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Razzia gegen militante rechte Gruppe in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen.

© dpa

Nach Polizeiaktion in drei Bundesländern: „Wir haben von Nazis nichts bemerkt“

Im nordbrandenburgischen Herzberg herrscht nach der Razzia gegen die rechte Szene Verwunderung. Neonazis waren dabei, im Ort ein Schulungsheim zu eröffnen. Ermittelt wird aber wegen Bildung einer bewaffneten Gruppe.

Der Verpächter hatte keine Ahnung, wer hinter den neuen Mietern des früheren LPG-Gebäudes im nordbrandenburgischen Herzberg (Ostprignitz-Ruppin) steckte. Eine Frau hatte den Vertrag geschlossen. In dem Haus mit Gästezimmer, Büros, einem großen Saal mit Theke aus DDR-Zeiten und einem 4500 Quadratmeter großen Anwesen wollte sie Computerkurse und Schulungen über alternatives Lebens anbieten. Tatsächlich aber sollte dort, 70 Kilometer nördlich von Berlin, eine Kaderschmiede für Rechtsextremisten entstehen.

Dahinter steckte der Lebensgefährte der Pächterin: Meinolf Schönborn, militanter Neonationalsozialist, einst hoher Funktionär bei der NPD, eine Szenegröße, Kopf der 1992 wegen paramilitärischer Aktivitäten verbotenen „Nationalistischen Front“, heute Anführer der Rechtsaußen-Bewegung „Neue Ordnung“ und Betreiber eines Online-Versandhandels bei Gütersloh, der Dekorations-Waffen aus dem Dritten Reich, rechte Propaganda, Kleidung und die üblichen Devotionalien der Braunen vertreibt. Erst durch eine Razzia am Wochenende bei Neonazis in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen waren die Pläne auch öffentlich geworden. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt wegen des Verdachts auf Bildung einer bewaffneten Gruppe. Nun herrscht in der 660-Einwohner-Gemeinde Verwunderung, aber auch Erleichterung.

Eine Anwohnerin, die von ihrem Fenster auf das Haus blicken kann, ihren Namen aber nicht nennen wollte, sagte: „Wir haben von den Nazis nicht mitbekommen. Es gab nur Gerüchte.“ Dabei soll es in dem Gebäude, das nach der Wende als Pension genutzt wurde, sogar mehrere Treffen von Neonazis gegeben haben. Aber auch die Polizei bekam von all dem nichts mit. Ob der Verfassungsschutz davon wusste, blieb unklar. Vom zuständigen Innenministerium in Potsdam hieß es nur: „Kein Kommentar“.

„Es ist höchstgradig Besorgnis erregend, dass sich dort so etwas etablieren konnte und dass die Pläne so weit gediehen waren“, sagte der Landrat von Ostprignitz-Ruppin, Ralf Reinhardt (parteilos). „Hätte wir das früher gewusst, hätte wir ganz andere Aktivitäten gestartet.“ Herzbergs Bürgermeisterin Michaela Wolff hatte am Wochenende gesagt, die Neonazis hätten sich niemals im Ort niederlassen können. Die Bürger hätten gegen ein Schulungszentrum der Braunen Widerstand geleistet. Dabei sind selbst Sicherheitsexperten verwundert, denn die Rechtsextremisten hätte „alle Radarschirme unterlaufen“, obwohl in Brandenburg Verwaltungen, Gemeinden und Vereine hoch sensibilisiert sind, nachdem in den vergangenen Jahren mehrere Versuche an verschiedenen Orten gescheitert waren, ein solches Zentrum zu errichten.

Der Pachtvertrag ist inzwischen aufgelöst worden. Der Verpächter, die örtliche Baugenossenschaft, will das Gebäude mit 400 Quadratmeter Wohnfläche nun verkaufen. „Grundstück und Gebäude eignen sich für Restaurantbetrieb mit Pension, für Tagungsbetrieb oder als Betreuungseinrichtung wie Betreutes Wohnen, Kinderferienlager etc.“, heißt es im Inserat. 200 000 Euro soll es kosten. Der Chef der Baugenossenschaft, Eberhard Lange, lehnte am Montag eine Stellungnahme ab – auch zu den Umständen des Vertrags mit den Rechtsextremisten.

