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Berlin: „Nach Zehlendorf? Hilfe!“

Bonzen, Omas, Spießer – und keine Anbindung. Wie eine Schülerin mit ihren Klischees rauszog.

Schatz, wir ziehen ins Grüne! Das teilte meine Mutter mir freudig mit. „Ins Grüne?“ – ich konnte es nicht fassen! Unsere Wohnung war doch schön, die Lage noch besser. Direkt am Ku’damm, sehr zentral und mit allen Verkehrsverbindungen, die ein Jugendlicher braucht, um glücklich zu sein. Nicht eine halbe Stunde hat es gedauert, schon war man am Alexanderplatz. Alle meine Freunde wohnten in der Nähe, zur Schule brauchte ich auch nur 20 Minuten. Es war perfekt.

Vor einem Jahr überbrachte meine Mutter mir die Nachricht. Kurze Zeit später fand der Umzug statt. Wir sollten zu Mamas Freund ziehen, der in Zehlendorf wohnt. Meine Empörung war groß. Meine Mutter hat sich gefreut, und ich war nur noch trübsinnig. Was ich bis zu der Zeit von Zehlendorf gehört hatte, hat mir gar nicht gepasst. Schlechte Verkehrsverbindungen: Nachts kommt man nicht nach Hause, man muss mindestens eine Stunde Fahrzeit einplanen. Die Nachbarn sind spießig: Du begegnest nur alten Omis, alles ist „verbonzt“, die interessiert nur das Geld. Und so weiter und so fort.

Die Negativliste war lang, meine Freunde rieben sie mir tagtäglich unter die Nase. Natürlich wollte ich nicht weg, aber ich konnte nicht mit meiner Mutter verhandeln, ihre Begeisterung war zu groß. Ich sollte sogar die Schule wechseln, weil mein Weg sonst viel zu lang geworden wäre. Sie fand das toll: „Dann lernst du noch mehr neue Leute kennen, die alle bestimmt super nett sind!“

Ich dachte an die Worte meiner Freunde, die mich davor warnten, dass die Schulstunden in Zehlendorf viel zu schwer seien und die Mitschüler extrem von ihren Eltern verwöhnt werden. „Wer nicht mit Gucci- oder Prada-Tasche zur Schule kommt, der kann gleich zu Hause bleiben“, lautete das Zitat einer Freundin. Wenn das alles wahr werden würde, wäre ich verloren. Doch die schlagkräftigen Argumente meiner Mutter ließen kaum Gegenwehr zu: „Ich hab endlich einen Parkplatz und muss nicht jeden Abend eine halbe Stunde nach einem suchen! Außerdem ertrage ich den Geruch der Shisha Bar nebenan nicht mehr. Und der Lärm jedes Mal am Wochenende, wenn man länger schlafen möchte, nervt. Unser Ausblick ist nicht schön und die neue Wohnung ist viel größer.“

Dann kam der Tag, an dem wir wegzogen. Weg aus Charlottenburg, weg von meiner geliebten Umgebung. Ich fühlte mich machtlos.

Und dann, nach zwei Wochen in der neuen Wohnung und spätestens nach meinem ersten Schultag – blieb das ganz große Grauen aus. Unsere Nachbarn waren von Anfang an sehr nett und entspannt, meine Mitschüler super freundlich, offen und auch nicht so verwöhnt. Nach einem Monat fühlte es sich so an, als wenn ich schon jahrelang diese Schule besuchen würde. Wie meine Mutter es vorhergesehen hatte, habe ich tatsächlich viele neue Freunde gewonnen.

Zwar ist das Niveau im Vergleich zu meiner alten Schule höher, aber es lässt sich mit einem bisschen Fleiß gut bewältigen. Und auch die Wohnung ist wirklich angenehmer und ruhiger als die alte. Im Großen und Ganzen war der Umzug für mich persönlich eine sehr positive Überraschung. Allerdings waren nicht alle Befürchtungen falsch.

Die Verkehrsanbindung nach Zehlendorf ist wirklich schlecht und unzuverlässig. Nachts komme ich nicht immer mit den Öffentlichen nach Hause, sondern muss oft ein Taxi nehmen. Ohne Auto braucht man in die City mindestens eine Stunde oder auch gerne mal länger. Und auf Dauer – das sage nicht nur ich – ist es für einen Jugendlichen doch eher belastend, in Zehlendorf zu wohnen. Man kann nicht überall mal eben zum Bäcker gehen zum Brötchenholen. Oder zum Supermarkt um die Ecke, um etwas zu besorgen. Für Erwachsene ist es schön, es ist ruhig und grün, und Familien mit kleineren Kindern können sich in den vielen Parks austoben.

Ich persönlich vermisse Charlottenburg, die vielen Menschen. Und der Lärm macht mir nichts aus. Für mich war die alte Umgebung ideal. Und Zehlendorf? Hat seine schönen Seiten, ist entspannend und angenehm.

Vielleicht würde ich in 20 Jahren sogar noch mal herziehen.

Linda Podszus

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