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Einfach mal locker bleiben: Berliner und Regierung sollten gemeinsam arbeiten - ganz unverkrampft.

© dpa

Nach der Tempelhof-Entscheidung: „Hört endlich den Berlinern zu“

Wie geht’s weiter nach Tempelhof? Unsere Debatten-Serie nach dem Volksentscheid: Tilmann Heuser vom BUND schreibt über Senatsfehler beim Wohnungsbau – und nicht umgesetzte Pläne.

Entgegen vielen Interpretationen in Politik und Medien signalisiert das eindrucksvolle Ergebnis des Volksentscheids am 25. Mai vor allem eines: Die Berlinerinnen und Berliner sind nicht bereit, das aufgrund seiner Historie, seiner vielfältigen Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten und seines hohen Wertes für Natur und Stadtklima einzigartige Tempelhofer Feld für unausgegorene und übereilte Baupläne des Senates zu opfern. Es ist damit ein Votum für eine sorgsame und nachhaltige Stadtentwicklung gemeinsam mit den Bürgern.

Für eine Sehnsucht nach Stillstand und Unwillen gegen Veränderung oder Wohnungsneubau gibt es dagegen keine Anzeichen: Von den 10 000 Baugenehmigungen für neue Wohnungen im letzten Jahr stießen die wenigsten auf Widerstand, gestritten wird meist über das „Wie“ und das „Für-wen“, nicht das „Ob“ eines Neubaus.

Veränderungen wahrnehmen statt Misstrauen zu säen

Dies gilt ebenso grundsätzlich für die Entwicklung fast aller Flächen, die die Stadtentwicklungsverwaltung als Potenzial für den Neubau von mehr als 220 000 Wohnungen ermittelt hat. Gewerbe- und Industriebrachen, ineffizient genutzte Grundstücke, leerstehende Bürogebäude, überbreite Straßenschneisen schreien geradezu danach, mit einer baulichen Umgestaltung urbane Lebensqualität zurückzugewinnen – auch und gerade in der Innenstadt. Das breit akzeptierte Planwerk Innenstadt der Stadtentwicklungsverwaltung mit einem Potenzial von mehr als 14 000 Wohnungen harrt jedoch seit Jahren seiner Umsetzung.

Kritische Nachfragen zu Verkehrsproblemen, zu Auswirkungen von teuren Neubauwohnungen auf das Mietniveau im Kiez, zur Sicherung wertvoller Grünflächen, zu einer bemerkenswert uninspirierten Architektur bedeuten meist keine generelle Ablehnung von Bauvorhaben. Sie drücken vielmehr das Engagement der Berlinerinnen und Berliner für ihren Lebensraum, ihre Stadt und ihre Zukunft aus.

Sie ernst zu nehmen, bietet die Chance, gemeinsam die Veränderung in Berlin zu gestalten. Sie zu missachten, sät Misstrauen und erzeugt Wutbürger. Größere Konflikte entstehen dort, wo auf ehemals öffentlichen Flächen der Bahn oder der Post um das Primat der kommunalen Planungshoheit gegen die Interessen von Investoren an günstig erworbenen Flächen gerungen wird. Prägnante Beispiele sind hier der Mauerpark oder die Kleingartenkolonie Oeynhausen.

Tilmann Heuser
Tilmann Heuser

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Die Experten vor der Haustür fragen

Politik und Senat müssen daher nicht – wie vom SPD-Parteivorsitzenden Jan Stöß in seinem Tagesspiegel-Beitrag gefordert – für mehr Veränderungsbereitschaft und für ein Ja zu Neuem werben. Vielmehr müssen Politiker endlich lernen, den wahren Experten für Stadtentwicklung zuzuhören: den Berlinerinnen und Berlinern. Diese wissen aus eigenem Erleben, wo die Probleme der Stadt liegen, wo Veränderungen dringend notwendig sind, was gemacht werden muss.

Verändern muss sich vor allem eine Politik, die sich immer noch gerne in Leuchtturmprojekten, Masterplänen und Strategiepapieren inszeniert, statt gemeinsam mit den Bürgern die Probleme auf dem Wohnungsmarkt und der Stadtentwicklung mit intelligenten, finanzierbaren sowie nachhaltigen Konzepten anzupacken.

Öffnung der politischen Prozesse ist notwendig

Gemeinsam die Entwicklung Berlins zu gestalten, bedeutet ein Mehr an Bürgerbeteiligung bei der Vorbereitung planerischer oder politischer Entscheidungen. Ein Mehr von Beteiligung ist jedoch kein Selbstzweck, der sich in einer Vielzahl von Bürgerbeiräten, Planungswerkstätten oder Berlin-Foren manifestiert und schließlich in der Erschöpfung aller Beteiligten endet. Notwendig ist vielmehr eine Öffnung und effiziente Gestaltung politischer Entscheidungs- und Planungsprozesse.

Je frühzeitiger Bürgerinnen und Bürger eingebunden werden, desto transparenter, fairer und ergebnisoffener die Diskussionen gestaltet werden, desto eher lassen sich gemeinsame Lösungsansätze formulieren. Oder aber alternative Handlungsmöglichkeiten definieren, über die am Ende das einzig demokratisch legitimierte Entscheidungsgremium entscheiden muss: das Parlament. Dessen Handeln oder Nichthandeln können Bürgerinnen und Bürger nicht nur bei Wahlen, sondern auch mit Volksbegehren korrigieren, wie Wassertisch, Energietisch, Tempelhof oder das Kita-Volksbegehren eindrucksvoll gezeigt haben.

Erst mit dem Interventionsinstrument der direkten Demokratie wird die Politik zum Zuhören gezwungen.

Tilmann Heuser

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