Das Problem mit dem Schulungszentrum hat sich für Lang von selbst erledigt. Im März hatte der bei der Polizei als „Straftäter rechts“ bekannte Berliner Jan G. dort seinen Freund Jörg L. tot aufgefunden. L., ein bekannter Aktivist der rechten Szene und einst freiwilliger Kämpfer im Jugoslawien-Krieg, war an einem Herzinfarkt gestorben. Allerdings fand die Polizei auch seinen Rucksack und den brisanten Inhalt, nämlich Waffen. Bei den Tests der Polizei ging das halbautomatische Gewehr nach zwei Schüssen kaputt, eine Pistole ist voll funktionstüchtig. Bei Straftaten wurden die Waffen nie verwendet, ergab der Abgleich der Projektil-Abdrücke mit der Polizei-Datenbank.

Allerdings lagen in dem Rucksack auch mehr als 300 Patronen für andere Waffen. Dazu das Schulungszentrum der Neonazis: Die Staatsanwaltschaft sah sich angesichts der Faktenlage gezwungen zu ermitteln. Denn es war zu vermuten, dass es irgendwo ein Waffenlager gibt. Zumal die Ermittler im Büro des Neonazis in dem Gebäude auch Flugblätter der Rechts-Bewegung „Neue Ordnung“, eine schusssichere Weste, Schlagstöcke und Schriften zum rechtsextremen Ex-Terroristen Manfred Roeder fand. Unklar ist auch nach der Razzia noch, ob sich der Verdacht bestätigt hat, dass es Pläne zur Bildung einer bewaffneten Gruppe gab.

Das Verfahren richtet sich gegen fünf Beschuldigte im Alter von 37 bis 64 Jahren, zwei Brandenburger aus dem Landkreis Barnim, den Berliner Jan G. und zwei Personen aus Nordrhein-Westfalen, das sind Schönborn und seine Frau. Schönborn und G. kennen sich aus der „Nationalistischen Front“. Scharfe Waffen wurden bei der Razzia nicht gefunden. Neben einem Luftdruckgewehr und Schreckschusspistolen wurden 16 Computer und jede Menge Speichermedien beschlagnahmt. Eine Verbindung zum rechtsextremistischen Terrornetzwerk NSU sehen die Ermittler bislang nicht.

Diese Reproduktionen von Bildern der Ostthueringer Zeitung aus dem Jahr 1998 zeigt Fahndungsbilder von Beate Zschaepe (v. l. ), Uwe Boehnhardt und Uwe Mundlos.
Diese Reproduktionen von Bildern der Ostthueringer Zeitung aus dem Jahr 1998 zeigt Fahndungsbilder von Beate Zschaepe (v. l. ), Uwe Boehnhardt und Uwe Mundlos.

© dapd

Schönborn bestätigte die Durchsuchungen. Der TAZ sagte er, „ja, die waren bei mir und bei allen, die mit mir bekannt sind“. Gegenüber dem Westfalen-Blatt bezeichnete er den Vorwurf, er sei an der Gründung einer bewaffneten rechten Truppe beteiligt, als „völligen Blödsinn“. Allerdings äußerte sich Schönborn auch über das Schulungszentrum. „Jörg wollte die Leute in Sachen Computer und Netzwerke schulen, ich wäre für Politik und Organisation zuständig gewesen“, sagte er. In einem Nachruf auf Jörg L. in einem rechte Szene-Magazin schrieb er, dessen Tod habe das Projekt Schulungszentrum zunichte gemacht und „uns auch organisatorisch und politisch sehr weit“ zurückgeworfen.

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