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Daniela Swarowsky (1960-1919)

© privat

Nachruf auf Daniela Swarowsky (Geb. 1960): Wo bin ich zu Hause, wo will ich sein?

Der gerade Weg war geebnet. Doch sie begab sich auf die Suche. Mit Richtungswechseln, immer neuen Begegnungen, immer neuen Orten.

Von David Ensikat

Was von ihr bleibt neben all den Erinnerungen derer, die sie kannten? Die Filme, „Messages from Paradise“, Teil 1 und 2., Dokumentarfilme über Menschen aus Nordafrika. Sie handeln auch von ihr, denn sie handeln von der Sehnsucht, dort zu sein, wo man nicht ist, wo es alles gibt, Familie, eine Aufgabe, ein Auskommen, eine vertraute Umwelt. Wo bin ich zu Hause, wo will ich sein?

Die Filme hat sie gern gezeigt, sie sind gut, sie bleiben. Vielleicht war ihre Entstehung aber viel wichtiger als das Resultat. Die Interviews mit Menschen, die sonst keiner nach ihren Träumen fragt. Die stundenlangen Gespräche, von denen Minutenschnipsel übrigbleiben. Die Unterhaltungen mit Samuli, ihrem Mann. Mit ihm gemeinsam hat sie die Filme geplant, gedreht, geschnitten. Sie, die Österreicherin, er, der Finne, die sich in den Niederlanden kennen gelernt hatten und in Berlin gelandet waren.

Vielleicht ist wichtiger, was war, als das, was bleibt. Die Augenblicke, die Suche, die Richtungswechsel, die immer neuen Begegnungen, die immer neuen Orte.

Ein so wechselvolles Leben war nicht vorgesehen. Der gerade Weg war geebnet, ein ordentliches Abitur, Sprachen, eine Pro-forma-Ausbildung für die Tochter aus gutem Haus, hinreichend Charme und Bildung, um den Mann zu finden, der die Welt und die Familie bereichert. Ein bürgerliches Frauenleben wie jenes ihrer Mutter. Die war sehr jung, als sie Danielas Vater kennen lernte, er war 30 Jahre älter, Hans Swarowsky, Dirigent und Dirigentenlehrer, ein wichtiger Mann in Wien. Als er starb, war Daniela 15. Alt genug, noch etwas von seinem Ruhm und seiner Schaffenskraft erlebt zu haben, zu jung, um sagen zu können: Ich habe ihn gekannt.

Sie war 20, als sie wusste, dass sie nicht den Weg der Mutter gehen konnte. Reisen nach Indien spielten eine Rolle, die Erfahrung: Ich komme allein zurecht. In Wien machte sie eine Ausbildung zur Gesprächstherapeutin und Sexualaufklärerin und arbeitete jahrelang in den Berufen. Doch leicht fiel es ihr nicht, anderen zu sagen, was zu tun sei. Für eine, die Stabilität spenden soll, fühlte sie sich selbst nicht stabil genug. Sollte sie so tun als ob? Das konnte sie nie. Gegen Ende ihres Lebens stellte sie sich anderen mit den Worten vor: „Ich bin Daniela, habe Krebs und werde bald sterben.“ Das sagte sie nicht, um eine Wirkung zu erzielen. Sie sagte es, weil es so war.

Damals, noch in Wien, sang sie in einem Chor und erlebte diese Augenblicke: gemeinsam etwas Erhebendes erschaffen, Kunst, die im nächsten Moment schon wieder weg ist, aber nachhallt. Sie begann, die Auftritte zu organisieren, sie gelangte in die Künstlerszene, arbeitete in Galerien, beschaffte Geld für Kunstprojekte.

Und sie lernte einen Maler kennen, mit dem sie ihre Heimat, Wien, verließ. In New York wollten sie gemeinsam Größeres tun. Die Liebe ist doch keine Freizeitunternehmung!

