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Axel Wendt (1941-2018)

© privat

Nachruf auf Axel Wendt (Geb. 1941): Nichts Festes, dazu fehlt ihm die Zeit

Er war in der Welt unterwegs, verdiente, trank und rauchte viel. Als sein kleines Reich, voll mit Erinnerungen, geflutet wurde, begann etwas ganz Neues

Schon wenige Monate nach Axels Geburt verlässt die Mutter mit ihren drei Kindern Berlin. Bei den Großeltern im schlesischen Schwertburg, überstehen sie den Krieg und flüchten im Frühjahr 1945 in Richtung Westen. Berlin erscheint dem vierjährigen Axel wie ein riesiger Abenteuerspielplatz. Rechts vom Haus und gegenüber stehen gewaltige Ruinen, links eine Feuerwehrstation, vor der Haustür fährt die Straßenbahn.

Der Vater kehrt nach seiner Gefangenschaft nicht zurück zur Familie; er hat eine neue Liebe in Stuttgart. Die Mutter arbeitet in einem Parfüm- und Geschenkartikelladen, wo viele englische Soldaten einkaufen und mit den Verkäuferinnen flirten. Sie kommt oft erst spät nach Hause, die Großeltern kümmern sich um die Kinder. Der Opa gründet einen Fußballverein, in dem Axel seine freie Zeit verbringt.

Er entwickelt einen großen Freiheitsdrang, den Abschluss der mittleren Reife hält er für überflüssig und verlässt nach der neunten Klasse die Schule. Er kennt den Eigentümer des Restaurants „Schildkröte“ am Kurfürstendamm, fängt an, in der Küche zu helfen, und arbeitet bald als Koch. Nach Küchenschluss genießt er die Geselligkeit der illustren Gäste. Hans Albers ist da, Harald Juhnke, die Artisten vom Zirkus „Krone“. Selbst Franz-Josef Strauß schaut mal vorbei. Für den Fußball fehlt Axel jetzt die Zeit.

Der Chef verkauft die „Schildkröte“, um auf Amrum etwas ganz Großes aufzubauen. Axel soll dort Küchenchef werden und zögert keine Sekunde. Er wollte sowieso in die Welt hinaus. So verlässt er Berlin und verdient viel Geld an der Nordsee. Das gibt er aus für feinsten Zwirn, edle Düfte, glänzendes Schuhwerk und Uhren, in denen nur ein Schweizer Werk ticken darf. Auf Krawatten, T-Shirts und Hemden müssen die Logos bedeutender Hersteller sichtbar sein.

Selbstverständlich hat er Liebschaften, nichts Festes, dazu fehlt ihm die Zeit. Als eine Frau ein Kind von ihm bekommt, bestreitet er die Vaterschaft und bleibt den Unterhalt schuldig. Ein Gericht verurteilt ihn zur Nachzahlung. 18 Jahre später sucht die Tochter ihren Vater und trifft ihn. Axel ist gerührt und stolz – sie will nur wissen, wie ihr Erzeuger eigentlich aussieht. Die Begegnung beendet sie mit der Bemerkung, dass es ihr gut gehe, und dass sie nichts weiter mit ihm zu tun haben wolle.

Während der Amrumer Winterpausen arbeitet Axel in Israel, auf Teneriffa und Mallorca. Dann kocht er im Hotel „Vier Jahreszeiten“ bei Frankfurt und lernt dort einen französischem Koch kennen, der ihn schwer beeindruckt. Axel reist an die Riviera und in die Provence, lernt die Sprache, raucht nur noch französische Zigaretten, hört die Musik von Edith Piaf und Charles Aznavour und trinkt zu viel Rotwein.

Als er nach Berlin zurückkehrt, nennen ihn viele den „Franzosen“. In der Schaperstraße verausgabt er sich in seiner eigenen Wirtschaft. Zu viel Arbeit, der Wein, die Qualmerei: Er ist noch keine 50, da streikt sein Herz. Während seiner Genesung mag er weder auf den Wein noch auf den Tabak verzichten. Nur zwei Jahre später erleidet er einen Hirnschlag.

Zur selben Zeit stirbt seine Mutter, ihr Apartement in der Seniorenresidenz wird frei. Da will er rein, doch die die Leitung meint, er sei noch zu jung. Gehen und Sprechen fallen ihm schwer, Rauchen und Trinken nicht. Ein neues Zuhause findet er in Friedenau. Die kleine Wohnung tapeziert er mit Zeugnissen seines Lebens, Fotos, Bilder, Zeitungsausschnitte. Auf seinem Balkon pflanzt er Kräuter, die nach Provence riechen. Mit Reis verwöhnt er hunderte von Spatzen.

2013 bricht ein Wasserrohr, sein kleines Reich wird überflutet. Einen Monat lang übernimmt die Versicherung die Unterbringungskosten. Axel fragt an beim kleinen „Literaturhotel“, schräg gegenüber vom Lebensmittelladen, in dem er den Spatzenreis kauft. Er bekommt das Zimmer 5 mit Biedermeier Möbeln und Gartenblick und fühlt sich verreist, fern und glücklich.

Der starke Kaffee im „Uwe-Johnson-Salon“ und die schönen Bediensteten gefallen dem angeschlagenen „Franzosen“ sehr. Zu Christa, Isabelle, Linda, Fadowa und Maeve entwickelt sich eine besondere Freundschaft. Dennoch, den Reparaturfortschritt in seiner Wohnung kontrolliert er täglich. Schon weil im Hotel das Rauchen untersagt ist.

Der Monat vergeht, Axel muss das Zimmer 5 verlassen, aber er hat eine Fastfamilie gewonnen. Wenn ein Nachtportier fehlt, oder wenn eine größere Gesellschaft bekocht werden muss, hilft er aus. Linda schreibt Axel Postkarten von fernen Reisen. Maeve, die aus Irland stammt, übersetzt ihm ein paar Briefe, die er bei seiner Mutter gefunden hat. In den Nachkriegsjahren hatte sie ein Techtelmechtel mit einem englischen Soldaten, von dem er jetzt erfährt.

Wird es einmal etwas stiller um die Wasserschadenfreundschaft, spaziert Axel mit einer Schachtel „Mon Chéri“ ins Hotel und beteuert, gerade aus dem Piemont zu kommen.

Nach vier Jahren versagt Axels Stimme, und er wird schwächer. Die Ärzte diagnostizieren böse Zellen in der Lunge. Vor den Behandlungstorturen flüchtet er mehrmals aus dem Krankenhaus und widersetzt sich den ärztlichen Regeln. Es sind die Frauen aus dem „Literaturhotel“, die ihn überreden, die Behandlung durchzuhalten. Zusammen mit den Schönen wird ihm noch ein langer Sommer beschert. An einem Sonntag im Oktober befiehlt er Christa, den Kaffee nicht so dünn aufzubrühen. Am Dienstag danach stehen Linda, Isabelle, Fadowa und Maeve an seinem Bett und sehen sein Lächeln ein letztes Mal.

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