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Alexandra Trettau (1969 - 2013)

© privat

Nachruf auf Alexandra Trettau: Es kann den Tod nicht geben

Meist entschieden die Umstände über die Route, die sie einschlug. Mit der Krankheit kam die Kraft, "Nein" zu sagen. Der Nachruf auf eine junge Berlinerin, die bis zum Schluss die Hoffnung nicht aufgeben wollte.

Alexandra war zwölf. Sie turnte, fuhr Schlittschuh und las. Sie spielte Klavier und lernte Französisch. Sie wirbelte über die Felder rund um Carwitz, wo sie die großen Ferien mit der Familie verbrachte. Sie lief auf Händen über die Wiesen. Es ging über ihre Vorstellungskraft, dass die Zeit eine Grenze haben soll.

Doch die Zeit ist ein Gefängnis. „Vier Jahre“, sagen die Ärzte, „vielleicht fünf.“ Alexandra ist 38. Sie hat zwei Kinder, einen Mann. Sie unterrichtet an einer Sprachenschule in der Kastanienallee. Sie liest. Sie spielt Klavier. Sie tanzt Tango und Salsa. Sie fährt Ski. Und manchmal schlägt sie auch ein Rad.

Vier Jahre, vielleicht fünf. Einige Monate zuvor hatten die Ärzte, weil sie den Grund für Alexandras Schmerzen nicht finden konnten, gesagt: „Gehen sie doch mal zu einem Psychologen.“ Ihr fehlen diese Monate jetzt. Die Metastasen drängen bereits in alle Winkel ihres Körpers.

Das Haus auf dem toskanischen Hügel

Nichts Großes, ein kleines Haus nur, das hatte sie sich vorgestellt, für später, wenn die Kinder ihre eigenen Wege gehen. Nur sie und Jens. Manchmal würden Freunde kommen oder die Söhne mit ihren Kindern. Ein kleines Haus, vielleicht oben auf einem toskanischen Hügel, mit einem Garten, in dem es nach Lorbeer riecht, mit einem Olivenbaum, unter den sie sich legt und ein Gedicht von Alessandro Manzoni liest in italienischer Sprache, die sie so liebt.

Eine verblüffende Reise

Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte sie ihr Wirtschaftsstudium in Karlshorst nicht abgebrochen, sie hätte gehofft, gelegentlich ihre Sprachbegabung einzusetzen. Nun konnte sie Romanistik studieren. Es war bezeichnend: Meist entschieden die Umstände über die Route, die sie einschlug. So wie damals, als der Eiskunstlauflehrer vorschlug, sie solle Leistungssportlerin werden. Hätten ihre Eltern nicht widersprochen, sie hätte den Drill ausgehalten, ohne ein Wort. Von ihren Eltern zog sie fort, weil eine Freundin in den Westen floh und die Wohnung frei wurde. Umso verblüffender schien dann diese Reise. Da fuhr sie einfach los, bis hinunter nach Bari, wo sie drei Monate blieb und alles Italienische aufsog, die Sprache, die Landschaft, die Menschen. Sie machte sich ein zweites Mal auf, diesmal nach Siena, für ein ganzes Jahr.

Und wenn es das Haus auf dem toskanischen Hügel doch geben wird? Sie will sich nicht zermürben lassen. Sie muss es versuchen. Sie muss gesund werden. Moritz ist erst acht und Robert vier.

Lernen "Nein" zu sagen

Metastasen verschwinden, die Ärzte sagen: „Wir verstehen das nicht.“ Sie hält ihr schönes Gesicht für eine Waschmittelreklame und für eine Kreditkartenfirma in die Kamera. Die Leute, die müde in der U-Bahn sitzen und die Plakate sehen, stellen sich das Leben dieser glücklichen jungen Frau vor.

Sie entdeckt, wie es sich anfühlt, „Nein“ zu sagen, sich nicht aus purer Höflichkeit Menschen und Dingen zuzuwenden. Sie zieht jetzt die Schuhe aus, bevor sie über eine Wiese läuft. Sie isst die erste Brombeere des Spätsommers und pflückt nicht zuerst den ganzen Korb voll. Auch in erschöpften Momenten glänzen ihre Augen. Jens sieht sie an und kann so viel Hoffnung kaum aushalten. Denn es gibt sie nicht. Alexandra trifft eine Entscheidung: Sie trennt sich von ihm.

Sie wären beieinander geblieben ohne den Krebs. Aber er ist da. Alexandra braucht Zuversicht, einen felsenfesten Glauben. Es kann den Tod nicht geben.

In diesem Augenblick begegnet ihr Leszek, den sie schon viele Jahre kennt, wieder. Er sieht sie nicht kummervoll an, er sagt, alles sei möglich.

Aber es geht ihr schlechter. Jens fährt sie ins Krankenhaus und sitzt an ihrem Bett, wechselt sich ab mit ihrem Bruder, Tag und Nacht. Es wird es nicht geben, das Haus auf dem toskanischen Hügel.

„Quel cielo … , così bello quand’ è bello, così splendido, così in pace.“ – „Dieser Himmel, so schön, wenn er freundlich ist, so glanz-geschmückt, so friedlich-sanft.“

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