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Nach ZDF-Report: Berlin-Marzahn, ein Klischeetest

Ein ZDF-Reporter hat Riesenärger wegen einer Bemerkung im TV über den Stadtteil. Wir haben den Klischee-Test gemacht.

er Spruch war angeblich lustig gemeint, aber lachen wollte niemand über ZDF- Kommentator Dieter Poschmann: „Wenn man in Marzahn aufgewachsen ist und das unbeschadet überlebt hat, ist man zu allem fähig“, sagte er bei der WM–Übertragung – vor Millionenpublikum – über die Hammerwerferin und Marzahnerin Betty Heidler. In Entrüstung vereint waren Vertreter aller Parteien – von Petra Pau (Linke) über Rudolf Kujath (SPD) bis zu Monika Grütters (CDU), die sich dort alle um ein Bundestagsmandat bewerben. Und die Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke) lud den ZDF-Mann nach Marzahn ein – quasi zur Anti-Klischee-Tour. Wir haben schon mal vorgearbeitet und die gängigsten Vorurteile überprüft.

1. In Marzahn stehen nur Plattenbauten

Zumindest sind die elfgeschossigen Häuser schwer zu übersehen, die in den 70er und 80er Jahren am östlichen Stadtrand in den Himmel wuchsen – genauso wie das Märkische Viertel (im Norden), die Gropiusstadt (im Süden) und die Wohntürme in Staaken (im Westen). Auf einem Drittel der Bezirksfläche leben gut zwei Drittel der fast 250 000 Einwohner. Doch das Klischee stimmt nur bedingt: Da gibt es den historischen Dorfkern Alt-Marzahn, samt Dorfkirche und in den 80ern rekonstruierten Bauernhöfen. Die Anlage steht unter Denkmalschutz. Und nicht weit davon beginnt mit Biesdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf das größte zusammenhängende Ein- und Zweifamilienhausgebiet Deutschlands.

2.  Marzahn ist die Bronx von Berlin

Der Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt Überraschendes. Sogar das studentisch geprägte Friedrichshain hat eine höhere Kriminalitätsrate. Auffällig ist zudem, dass im sehr reichen (schon wieder so ein Klischee) Steglitz-Zehlendorf nur drei Prozent weniger arbeitslos gemeldet sind. Und das Marzahner Haushaltseinkommen liegt im Stadtdurchschnitt.

3. Da gibt’s nur Nazis

Das 2006er Wahlergebnis zur Bezirksverordnetenversammlung sah so aus: Die Linke kam (im Großbezirk Marzahn-Hellersdorf) auf 38 Prozent, SPD auf 25, CDU 13, Grüne 5, FDP 5 – und die NPD auf 6,4. Das ist der Spitzenwert in Berlin. Allerdings: Der Großbezirk Marzahn-Hellersdorf wurde 2009 von der Bundesregierung für sein Engagement gegen Nazis ausgezeichnet mit dem Titel „Ort der Vielfalt“. Trotzdem leben stadtweit nur im bürgerlichen Treptow-Köpenick weniger Ausländer, wo die NPD auf 5,3 Prozent kam.

4.  Weiter draußen geht doch gar nicht

Von Spandau braucht die S-Bahn zum Hauptbahnhof 28 Minuten. Vom S-Bahnhof Marzahn zum Hauptbahnhof sind es 29 Minuten Fahrzeit.

5. Grün ist da doch nur die Polizei

Im Bezirk sind 145 Hektar Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen – in Neukölln sind es 5,8 Hektar und im „grünen“ Köpenick-Treptow auch nur 370 Hektar. Und während in Marzahn 137 Hektar Landwirtschaftsfläche registriert sind, hat Steglitz-Zehlendorf 27. Stadtweit bekannt ist der für viele Millionen Euro errichtete Park namens „Gärten der Welt“. Und wer einmal auf die Ahrensfelder Berge im Wuhletal klettert, wird oben feststellen, wie nah das grüne Brandenburg ist. PS: Der Teufelsberg in Charlottenburg ist nur drei Meter höher.

6. Da ist doch nichts los

Gastro-Kenner sagen: Da gibt es wirklich fast nur Thai-Imbisse, keine Spitzenrestaurants. Und Partykenner zucken mit den Achseln nach einem Diskotipp. Aber doch, auch in Marzahn ist was los. Stadtweit bekannt ist das Orwo-Haus. Ein Gebäude, in dem viele junge Bands ihre Proberäume haben und das sich „die lauteste Platte der Stadt“ nennt. Ach ja, und am 12. und 13. September wird das 30. Bezirksjubiläum gefeiert. 50 Bands werden dort spielen, darunter die Prinzen. Infos unter: www.plattengeburtstag.de

7. Da will doch jeder weg

Der Bezirk ist jung, vor allem in der Statistik der unter 15-Jährigen. Es gibt 129 Spielplätze und damit mehr als in Spandau (95) – pro Kopf sind die Zahlen allerdings gleich – , doch immer mehr Marzahner ziehen weg, vor allem nach Brandenburg. An andere Bezirke verliert Marzahn hingegen keine Bewohner – fast genauso viele ziehen aus anderen Bezirk dorthin. Vielleicht liegt es auch am Freiraum in Marzahn: 40 Einwohner kommen auf einen Hektar – sechs andere Berliner Bezirke sind dichter besiedelt.

8. Cindy aus Marzahn kommt aus Marzahn

Die Fernsehkomikerin, die mit prolligem Hartz-IV-Image kokettiert, heißt im bürgerlichen Leben Ilka Bessin, ist 37 Jahre alt und wohnt in Wilmersdorf.

9. Hier gibt’s doch nur Hauptschüler

Von den knapp 21 000 Schülern in Marzahn-Hellersdorf besuchen 4700 ein Gymnasium. Viel? Na, das sind zumindest mehr als in Spandau oder Friedrichshain-Kreuzberg, obwohl die beide mehr Schüler haben.

10. Nur über Marzahn wird gelästert

Nun ja: In Neukölln leben – so das Klischee – nur Hartz-IV-Empfänger, in Wilmersdorf nur Witwen und in Prenzlauer Berg nur Schwaben und Schwangere. Dagegen ist Kreuzberg richtig arm dran: Denn Klaus Wowereit würde hier nie seine Kinder zur Schule schicken. Das war kein Vorurteil, sondern eine Aussage, 2006 verbreitet übers Fernsehen.

Mitarbeit: Carl-Friedrich Höck

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