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Das Angebot von Oberschulen ab Klasse 5 ist in den Bezirken unterschiedlich groß.

© Julian Stratenschulte/dpa

Update

Nachfrage in den Bezirken: So beliebt sind in Berlin die Gymnasien ab Klasse 5

Unter Rot-Rot-Grün wird die Grundschule bis zur sechsten Klasse verfochten. Entsprechend geknausert wird bei Angeboten, die einen früheren Wechsel ermöglichen.

Es gibt Daten, die würde Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wohl lieber für sich behalten. Dazu gehören die Anmeldezahlen für Berlins Gymnasien ab Klasse 5: Mehrere Monate lang weigerten sich ihre Sprecher, entsprechende Anfragen zu beantworten: Man möge die zwölf Bezirke abtelefonieren, hieß es.

Nun hat FDP-Bildungspolitiker Paul Fresdorf dank seiner Auskunftsrechte als Abgeordneter die Zahlen bekommen, die m Montag veröffentlicht wurden. Sie offenbaren ein starkes Gefälle zwischen Angebot und Nachfrage und ein großes Ungleichgewicht zwischen den Bezirken.

Besonders offenkundig sind die Unterschiede zwischen den Bezirken: Im sowohl kinderreichen als auch bildungsbürgerlichen Pankow ist das Interesse am größten: 675 Anmeldungen für fünfte Gymnasialklassen gab es. In Neukölln, das traditionell über nur ein einziges grundständiges Gymnasium verfügt, waren es nur 30, in Mitte 160, die vor allem das traditionsreiche Französische Gymnasium in Tiergarten betrafen.

Im bürgerlich geprägten Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf wurden 380 beziehungsweise 420 Anmeldungen registriert: Hier gibt es – genau wie in Pankow – jeweils vier Gymnasium mit fünften Klassen. Regulär beginnen Berlins Oberschulen erst ab Klasse 7.

Dass die Bildungsverwaltung diese Zahlen monatelang auf Anfrage verweigerte, deutet darauf hin, dass sie das regional besonders große Interesse an den grundständigen Klassen ungern publik macht: Seit Jahrzehnten gibt es zwischen den betreffenden Schulen und der Verwaltung Streit darum, wie auf die Nachfrage zu reagieren ist: Einige Schulen würden gern (mehr) fünfte Klassen eröffnen, die Bildungsverwaltung hingegen möchte vermeiden, dass den Grundschulen die begabteren und zu Hause besser geförderten Kinder schon nach der vierten Klasse entzogen werden. Da die beiden Koalitionspartner dies ähnlich sehen, gibt es für die betroffenen Familien und Schulen keinerlei Aussicht auf Abhilfe.

Trotz wachsender Schülerzahlen wird nicht nachjustiert

Im Gegenteil: Die Bildungsverwaltung verwies erst jüngst wieder darauf, dass die zur Verfügung stehenden rund 2400 Plätze im vergangenen Jahr noch nicht einmal besetzt worden seien. Was sie dabei verschwieg: Dass es die freien Plätze nur in bestimmten Regionen gibt, woanders aber das Angebot nicht reicht. Scheeres denkt offenbar nicht daran, das Angebot der regionalen Nachfrage stärker als bisher anzupassen. Auch die wachsenden Berliner Schülerzahlen ändern daran nichts: Das Angebot bleibt immer gleich.

Besonders brisant ist dieses Beharren auf den einmal festgelegten Kapazitäten für die hochbegabten Kinder, die in ihren Grundschulen oftmals große Probleme haben: Die massive Unterforderung führt nicht selten zur Leistungsverweigerung oder Verhaltensstörungen. Für die betreffenden Familien sind die sieben Schulen mit je ein bis zwei Schnelllernerklassen ein begehrtes Ziel.

