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Der Bereich an der Berlinre Invalidenstraße, an dem der schwere Unfall passierte.

© Kai-Uwe Heinrich

Nach SUV-Unfall mit vier Toten: Modellprojekt an der Berliner Invalidenstraße kommt jetzt doch

Der Unfall lenkte 2019 die Aufmerksamkeit auf den Verkehr um die Invalidenstraße. Senat und Bezirk machten Zusagen, sagten ein Modellprojekt dann aber ab.

Lange haben sich die Anwohner:innen rund um die Invalidenstraße dafür eingesetzt, nun wird ihre Forderung aufgegriffen: Die Wohngegend rund um die Ost-West-Verbindung in Mitte soll zum Modellkiez werden. Gemeinsam mit Forscher:innen und Student:innen der Technischen Universität Berlin (TU), dem Bezirk Mitte und der Senatsverkehrsverwaltung soll dazu ein neues Konzept zur Umgestaltung der Straße erarbeitet werden. 

Am Freitagabend findet ein erstes Treffen der Beteiligten statt. Es soll der Startschuss für die weitere Veränderung der Invalidenstraße werden.

Gemeinsam mit den Interessenvertreter:innen vor Ort wolle man einen Prozess starten, „um uns Gedanken zu machen, wie wir das Quartier weiterentwickeln können“, sagt Oliver Schwedes, Leiter des Fachgebiets für Integrierte Verkehrsplanung an der TU. Er begleitet das Projekt gemeinsam mit seinen Student:innen von wissenschaftlicher Seite. 

Dafür soll zunächst herausgefunden werden, welche Interessen und Wünsche Anwohner:innen, Gewerbetreibende und auch Tourist:innen hätten. „Wir werden gucken, wo sie sich überschneiden. Die Herausforderung wird sein, dass man alle Interessen zusammenführt.“

Wie alle verkehrlichen Maßnahmen in der Invalidenstraße in den vergangenen eineinhalb Jahren, geht auch die neue Aktion auf den tödlichen Unfall im September 2019 zurück. Der Fahrer eines Porsche-SUV raste mit mehr als 90 Stundenkilometern in eine Menschengruppe. 

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Vier Personen starben, darunter ein dreijähriger Junge aus der Nachbarschaft und seine Großmutter. Bis heute sind die genauen Umstände nicht geklärt. Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte im März Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen den Fahrer erhoben.

Nach dem Unfall formierte sich im Viertel Protest. Bürger:innen um den Anwohner und Vater Julian Kopmann forderten, dass der Verkehr in der Invalidenstraße sicherer wird. Bei einem eilig einberufenen Gespräch versprachen der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) Verbesserungen.

Fehlendes Personal stoppte das Projekt vorerst

Tempo 30 sollte eingerichtet werden, ein geschützter Radweg kommen und die Gegend zu einem Modellkiez entwickelt werden. Das Tempolimit kam zügig, auch der Pollerradweg ist fertig. Das Modellprojekt sagten Verkehrsverwaltung und Bezirk zwischenzeitlich jedoch ab, gaben als Grund fehlendes Personal an.

Kopmann wollte das Projekt nicht aufgeben und wandte sich an Verkehrsforscher Schwedes. Der erklärte sich bereit, die Initiative im Rahmen einer Lehrveranstaltung und mit Forschungsarbeiten zu begleiten. „Ich hoffe, dass es begreifbarer macht, wie die Verkehrswende gelingen kann“, sagt Julian Kopmann. „Wir wünschen uns, dass dieser Bezirk zum Vorbild werden kann bei der Neuaufteilung des Straßenraums hin zu weniger motorisiertem Individualverkehr.“

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Die bisher durchgeführten Veränderungen seien bereits gut. Er bekomme viele positive Rückmeldungen. Zufrieden ist Kopmann aber noch nicht. Er habe drei Kinder, die jeden Tag im Kiez zu Kita und Schule müssten. Doch alleine würde er sie immer noch nicht gehen lassen. „Ich hoffe, dass ich künftig keine Sorge mehr haben muss, dass meine Tochter unter einen Lkw gerät.“

Verkehrliche Situation „schon immer desolat"“

Auch Schwedes sieht einigen Verbesserungsbedarf an der Invalidenstraße. „Die verkehrliche Situation ist da immer schon desolat gewesen.“ Der schwere Unfall habe die Probleme nur nochmal ins Licht gerückt. Trotz der schnellen Maßnahmen seien etwa die Bürgersteige weiterhin „unangemessen schmal“. Zudem gebe es viele Grünflächen, die man zur Straße hin öffnen könne.

Eine Frage drängt sich laut Schwedes bei der engen Straße mit den vielen Nutzungen auch auf: „Muss da eigentlich der Kfz-Verkehr durchgeführt werden, oder reicht die Straßenbahn nicht aus?“

Eine Antwort darauf will er noch nicht geben, um der anstehenden Diskussion nicht vorzugreifen. Auch Kopmann will, dass der Prozess offen gestaltet wird. Persönlich findet er eine Reduzierung des Autoverkehrs gut, etwa durch Beseitigung von Parkplätzen und Lösungen gegen den Durchgangsverkehr. 

Noch nicht ganz überzeugt ist Kopmann, ob die erarbeiteten Schritte letztlich auch zügig umgesetzt werden. „Ich habe Sorgen, ob das wirklich schnell genug kommt. Dafür ist die Exekutive nicht aufgestellt. Das haben mich die vergangenen Jahre gelehrt.“

Stefan Lehmkühler von der Initiative Changing Cities, hervorgegangen aus dem Fahrrad-Volksentscheid, sieht das Modellprojekt vor allem als Hilfe für die Verwaltung, um auch in anderen Vierteln Lösungen zu finden. „Wir wollen eine flächenhafte Verkehrsberuhigung und den Durchgangsverkehr herausbekommen. Meine Hoffnung wäre, dass Bezirk und Senat hierdurch ein paar methodische Grundlagen entwickeln, so etwas künftig schnell auf die Straße zu bekommen.“

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