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Berlin: Nach dem Machtwechsel: Den Haudrauf wird er niemals geben. Der neue SPD-Fraktionschef Michael Müller

Als Michael Müller in der turbulenten Parlamentssitzung am 14. Juni für die SPD die Abwahlanträge gegen Eberhard Diepgen und die CDU-Senatoren begründete, wirkte er sehr befangen.

Als Michael Müller in der turbulenten Parlamentssitzung am 14. Juni für die SPD die Abwahlanträge gegen Eberhard Diepgen und die CDU-Senatoren begründete, wirkte er sehr befangen. Deutliche Worte, aber kein Pathos, keine Polemik, es war direkt zum Gähnen, wie er jeden wohlüberlegten Satz vorlas. Kaum dass er die Augen vom Redetext hob und in die erregte Runde blickte. Michael Müller war aufgeregt, denn er wusste, was auf ihn zukam. Am Dienstag wählte ihn die SPD-Fraktion zu ihrem Fraktionschef, zum Nachfolger von Klaus Wowereit. Er war der Wunschkandidat des neuen Regierenden Bürgermeisters, also wählte ihn die Fraktion prompt einstimmig. Von den 42 Fraktionsmitgliedern waren jedoch nur 39 anwesend.

Zum Thema Online Spezial: Machtwechsel in Berlin Der Auftritt im Plenum am Donnerstag war typisch für Müller, den Stillen, der bisher nach außen nicht viel auffiel. Er gilt als sachlich, überlegt, liebenswürdig und uneitel. Seine Genossen kennen auch die Kehrseite dieses Naturells. Ihm fehle "der Biss", heißt es, der "Schuss polemischer Farbe", das rhetorische Talent. Den Haudrauf wird er wohl nie geben. Größer könnte der Kontrast zum CDU-Fraktionschef Frank Steffel nicht sein. "Ich habe verdammt viel Respekt vor der neuen Aufgabe", sagt er herzlich bescheiden. Ja, auch die Herzlichkeit nimmt man ihm ab.

Vielleicht schwimmt sich Herr Müller noch frei, vielleicht ist er Herrn Wowereit auch gerade so recht, wie er ist. Die Polarisierung ist groß seit dem Machtwechsel mit Hilfe der PDS; dem Regierenden Bürgermeister steht nicht der Sinn danach, dass sich die SPD auf den Bolzplatz begibt. Sie soll die CDU-Erregungen "ablaufen" lassen.

Michael Müller macht mit 36 eine Blitzkarriere, ehe er sich versieht. Die Personaldecke in der SPD ist dünn, und die Jungen sollen jetzt wie in der CDU nach vorn. Wowereit hat sie protegiert. Vor ein paar Monaten postierte er Müller als seinen Stellvertreter. Christian Gaebler, der nur einen Tag älter ist als Müller, war es da schon. Auch Gaebler wäre gern Fraktionschef geworden. Er hat großen politischen Ehrgeiz, aber er wirkt nicht geschmeidig und elastisch wie Müller, eher verbissen als verbindlich. Da nun die neue Einigkeit sein muss und er mit Müller befreundet ist, verzichtete er auf die Gegenkandidatur, sicher nicht leichten Herzens. "Wir wollten nicht gegeneinander antreten, wir haben uns geeinigt", sagen beide. Die Wortgleichheit verblüfft denn doch.

Nur ist Müller eben ein Vertrauensmann von Wowereit, ein Weggefährte aus Tempelhof. Wowereit war dort schon fünf Jahre Volksbildungsstadtrat, als Müller in die BVV einzog, mit gerade 25. Seit 1996 gehört er dem Abgeordnetenhaus an, rasch avancierte er zum wirtschaftspolitischen Sprecher seiner Fraktion. Seit ein, zwei Jahren wurde er von der Wowereitschen Umgebung fleißig als Nachwuchstalent gelobt, als stilles tiefes Wasser.

Michael Müller - verheiratet, zwei Kinder - ist der einzige Nichtakademiker unter den Fraktionschefs im Abgeordnetenhaus. Seit einer halben Ewigkeit gab es das nicht bei der SPD und anderen. Er gilt als intelligent, tüchtig und bodenständig. Nach der mittleren Reife besuchte er eine Fachoberschule für Wirtschaft und Verwaltung und machte dann eine kaufmännische Lehre. Er ist Juniorchef eines kleinen Familienbetriebes, einer Druckerei mit vier Beschäftigten. Folglich weiß er um die Nöte des kleinen Mittelstandes, in den er hineingeboren wurde. Kann der die Fraktion so auf Linie halten, wie es Wowereit konnte? Er muss nun in stürmischer Zeit alle Kraft in die Politik investieren.

Vater Jürgen Müller wird das verstehen. Er ist nicht nur der Seniorchef der Firma, sondern auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen in der SPD. Die Großmutter sagt, sie sei "eine Schwarze mit roter Familie". Sie hat einen Kosmetiksalon, ist in der CDU-Mittelstandsvereinigung in Kreuzberg aktiv und macht Enkel "Micha" tüchtig Vorhaltungen, "aber nur politisch". Sie steht fest zur Union. Er lacht in dieser Frage nur liebevoll nachsichtig. Deshalb gibt es keinen Familienkrach, bloß Neckereien.

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