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Berlin: Nach der Kür ist vor der Pflicht Die Sozialisten gewöhnen sich noch an die Regierungsverantwortung

„Bloß nicht vorpreschen“, lautete die Devise bei der PDS, als sich Anfang des vergangenen Jahres peu à peu das Ausmaß der Berliner CDU-Spendenaffäre abzeichnete. Noch Anfang März bezeichnete Petra Pau, damals PDS-Landesvorsitzende, das Gesprächsangebot der Grünen an SPD und PDS als „politisches Abenteurertum“.

„Bloß nicht vorpreschen“, lautete die Devise bei der PDS, als sich Anfang des vergangenen Jahres peu à peu das Ausmaß der Berliner CDU-Spendenaffäre abzeichnete. Noch Anfang März bezeichnete Petra Pau, damals PDS-Landesvorsitzende, das Gesprächsangebot der Grünen an SPD und PDS als „politisches Abenteurertum“. So schnell wollten die Sozialisten auch gar nicht an die Regierung. Erstens hatten sie sich für eine Regierungskoalition mit der SPD erst ab 2004 ausgesprochen. Zweitens wollte man die Berliner SPD auf gar keinen Fall in die Situation bringen, Angebote der PDS zur Regierungsbeteiligung ablehnen zu müssen. Dieser Tabubruch war noch nicht vollzogen.

Im Januar 2001 gingen Carola Freundl und Harald Wolf mit dem Diskussionspapier „Vor der Kür kommt die Pflicht“ an die Öffentlichkeit. Kritisch setzten sich darin die beiden Fraktionsvorsitzenden mit ihrer Partei auseinander. Ein Gesamtkonzept einer Reformpolitik fehle, die „politische Substanz“ für einen Regierungswechsel sei noch nicht erarbeitet. Profilveränderungen der sozialistischen PDS durch ein Bündnis mit der SPD sahen Freundl und Wolf als „reale Gefahr“.

Zögerlich stimmte die PDS im Frühjahr 2001 einem Politikwechsel in Berlin zu, beeilte sich aber schnell hinzuzufügen, dass man sich nicht als „Westentaschenkarte der SPD“ benutzen lassen werde. Nach Neuwahlen, Sondierungsgesprächen und der SPD-Entscheidung für Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP hörte man keine vollmundigen Töne mehr. Die Tür, durch die man „vielleicht noch einmal gehen muss“, sagte Petra Pau, wolle man nicht zuknallen. „In Augenhöhe“ und in einer „sehr komfortablen Situation“ werde man sich vielleicht wiedertreffen.

Jubelschreie hörte man bei der PDS nach dem Scheitern der Gespräche nicht. Die Genossen waren überrascht – und eigentlich schon auf dem Rückzug in die Opposition. Tatsächlich war die Verhandlungssituation sehr komfortabel: SPD und PDS konnten auf die schon ausgearbeiteten rot-gelb-grünen Arbeitspapiere zurückgreifen. Dass man sich beim letzten großen Punkt, der Haushaltskonsolidierung, schnell einig wurde, lag auf der Hand: Monate zuvor hatte die PDS ein Konsolidierungsprogramm aufgelegt.

Trotz des guten Klimas in der Koalition ist den Sozialisten nicht wohl: Rot-Rot – und vor allem das frühere „Schmuddelkind“ PDS – wird am Erfolg oder Misserfolg der Konsolidierungspolitik und der Solidarpaktgespräche mit den Gewerkschaften gemessen. Unter dem Deckmantel der sozialen Gerechtigkeit lassen sich aber Kürzungen vor allem im PDS-verwalteten Sozialbereich nicht gut verkaufen. Auch die von PDS–Wirtschaftssenator Gysi im Wahlkampf angeprangerte Misswirtschaft wird dadurch nicht besser, wenn Fördermechanismen umgestellt werden, Investoren in der Stadt aber ausbleiben. Und die Solidarpakt-Gespräche mit den Gewerkschaften haben gerade erst begonnen, da weht den Genossen der Gegenwind schon scharf ins Gesicht. Der Spagat zwischen Regierungsverantwortung, dem Anspruch, treibende Kraft in der Koalition zu sein und als Garant für Reformpolitik aufzutreten, wird immer schwieriger. Allein eine angenehme Ausstrahlung bei der Kür gibt noch keine guten Noten. Dass die Partei auch die technischen Grundlagen im Pflichtteil beherrscht, muss sie dauerhaft zeigen. Sabine Beikler

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