentlichen) Schulen von Mitte ist der Anteil noch höher: Zwei von drei Schülern haben zugewanderte Eltern, an Gesamtschulen sogar 77 Prozent.

Dass die Probleme so nahe liegen, hat nun auch das Kanzleramt erreicht: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), will die Schulleiter in Kürze ins Kanzleramt einladen. „Die Staatsministerin will sich selbst ein Bild von der Lage machen“, sagt ein Sprecher von Böhmer. Sie nehme das Schreiben sehr ernst.

Auslöser für den Brandbrief war eine Schulleiter-Sitzung, bei der die Stadträtin für Bildung, Dagmar Hänisch (SPD) ankündigte, dass 6,7 Millionen Euro Zuwendungen für die Gebäudepflege der Schulen nicht länger zugesichert werden könnten. „Es handelt sich um Geld, das unsere Verwaltung auf die Senats-Mittel für Schulen drauflegt“, sagt Christian Hanke (SPD), Bezirksbürgermeister von Mitte.

Der Hintergrund: Der Senat berechnet das Budget für Schulen pro Schüler und nicht nach Quadratmetern einer Schule. Doch seit einigen Jahren gibt es in Mitte immer weniger Schüler, während die Schulgebäude gleich groß bleiben. Ein Teufelskreis: Aufgrund der maroden Zustände an den Schulen sinkt die Zahl der Schüler, also auch die Zuweisungen des Senats.

Statt aber deshalb Schulen zu schließen, zahlt der Bezirk seit fünf Jahren die Differenz zwischen der Senatszuweisung und dem realen Bedarf. Doch nun gibt es ein Problem: „2008 haben wir 13 Millionen Schulden gemacht“, sagt Hanke. „Wir sind heute ein Haushaltsnotlagenbezirk.“

Einen Lösungsansatz sieht Bezirksstadträtin Hänisch in einer neuen Rechenart für das Schulbudget. „Den sozial schwächeren Bezirken müssten pro Schülern 10 Prozent mehr angerechnet werden“, sagt sie. Abgezogen werden sollte das Geld den wohlhabenderen Bezirken.

Ferda Ataman

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