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Boomtown. Immer mehr Berliner, vor allem junge Familien, ziehen ins malerische Eberswalde.

© Felix Strosetzki

Nachbarschaftsbesuch in Eberswalde: Kultur, Natur und Kreuzberg-Gefühle

25 Minuten von Berlin entfernt von Berlin liegt Eberswalde. Ein Ausflug.

Der März ist da, der Januar lange her. All die schönen Neujahrsvorsätze für 2020 sind in weite Ferne gerückt. Wir schaffen Abhilfe und erinnern an drei: weniger Auto fahren, früher aufstehen, mehr bewegen! Ein passendes Ziel dafür ist Eberswalde – in der Stadt nördlich von Berlin gibt es so viel und jeden Tag mehr zu entdecken. Man braucht also viel Zeit, aber garantiert kein Auto.

Immer mehr Berlinerinnen und Berliner ziehen in den 40 000-Einwohner-Ort im Barnim, rund 50 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Einer der Gründe: Eberswalde ist perfekt angebunden. Wir lassen also das Auto stehen und springen ohne Frühstück, aber dafür mit dem Fahrrad in die Bahn.

Die Fahrt vom Bahnhof Gesundbrunnen mit dem Regionalexpress RE3 dauert rund 25 Minuten. Vom Bahnhof Eberswalde geht es dann erst einmal direkt zum Marktplatz – frühstücken! Es fahren mehrere Busse (910, 862, 861), mit dem Rad dauert es fünf, zu Fuß zehn Minuten.

Das Kaffeehaus Gustav ist nach Gustav Louis Zietemann, dem Erfinder des Eberswalder Spritzkuchens benannt. Neben diesem gibt es hier Torten, köstlich-handwerkliche Brote, herzhafte Speisen und eine pralle Frühstückskarte. Geöffnet ist ab 7 Uhr – viel Zeit also, sich durchzutesten. Der stadtbekannte Bäcker Björn Wiese beschäftigt ein international gemischtes Team, auch aus dem syrischen Krieg Geflüchtete sind darunter. Deshalb gibt es morgens neben Eggs Benedict und Strammem Max auch Shakshuka oder Shish Tahouk. Kennen Sie nicht? Probieren Sie’s!

Jazz-Duo spielt Stile aus aller Welt

Multikulturell geht es weiter: Am Samstag, 7. März, um 10.30 Uhr spielt im Paul-Wunderlich-Haus das Jazz-Duo Feincost eine Mischung aus weltweit gesammelten Stilen. Aktuelles Programm: Songs des südafrikanischen Komponisten Abdullah Ibrahim. Der Eintritt ist frei – wie jeden Samstag seit dreizehn Jahren, wenn Veranstalter Udo Muszynski mit seiner einzigartigen Veranstaltungsreihe „Guten Morgen, Eberswalde“ zu Konzert, Lesung oder Theater lädt.

Unweit vom Marktplatz, im ältesten Fachwerkhaus der Stadt, der Adler-Apotheke, residiert das Museum Eberswalde. Tausende Exponate, wie die Nachbildung des Eberswalder Goldschatzes, zeigen die Geschichte der Stadt, aber auch die industrielle Vergangenheit des Finowtals. Ganz oben, unterm hölzernen Spitzdach des alten Hauses, werden die Werke heimischer Künstler gezeigt.

Eine Ausstellung zum Thema Nachhaltigkeit schlägt den Bogen zur HNEE, der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Deren Ursprünge reichen bis 1830 zurück, als die Stadt zum Standort für die Forstwissenschaften auserkoren wurde. Seither hat sich, mit Unterbrechungen durch Kriege und das DDR-Regime, aus der Forstakademie eine moderne Hochschule entwickelt, die in Zeiten des Klimawandels immer mehr an Relevanz gewinnt.

