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Berlin: Nach dem ersten Niederlagenzyklus der SPD: Der Kanzler muss Parteivorsitzender werden

Seit den Bundestagswahlen hatten die Bürger in den Ländern 15 Mal Gelegenheit, ihre Stimme abzugeben, und die Sozialdemokratie verlor alles in allem 40 Prozent. Sie ist zurückgeworfen auf ihre Stammwählerschaft.

Seit den Bundestagswahlen hatten die Bürger in den Ländern 15 Mal Gelegenheit, ihre Stimme abzugeben, und die Sozialdemokratie verlor alles in allem 40 Prozent. Sie ist zurückgeworfen auf ihre Stammwählerschaft. Doch zeigt Berlin auch: Das Desaster stagniert - woraus der künftige SPD-Generalsekretär Müntefering den gewagten Schluss zieht, dass es jetzt aufwärts geht.

Nachdem Berlin gewählt hat, herrscht vorerst Ruhe an der Wählerfront. Es gibt nun, in den Wochen vor Weihnachten und bis zum nächsten Mal, bis Ende Februar in Schleswig-Holstein, für die SPD eine Phase der Besinnung und der Orientierung. Gerade weil ja der Regierungskurs gehalten werden soll, ist Zeit zum Nachsteuern, vor allem nach innen, da, wo die Nervosität groß ist und die Zweifel stark sind.

Franz Müntefering hat die Richtung vorgegeben. Konzentration lautet eines seiner Stichworte, Kontroverse ein anderes. Hier zeigt sich der Einfluss, den der neue Generalsekretär schon nimmt: Was bisher war, auch das Ergebnis von Berlin zählt dazu, muss wegen des Erhalts der Macht im Bund möglichst schnell überwunden werden. Aus diesem Grund hat Müntefering, der Machttechniker, nur wenig Gelegenheit für partei-interne Diskussionen gegeben, die sich aus den Niederlagen speisen.

Das erinnert an die Methode dessen, den man als Kanzler und Vorsitzenden der CDU die "Machtmaschine" nannte: an die Methode Helmut Kohls. Die Methode bedeutet, einen Rahmen für die Auseinandersetzung vorzugeben, und ihr Ende sowohl zeitlich als auch inhaltlich zu dekretieren. Zum Schluss hat Kohl diese Rahmensetzung nicht mehr durchzuhalten vermocht. Müntefering aber fängt erst an: Die Genossen werden sich bis zum Parteitag in Berlin Anfang Dezember auf verschiedenen Foren äußern dürfen, auf dem Parteitag dann wird seine Regie den Verlauf beherrschen, und danach soll die Form von Ruhe einkehren, für die ein Müntefering garantiert: Disziplin. Kontroverse, dieses Wort bedeutet für den SPD-Generalsekretär vorrangig nicht interne inhaltliche Auseinandersetzung, sondern "Beißfähigkeit" gegenüber dem politischen Gegner.

Vor einem Jahr noch galt die SPD als modernste Partei Europas, heute ist sie schon wieder reformbedürftig. Vordergründig weisen das die Wahlergebnisse aus, darüber hinaus spielt eine Rolle, dass die SPD auch ein Jahr nach dem Wahlsieg im Bund nicht wirklich regiert. Sie steht zwar in der Regierungsverantwortung, aber sie nimmt diese Verantwortung als Partei nicht wahr. Die SPD lässt sich regieren - das ist zu wenig.

Zu viele der 760 000 Mitglieder sind immer noch "oppositionskonditioniert", wie es die undogmatische Jugend der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nennt. Diese Neigung zur Opposition, zumal auch den eigenen Regierenden gegenüber, teilt sich den Wählern, teilt sich allen außerhalb der SPD mit. Die sollen aber dennoch die Sozialdemokraten in die Regierung wählen. Den Widerspruch muss die Partei in der jetzt kommenden Zeit auflösen.

Insofern geht es weniger um die personelle Statik der Partei, die durcheinander geraten sei, wie Franz Müntefering sagt, als um die inhaltliche. Die Wahlkämpfe bis hin zu dem in Berlin weisen aus, dass mit den Begriffen "Innovation" und "Gerechtigkeit" nach wie vor Wahlen zu gewinnen sind. Allerdings dürfen sie nicht länger als ein Gegensatzpaar behandelt werden oder als einander bestenfalls ergänzend, vielmehr muss eine neue Vorstellung von Gerechtigkeit vermittelt werden.

Gerhard Schröder hat in seiner Rolle als Parteivorsitzender knapp vor der Wahl in Berlin damit angefangen, und welche Chance sich für die Zukunft - nach Berlin - bietet, haben der IG-Metall-Kongress und die Parteiveranstaltungen in Hamburg und in Schleswig-Holstein demonstriert: Es gab Jubel für den Kanzler, als der in einem inhaltlichen Punkt nachsteuerte, indem er seine Version sozialer Gerechtigkeit erläuterte. Damit begann Schröder, die Begriffe Innovation und Gerechtigkeit zu vitalisieren - zu spät für die Wahlen in Berlin, aber noch rechtzeitig für die Phase der Besinnung innerhalb der Sozialdemokratie.

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