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Nur zu Beginn blieb die Demonstration in Friedrichshain friedlich.

© dpa

Nach Krawallen in Berlin-Friedrichshain: Frank Henkel bleibt kompromisslos

Berlin erlebte am Samstag die nach Polizeiangaben gewalttätigste Demonstration seit fünf Jahren. Wie kam es zu dieser Eskalation und wie reagiert die Politik? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Mehr als 120 verletzte Polizisten, 86 Festnahmen, zahlreiche Strafverfahren wegen schweren Landfriedensbruch oder Widerstands gegen Polizeibeamte – die Bilanz der Polizei am Tag danach ist drastisch. Die Demonstration der linksautonomen Szene am Samstagabend in Friedrichshain war nach Angaben der Beamten die gewalttätigste Demonstration der zurückliegenden fünf Jahre in Berlin.

Worum ging es den Demonstranten?

Es ging vor allem um ein Haus, die Rigaer Straße 94 in Friedrichshain. 300 Polizisten hatten am 22.Juni Teile des linken Wohnprojektes, nämlich die Dachböden und die illegal betriebene Hausbesetzerkneipe Kadterschmiede geräumt. Das wurde als Kampfansage des Staates „auf unsere Strukturen“ gewertet. Und dann ging es den rund 3500 Demonstranten auch um die von Kritikern sogenannte Gentrifizierung von Friedrichshain im Allgemeinen und der Rigaer Straße im Besonderen. Stadtweit waren 1800 Beamte im Einsatz, davon etwa 700 direkt bei der Demonstration, die meisten anderen waren in Friedrichshain im Einsatz.

Wie verlief die Demo am Samstagabend?

Nur ganz zu Beginn friedlich, dann hochaggressiv und gewaltsuchend. Tausendfach wurde „Bullenschweine raus aus der Rigaer“ und ähnliches skandiert. Mehr als 120 Polizisten wurden verletzt. Innensenator Frank Henkel (CDU) sprach von einer „linken Gewaltorgie“. Es sei unerträglich, wie das Versammlungsrecht von Chaoten und Gewalttätern missbraucht worden sei. „Die Beamten wurden bepöbelt und mit Flaschen und Steinen massiv attackiert. Ich verurteile diesen Hass und diese völlig enthemmte Gewalt auf das Schärfste“, sagte Henkel am Sonntag. „Die rücksichtslosen Krawalle auf der Demo und die Brandanschläge in der Nacht zeigen deutlich, mit wem wir es hier zu tun haben. Mit Gewalttätern gibt es nichts zu diskutieren.“

Welche Bedeutung hat die Rigaer Straße 94 für die linksautonome Szene?

Der Altbau ist das Herz der autonomen Szene. Das Haus hat eine immens hohe symbolische, aber auch praktische Bedeutung. Für politisch motivierte Straftäter dient das Haus praktisch – als Rückzugs- und Fluchtort. Im Januar hatten einige Vermummte einen Streifenpolizisten an der Ecke Liebigstraße beim Knöllchenschreiben angegriffen und waren anschließend in das Haus geflüchtet. In alle anderen Häuser der Stadt wäre die Polizei im Zuge der „Nacheile“ den Flüchtenden gefolgt. Nicht aber in die Rigaer Straße 94. Dort wurde erst Stunden später – als über 500 Polizisten zusammengezogen waren – eine Razzia angesetzt.

Bei dieser wurden gefährliche Gegenstände sichergestellt, aber natürlich nicht die Tatverdächtigen vom Vormittag festgenommen. Der jüngste Verfassungsschutzbericht gönnt der Rigaer 94 fast vier Seiten. Fazit: „Das militante Agieren dient der Abschreckung, Einschüchterung und letztlich der Machtausübung im öffentlichen Raum. Es handelt sich faktisch um einen andauernden, systematischen und gewalttätigen Versuch von Einschüchterung und der Oktroyierung eigener Politikvorstellungen unter offensiver Missachtung rechtsstaatlicher Normen und Gesetze.“ Deshalb gehe von den sogenannten „Anarchos“ in der Rigaer Straße 94 und deren Sympathisanten das größte Gewaltpotenzial der linksextremistischen Szene Berlins aus, heißt es in dem Bericht weiter.