Die stärkste Nachfrage nachgewiesen hochbegabter Kinder gibt es am Pankower Rosa-Luxemburg-Gymnasium: In diesem Jahr waren es 46, die sogar die maximale Punktezahl bei der Eignungsfeststellung schafften. Dies belegte im März Scheeres’ Antwort auf eine Anfrage der CDU-Abgeordneten Hildegard Bentele. Auch das Otto-Nagel-Gymnasium in Biesdorf gefolgt vom Friedrichshainer Dathe-Gymnasium verzeichnet viele Anmeldungen dieser höchstbegabten Kinder. Im Mittelfeld lagen zuletzt das Reinickendorfer Humboldt-Gymnasium und das Zehlendorfer Siemens-Gymnasium. An anderen Standorten waren es nur einzelne Kinder mit der höchsten Punktzahl..

Dennoch justiert die Bildungsverwaltung nicht nach, indem sie das Rosa-Luxemburg-Schule eine Klasse mehr einrichten lässt: Insgesamt hatte die Pankower Schule 158 Anmeldungen für die Schnelllernerklassen, andere Gymnasium aber nur 30 oder 40, darunter etliche mit minimaler Punktzahl im Eignungstest. Nichtsdestotrotz darf das Pankower Gymnasium nicht mehr Schnelllernerklassen anbieten als die anderen.

Benteles Frage, "wie viele Kinder mit welchen Punkten eine Absage für ihr Wunsch-Schnelllerner-Gymnasium bekommen haben", wurde nicht beantwortet: Dazu gebe es "keine Statistiken", hieß es.

Auch die Grünen wollen die Angebote abschaffen

Eine Änderung dieser Politik aus Verschweigen und Verweigern ist nicht in Sicht. Zwar verließ der parteilinke Gegner der grundständigen Klassen, Staatssekretär Mark Rackles (SPD), inzwischen die Bildungsbehörde. Das aber ändert nicht viel, denn Scheeres selbst ist auch eine Verfechterin des langen gemeinsamen Lernens.

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Zudem lehnen ihre Koalitionspartner die grundständigen Angebote ab. Die Linkspartei traditionell, und auch die Grünen haben sich festgelegt: In einem Parteitagsbeschluss vom November haben sich die Grünen dafür ausgesprochen, „eine verbindliche Grundschulzeit von sechs Jahren durchzusetzen“.

Wäre das das sofortige Ende der grundständigen Schulen bei nächster Gelegenheit? Wohl nicht ganz. „Erst müssen wir die Grundschulen entsprechend weiterentwickeln, damit sich eben alle Kinder dort gut aufgehoben fühlen“, lautet die abgeschwächte Beschluss-Lesart der bildungspolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion, Marianne Burkert-Eulitz.

Der Verband der Oberstudiendirektoren (VOB) sieht das anders und fordert eine „bedarfsgerechte Einrichtung“ der grundständigen Klassen. Auch FDP-Bildungspolitiker Paul Fresdorf meint, dass es sich beim Wechsel nach Klasse 4 „durchaus um ein Erfolgsmodell handelt, bei dem über eine Ausweitung nachgedacht werden sollte“.

Der VOB-Vorsitzende Ralf Treptow, der zugleich das Rosa-Luxemburg-Gymnasium leitet, beanstandet, dass die Koalition „aus ideologischen Gründen“ an der Verknappung der Plätze festhalte. Das aber befördere vor allem die Nachfrage nach freien Trägern, deren grundständige Klassen sich großer Beliebtheit erfreuen, konstatiert ein weiterer Gymnasialleiter: Das jesuitische Canisius Kolleg etwa kann sich vor Anmeldungen kaum retten. Es beginnt mit Klasse 5.

Insbesondere zuziehende Familien aus anderen Bundesländern sind dringend auf fünfte und sechste Gymnasialklassen angewiesen, wenn sie ihre Kinder in der entsprechenden Altersstufe umschulen müssen. Die sechsjährige Grundschule gibt es bundesweit nur in Berlin und Brandenburg.

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