2001 kam Daniela nach Europa zurück. Die Liebe hatte nicht gehalten, sie bekam ein gutes Jobangebot aus den Niederlanden. In New York hatte sie sich einen Namen in der Szene für elektronische Musik gemacht, jetzt sollte sie ein multimediales Festival in Rotterdam leiten. Und danach ein großes Kunstprojekt, das eine heruntergekommene Gegend aufwerten sollte. Es war viel Geld da für die Kunst, Daniela hatte alle Freiheiten. Sie organisierte Ausstellungen, Debatten, Konzerte, brachte Menschen zusammen. Als aus der miesen Gegend eine schicke wurde, hatten ihre Auftraggeber ihr Ziel erreicht, und sie empfand die Sache als gescheitert. Sie wollte keine Vorbotin der Gentrifizierung sein. Und sie war einfach nicht der Mensch, der zurückschaut und sich sagt: Das hast du gut gemacht. Andere sagten ihr das, und das war wichtig. Aber sie selbst doch nicht.

In Rotterdam lernte sie Samuli kennen und lieben, einen Ethnologen aus Finnland. Dass er zwölf Jahre jünger war als sie – egal. Wichtig war: Mit ihm konnte sie nicht nur zusammen leben, sondern auch zusammen arbeiten. Er war wie sie zu Hause, wo die Arbeit war.

Gemeinsam machten sie die Filme über die Mi- granten, die dorthin kommen, wo die Arbeit ist. Darin ging es ihnen nicht um Anpassung an die neue Umwelt, die sogenannte Integration. Es ging ihnen um die Träume und Einstellungen von Menschen wie ihnen: Menschen ohne das eine, eindeutige Zuhause.

Als Samuli die Zusage für ein großes Projekt in Berlin erhielt, kam Daniela mit. Nicht Berlin war es, schon gar nicht die Berliner, die sie lockten. Es war der Mann, es war die Arbeit, ein Ausstellungsprojekt mit Menschen aus der ganzen Welt. Und sie war wieder diejenige, die andere heranholte und zusammenbrachte, lauter Künstler, die zusammen eine Kunst herstellten, die ein einzelner nicht hergestellt hätte. So etwas zu ermöglichen, das war ihre Kunst.

Manchmal musste man ihr das sagen, denn unter all diesen Leuten, die Dinge vorzuweisen haben, Bilder, Installationen, Musikstücke, war sie sich zuweilen unsicher, ob das was sie tat, von Bedeutung war.

Vor fünf Jahren kam der Krebs und mit ihm die Angst, ihren Lebenssinn zu verlieren. Was, wenn sie nicht mehr würde arbeiten, produzieren können? Sie machte weiter, plante Projekte, auch als klar war, dass sie die Krankheit nicht überstehen würde. Sie suchte einen Ort auf dem Land und fand eine Hütte in der Uckermark, an der sehr viel zu machen war. Es war ihr vierter Ort, den sie sich schön herrichtete, und den sie nicht hergab. Neben der Berliner Wohnung hatte sie noch ihre alte Wohnung in Wien. Die war untervermietet, doch sie konnte jederzeit dorthin, um die Freunde ihrer alten Heimat zu treffen. In Rotterdam behielt sie ihre kostenlose Bleibe in einem besetzten Haus. Auch dort hatte sie noch viele Freunde. Zu schade, dass es in New York zu teuer war, um auch dort einen Stützpunkt zu erhalten.

Seit ihrer Indienreise war Daniela der Buddhismus vertraut und nah. Womöglich, weil es darin so sehr ums Loslassen geht, das ihr so schwerfiel, und das sie so gern lernen wollte. Ihre Wohnorte ließ sie nicht los. Ihre Kunstprojekte hat sie immer wieder nachgebessert, fortgeführt.

Und dann kam die Zeit, als die Krankheit sie dazu zwang, nichts mehr zu produzieren. Sie ließ alles los, weil sie es musste. Und es war gut.

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