Wie reagiert die Politik?

Innensenator Frank Henkel fährt eine kompromisslos harte Linie. Nachdem mehrfach Steine von Dächern auf Polizeiautos geschleudert wurden, ist der Kiez um die Rigaer und Liebigstraße seit Oktober 2015 als „Kriminalitätsbelasteter Ort“ ausgewiesen, in dem Personen auch ohne Anlass kontrolliert und durchsucht werden können. Seitdem wurden über 3000 Menschen kontrolliert – was die linke Szene, aber auch Anwohner empört. Die „Schikanen“ durch die Polizei wurden von Demonstranten am Samstag heftig kritisiert, ein Redner monierte den „Belagerungszustand des Kiezes“.

Wie geht es weiter?

Das ist völlig offen. In den letzten Tagen hatten unter anderem der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und der Piratenabgeordnete Christopher Lauer Gespräche mit den Linksextremisten gefordert. In einem Interview mit dem Sender „105.5 Spreeradio“ hatte Michael Müller von seinem Innensenator Gespräche zur Deeskalation verlangt: „Ich erwarte schon auch, dass ausgelotet wird über die Innenverwaltung oder die Polizei, ob und wie man Gespräche suchen kann.“ Als erstes hatte der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber im Tagesspiegel vor zwei Wochen ein Deeskalationskonzept gefordert, ein solches habe auch am 1.Mai in den vergangenen Jahren gut funktioniert.

Henkel schließt Gespräche kategorisch aus. „Ich bin fassungslos, dass jemand fordert, über die Einstellung von Brandanschlägen zu verhandeln. Der Rechtsstaat ist nicht verhandelbar. Es wäre eine fatale Botschaft, dass der Staat erst etwas anbieten soll, damit Straftaten aufhören“, sagte Henkel: „So funktioniert unser Rechtsstaat nicht.“ Ein „Anreizsystem für Extremisten“ werde es mit ihm nicht geben. Kerstin Philipp, Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, sieht das ähnlich: "Auch Politiker, der Bezirk und wir als Bevölkerung müssen uns deutlich von extremistischen Straftaten distanzieren", sagt die Beamtin in einer Presseerklärung, "wir verhandeln nicht mit Terroristen.“

Wollen die Autonomen verhandeln?

Nein. Am Samstagvormittag wurde auf der einschlägigen Internetseite „indymedia“ erstmals eine ausführliche Stellungnahme veröffentlicht. Unter dem Titel „Autonome Gruppen zum Verhandlungsvorschlag von Müller/Lauer“ heißt es: „Niemand von uns wird mit Vertreter/innen des Staates verhandeln. Wenn Politiker den Innensenator jetzt auffordern, mit ’Linksextremen’ Gespräche zu führen, gibt es dafür keine Grundlage.“ Dann aber wird überraschend angekündigt, dass künftig auf Anschläge verzichtet werden könnte. „Es gibt jedoch Möglichkeiten, der gegenwärtigen Spirale zu entkommen“, heißt es in dem Schreiben. Demnach würde „ein Abzug von Bullen und Sicherheitsfirmen aus der Rigaer 94 und die Rückgabe der Räume an die Hausgemeinschaft“, sowie ein Verzicht auf die Räumung des Kreuzberger Revolutionsladens M99 mit der Einstellung von „Aktivitäten und Angriffen“ beantwortet werden. Tatsächlich war die Nacht zu Sonnabend die einzige seit dem 22.Juni, in der kein Auto brannte und keine Scheibe kaputtging. Als wollten die Autonomen zeigen: Wir können die Militanz steuern. In der Nacht zu Sonntag allerdings entflammten stadtweit zahlreiche Autos.

Und die Rigaer Straße?

Die wird immer schicker. Ein Neubauprojekt ist fast fertig, weitere Brachen werden jetzt bebaut. Gegen das neueste Projekt Sama-Riga (Miete 12,50 Euro pro Quadratmeter) richtete sich die Demo am Sonnabend ursprünglich: „Investor*innenträume platzen lassen, Carré Sama-Rigaer verhindern“ hieß das Motto anfangs in bestem Szenejargon. Doch dann kam der Polizeieinsatz in der Rigaer Straße 94.

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