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Berlin: Nachhilfe für harte Jungs

Polizist Bonikowski will Jugendliche in Neukölln und Kreuzberg vor kriminellen Karrieren bewahren Bei Projekttagen stellt er mit Schülern typische Delikte nach – realitätsnah bis zum Gerichtsprozess

„Boni“ wird geduzt. Und mit Handschlag begrüßt. Für die vielen Jugendlichen türkischer oder arabischer Herkunft im Neuköllner Freizeitzentrum Lessinghöhe ist Stephan Bonikowski, 45, ein Zwei-Meter-Mann mit breitem Kreuz, ein Polizist „zum Anfassen“. So sagen es die Jungs dort. Seit 2003 leitet der Polizeioberkommissar das Jugendrechtshaus im sozial problematischen Rollbergkiez.

Bonikowski ist Präventionsbeauftragter der Direktion 5, zuständig für Neukölln, Kreuzberg und Friedrichshain. In seinen Sprechstunden berät er Jugendliche, die zu Tätern oder zu Opfern geworden sind. Und manchmal auch deren Eltern. Wie neulich: Da saß ein arabischer Vater mit seinem Sohn vor ihm. Der Junge ist im Kiez als Krimineller bekannt. „Raub, Diebstahl, Körperverletzung – das ganze Programm“, sagt Bonikowski. Der Vater sei völlig verzweifelt gewesen. Zum einen, weil er jetzt erst erfahren hat, dass sein Sohn kriminell ist. „Aber als er mitbekommen hat, wie schlimm die Taten waren, da ist er zusammengebrochen“, sagt Bonikowski. Geweint wie ein kleines Kind habe der Mann. Vor allem, als ihm klar wurde, dass sein Sohn vielleicht ins Gefängnis muss. Und wie teuer es für die Familie werden kann, wenn das Opfer Schadensersatz fordert. Das sei eine der Hauptaufgaben bei der Beratung, sagt Bonikowski: „Den jungen Tätern aufzuzeigen, was auf sie zukommt, außer der gerichtlichen Strafe.“

Doch der Polizist will nicht nur darauf warten, dass die Jugendlichen zu ihm in die Beratung kommen. Er will die „breite Masse“ erreichen. Deshalb geht Bonikowski in die Schulen und bietet für die 9. und 10. Klassen Projekttage an. Am ersten Tag vermittelt er den Jugendlichen Basiswissen, sagt er. Für viele der Schüler eine fremde Welt: Das deutsche Rechtssystem, die Grundlagen der Strafermittlung und anderes. Am zweiten Tag sind die Schüler am Zug. Sie sollen sich eine Straftat ausdenken und dann Täter, Opfer und Zeugen selbst benennen und spielen. „Das wird richtig realistisch dargestellt. Ich fertige dazu eine eigene Ermittlungsakte an“, erklärt Bonikowski.

Sich einen realitätsnahen Fall auszudenken, damit haben die Hauptschüler keine Probleme: Der Großteil der Jugendlichen ist schon bei der Polizei aufgefallen. Die Schüler greifen auf eigene Erfahrungen zurück, das so genannte Abziehen von Gleichaltrigen – also, wenn Handys und Markenklamotten geraubt werden – ist deshalb der Renner unter den ausgedachten Fällen. „Damit kennen die Kids sich aus“, sagt Bonikowski. Im Klassenzimmer wird die Tat rekonstruiert – nach dem immer gleichen Muster: Das potenzielle Opfer wird nach seinem Handy gefragt. Die Täter drohen, schlagen zu, flüchten mit dem erbeuteten Telefon. Zeugen rufen schließlich die Polizei.

Der dritte Projekttag ist der spannendste für die Schüler, meint Bonikowski. Dann nämlich wird der nachgestellte Fall vor dem Kriminalgericht in Moabit verhandelt. „Ich arbeite dort mit Jugendrichtern und Staatsanwälten zusammen, die den Jugendlichen einen Prozess machen, so, wie er sich auch bei einem realen Fall abspielen würde.“ Am Ende wird das Urteil verkündet: Meist ein mehrwöchiger Jugendarrest für die Täter. Doch weil die Richter und Staatsanwälte „voll mit Arbeit aus dem realen Leben sind“, wie der Polizist sagt, sei so ein Projekttag nur alle sechs Wochen an den Schulen möglich. „Anbieten könnte ich den wöchentlich: Ständig melden sich Schulklassen aus dem Kiez bei mir und fragen nach“, sagt Bonikowski.

Was das Ganze bringt? Messbar sei das Ergebnis nicht, sagt Bonikowski. „Aber die Jugendlichen erleben realitätsnah, was passiert, wenn sie kriminell werden.“ Möglicherweise bewahre das den einen oder anderen vor einer kriminellen Karriere. Das zumindest hofft der Polizist. Es ist sein Antrieb weiterzumachen.

Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) weiß Bonikowskis Einsatz für die gefährdete Jugend im Kiez zu schätzen. Im Dezember ist der Polizist von ihm mit der Neuköllner Ehrennadel ausgezeichnet worden. Und von Polizeipräsident Dieter Glietsch gab es eine Urkunde für die Präventionsarbeit. Doch darüber redet der Polizist nicht gern. Es ist dem Zwei-Meter-Mann ein bisschen peinlich.

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