zum Hauptinhalt
Wurde das Verfahren gegen einen Neonazi unnötig in die Länge gezogen? Und lag das womöglich an Überlastung?

© Ralf Hirschberger/dpa

Nach Freilassung von Neonazi in Brandenburg: Richterbund verteidigt Justizminister – und kritisiert ihn

Der brandenburgische Richterbund weist Rücktrittsforderungen des Justizminister. Kritik gibt es dafür an einer geplanter Gesetzesänderung.

Von Sandra Dassler

Nauen/Potsdam/Cottbus - Die Vorsitzende des brandenburgischen Richterbunds, Claudia Cerreto, hat Forderungen nach einem Rücktritt des brandenburgischen Justizministers Stefan Ludwig (Linke) zurückgewiesen. „Ich kann die Empörung vieler Menschen verstehen“, sagte sie am Sonntag dem Tagesspiegel: „Aber der Minister allein trägt nicht die Schuld am bedenklichen Zustand der Justiz in Brandenburg.“

Die Rücktrittsforderungen waren am vergangenen Wochenende laut geworden, nachdem der Ex-NPD-Politiker Maik Schneider wegen zu langer Verfahrensdauer auf Anordnung des Oberlandesgerichts (OLG) auf freien Fuß kam. Schneider war 2017 wegen eines Brandanschlags auf ein geplantes Flüchtlingsheim in Nauen und weiterer Delikte zu neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Weil das Urteil noch nicht rechtskräftig war, saß Schneider seit 2016 in U-Haft. Das OLG hatte die Freilassung mit „vermeidbaren Verzögerungen durch die Justiz“ begründet.

Justizminister Ludwig hatte den Vorgang als bedauerlichen „Einzelfall“ bezeichnet, obwohl es immer wieder zu ähnlichen Geschehnissen kommt. So hatte erst vor wenigen Wochen ebenfalls in Potsdam ein wegen Mordes an seiner Frau verurteilter Mann freigelassen werden müssen. Auch bei anderen Gerichten des Landes werden nach Tagesspiegel-Informationen immer wieder Verhandlungen unterminiert, um Entlassungen aus der U-Haft zu vermeiden. Oder die Strafen müssen wegen der überlangen Verfahrensdauer milder ausfallen.

Der Grund für all dies ist die seit Jahren chronische Unterbesetzung von Gerichten und Staatsanwaltschaften in Brandenburg. Das betrifft vor allem die Strafgerichte – in Cottbus musste deswegen eine ganze Strafkammer geschlossen werden –, aber auch die Verwaltungs- und Sozialgerichte sowie Staatsanwaltschaften.

Die immer wieder wiederholte Formulierung des Justizministers, wonach die „ordentliche Gerichtsbarkeit in Brandenburg auskömmlich besetzt“ sei, war von vielen Beschäftigten als Hohn aufgefasst worden.

„Ich kann das sehr gut nachvollziehen“, sagte Claudia Cerreto, die selbst das Amtsgericht in Nauen leitet, „aber gerade Stefan Ludwig hat, seit er Justizminister ist, für mehr Stellen gekämpft. Wenn er sich damit nicht durchsetzen konnte, wenn das von anderen Politikern und auch vom Landtag anders gesehen wird, kann man ihm nicht die alleinige Schuld zuweisen.“

Außerdem sei im „Fall Schneider“ noch gar nicht klar, ob es tatsächlich an Personalmangel gelegen habe: „Und auch wenn es mehr als ärgerlich ist – wir sind nun mal ein Rechtsstaat“, sagte Cerreto. „Die Gesetze sind einzuhalten.“

Kritisch sieht der Richterbund, sagte Cerreto, aber eine in Brandenburg geplante und oftmals mit der Personalnot begründete Änderung des Richtergesetzes. Ein jetzt in den Rechtsausschuss des Landtags überwiesener Gesetzentwurf sieht vor, dass Richtern künftig generell und auch gegen ihren Willen ein zweites Richteramt übertragen werden kann.

Der Sprecher des Justizministers, Uwe Krink, bestätigte das: Dass Richter gegen ihren Willen nicht versetzt werden könnten, sei schon ein Grund für Zurückhaltungen bei den Einstellungen, sagte er: „Man muss ja immer auch bedenken, ob die sozusagen auf Lebenszeit besetzte Stelle in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren noch notwendig ist. Ansonsten würden Steuergelder verschleudert.“

Das spiele auf die Situation bei den Arbeitsgerichten an, sagt Claudia Cerreto. Dort gebe es seit Jahren weniger Verfahren, sodass einige Arbeitsrichter nicht ausgelastet wären. Sie hält dies jedoch für ein zeitweiliges und lösbares Problem. „In den nächsten fünf bis zehn Jahren gehen zwei Drittel aller Kollegen in den Ruhestand“, sagt sie. „Dadurch kann man die Besetzung der Stellen nach Bedarf sehr gut steuern. Deshalb ist diese Gesetzesänderung zwar rechtlich zulässig, aber in der praktischen Umsetzung schwierig und verfassungsrechtlich sehr zweifelhaft.“ Das Grundgesetz garantiere die Unversetzbarkeit eines Richters auch deshalb, um seine Unabhängigkeit zu schützen. In der NS-Zeit seien unliebsame Richter abgesetzt oder zwangsversetzt worden.

Zwölf Newsletter, zwölf Bezirke: Unsere Leute-Newsletter aus allen Berliner Bezirken können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de

Zur Startseite