Welche Relevanz wiederum die Studierenden und die zuziehenden Berliner für die Stadt haben, zeigt sich in den vielen Neueröffnungen. Unverputzte Wände, nackte Glühbirnen, zusammengewürfelte Secondhand-Möbel: Viele der Cafés und Restaurants wecken optisch Kreuzberg-Gefühle und bieten inhaltlich HNEE-kompatible Nachhaltigkeit. In der Braterei Brandenburger (Michaelisstraße 5) gibt es neben Fleisch aus der Region allein vier vegane Varianten. Im wunderbaren Café Kobamugasmus (leider nur dienstags bis freitags geöffnet!) treffen sich Hochschulleute und junge Familien zu vegan-vegetarischen Speisen.

Die Zuzügler können kommen

Auch das frisch eröffnete Café Alte Post bietet den obligatorischen Hafermilch-Kaffee zum Kuchen. Der Berliner Videoproduzent und Kameramann Kristian Raue hat das alte Postgebäude in der Eisenbahnstraße 101 gemietet, saniert die historische Substanz und will bald neben dem Café auch eine Bar, Coworking-Spaces und Raum für Start-ups anbieten. Flohmärkte, Yogakurse, Konzerte – die Zuzügler können kommen!

Frisch gestärkt geht es aufs Fahrrad – und direkt auf den Treidelweg. Der Rad- und Wanderweg ist zwischen Finowfurt und Niederfinow durchgehend befahrbar. Der Finowkanal, an dessen Ufer er entlang führt, war die erste künstliche Wasserstraße Deutschlands. „Treideln“ hieß es, wenn Menschen oder Pferde die Kähne vom Ufer aus übers Wasser zogen. Heute wird hier nur noch geradelt: auf einer wunderschönen Strecke, rechts Wald, links Wasser, vorbei an Industriedenkmälern: Eisenspalterei, Papierfabrik, Kraftwerk, Messingwerk – verwunschene Backsteinruinen erinnern an die Hochphase der Produktivität.

Freie Fahrt. Am Rand des Finowkanals radelt man mit Weit- und Wasserblick.
Freie Fahrt. Am Rand des Finowkanals radelt man mit Weit- und Wasserblick.

© Felix Strosetzki

Wer bei all dem alten Charme ein bisschen lebendige Kultur der Gegenwart braucht, schert auf Höhe des Familiengartens Eberswalde (auch schön, öffnet aber erst im April wieder!) aus und macht einen Abstecher in die Finower Plattenbausiedlung Brandenburgisches Viertel. In einem leerstehenden Gebäude werden seit dem vergangenen Jahr wechselnde Ausstellungen gezeigt. Am 8. März startet in der Galerie Fenster die neue Ausstellung „Tourist – Wir sind überall“. Filmemacher, Komponist, Autor und Fotograf Mario Schneider hat Menschen auf Reisen porträtiert. Zur Vernissage ist er vor Ort – und ein Saxophon-Konzert gibt es noch dazu.

Die Galerie Fenster in der Brandenburger Allee 19 ist samstags und sonntags von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Wegen des Aufbaus der neuen Ausstellung ist die Galerie ausnahmsweise am Samstag, 7. März, geschlossen. Die Vernissage am 8. März beginnt um 14 Uhr.

Hausmannskost bei Terassenblick

Vom Brandenburgischen Viertel geht es zurück an den Kanal und weiter bis nach Finowfurt. Das Restaurant Teutoburg (Am Treidelsteg 6) hat dort gerade seine Winterpause beendet – auf der Terrasse mit tollem Wasserblick wird wieder gute Hausmannskost serviert, von der Pilzpfanne bis zum Wildschweinbraten. Achtung, hier sind zwar viele Berliner – aber wir sind eben doch nicht in Berlin: Die Küche der Teutoburg ist samstags bis 20 Uhr, sonntags bis 19.30 Uhr geöffnet. Also nicht zu spät kommen! Nach dem Essen noch einen Mirabellenschnaps, ab aufs Fahrrad und auf dem Treidelweg zurück bis zum Bahnhof Eberswalde.

Aber – was ist mit dem Zoo? Mit dem Botanischen Garten und dem schönen Wasserturm? Das heben wir uns alles auf für die nächste Tour in die grüne Stadt im Norden von Berlin, wenn es wieder heißt: Wecker stellen, Auto zu Hause lassen!

Lydia Brakebusch

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