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David Solomon (1957 - 2015)

© Karen Axelrad

Nachruf auf David Solomon (Geb. 1957): Kein Bestseller

Ein jüdischer Ami, bipolar, sehr links und ziemlich unorganisiert. In Charlottenburg hatte er einen Buchladen, in dem nie geklaut wurde, jedenfalls nicht gegen den Willen des Chefs. Bei einem Fahrradunfall kam er ums Leben.

David Solomons Buchladen in Charlottenburg war wohl der einzige in Berlin, in dem nie ein Buch geklaut wurde. Oder besser: Der Buchhändler Solomon hatte beschlossen, dass bei „Books in Berlin“ niemand stahl.

Wenn dort ein Buch in den Besitz eines anderen überging ohne den Austausch akzeptierter Zahlungsmittel, dann dachte der Buchhändler über den neuen Besitzer: „Der dealt nicht, der nimmt keine Drogen, der vergewaltigt niemanden. Hey, der liest ein Buch!“ So ein Buch ist ja mehr als eine Handelsware; man kann es auch als sinnvolle soziale Investition betrachten, auf wessen Kosten auch immer.

Anweisung also an alle Freunde, die David Salomon je an der Kasse des Ladens vertraten: „Wer mitbekommt, dass einer stiehlt: Nichts machen!“

Mit 31 in die DDR

Ziemlich sicher war diese Haltung dem Einfluss seines Vaters zu verdanken, denn Mark Solomon ist nicht nur ein bisschen links, er ist ein echter Kommunist. Kommunist mit Harvard-Abschluss in Geschichte, und nur aus dieser Kombination lässt sich erklären, dass er als Amerikaner 1988 ein Jahr als Gastprofessor an die Humboldt-Universität nach Ost-Berlin kommt. Weil Frau und die beiden Söhne mitkommen, lebt David nun, 31 Jahre alt, mit seinen Eltern in Marzahn.

Die Stadt gefällt ihm sehr, erst recht, als die Mauer fällt, nur ein Mangel fällt ihm auf: Berlin braucht dringend einen amerikanischen Buchladen. Amerikanische Literatur ist ja kaum zu bekommen! Und David mit seinem abgebrochen Bachelor in „Education“ braucht dringend einen Beruf. Er startet also im Jahr 1993 mit Büchertischen vor der Humboldt-Universität. Die Bücher schicken ihm seine Eltern, die inzwischen wieder in Boston leben. David liefert mit seiner Basecap ein stimmiges Bild: Die Studenten kaufen amerikanische Bücher vom echten Ami.

Einem jüdischen Ami.

Einem Ami mit der Diagnose: bipolar. Einem auch deshalb etwas unorganisierten Ami.

Einem Ami, der viel Ahnung vom Kommunistischen Manifest, aber wenig Ahnung von Marktwirtschaft hat. 1994 trifft er in Charlottenburg eine wichtige Geschäftsentscheidung: Er kauft drei Lehrerinnen einen Buchladen ab. Die haben ihn nach Schulschluss betrieben, und von nun an ist der Laden Davids Lebensmittelpunkt und Treffpunkt der amerikanischen Exilanten. Es ist ein Laden, den man mit keinem anderen vergleichen kann.

Lieferzeit: bis zwei Jahre

Der Besitzer ist Kommunist, Vegetarier, Baseball-Fan. Geboren in Detroit, aber Fahrradfahrer. Ein Buchhändler mit ausgewachsener, geradezu geschäftsschädigender Bestseller-Allergie. Kunden, die Dan-Brown-Bücher suchen, können sich auf was gefasst machen.

Man darf eigentlich nicht bei ihm bestellen, wenn man literarisch Mainstream oder politisch nicht links ist. Und man darf eigentlich auch nicht bei ihm bestellen, wenn man ein Buch dringend benötigt.

David hatte jahrelang nicht einmal eine Datenbank. Er schickte, wenn jemand nach einem Buch fragte, eine E-Mail an seine Eltern in Amerika, die besorgten das Buch, wenn nötig antiquarisch, und warteten dann, bis 120 Kilogramm an Büchern für ein Paket beisammen waren, sodass sich die Versandkosten rechneten. Die Lieferzeit konnte auf diese Art zwischen zwei Wochen und zwei Jahren betragen.

Aber die Bindung der Kunden zum Laden ist erstaunlich. Freunde finden, es sei mehr ein Hang-out der amerikanischen Szene in Berlin. Der Schriftsteller Jeffrey Eugenides hat, als er eine Zeit lang in Berlin wohnt, seinen Zahnarzt um die Ecke. Auf dem Weg dorthin kommt er bei David vorbei und signiert ein paar Bücher.

David Solomon hält in seinem Laden auch eine erstaunliche Mischung parat. Er ist ja kein Kulturbeflissener, hat deshalb nicht die Susan Sontag rauf und runter wie all die anderen Schnösel, nein, David Letterman führt er, Popkultur, amerikanische Bücher, die in Berlin, bevor es Amazon gibt, kaum zu bekommen sind. Und die anspruchsvollen Kunden erziehen ihren Buchhändler; seine Ausbildung verdankt er ihnen.

Anfangs, die ersten sieben Jahre, ist ein pensionierter Amerikanistik-Professor der Humboldt-Universität sein Kompagnon. Er ist einer der wenigen, die wissen, dass David manische und depressive Phasen hat. Das Wort „unorganisiert“ beschreibt die Phasen nur annähernd.

Manchmal braucht er Stunden, um ein Buch zu verschicken. David läuft los, um die Umschläge zu holen und geht auf dem Weg irgendwo in seinem Laden verloren. Einmal stellt er ein bestelltes Buch nach Monaten einfach ins Schaufenster, weil er die Telefonnummer des Kunden verloren hat. Kann doch sein, dass der Kunde vorbeiläuft und sein Buch dort sieht. Und er hört nie auf seine Freunde, die ihn drängen, dass er das Regal mit den Bestellungen entweder nach den Namen der Autoren oder denen der Kunden ordnen soll. Dann trinken die Kunden halt einen Tee, solange er sucht, und diskutieren über die verfehlte Bush-Politik und den katastrophalen Irak-Krieg. Bei ihm geht es familiär zu, politisch und geschichtsversessen. Er verbringt auch nach Ladenschluss viel Zeit zwischen den Regalen, er sieht Filme in seinem Laden bei geöffneter Tür.

Wahnsinnig wird irgendwann nur die Buchhalterin. Es möge ja sein, dass er so viele Freunde habe, die tatsächlich ohne bezahlt zu werden, für ihn im Laden die Stellung halten, wenn er auf den Markt geht, um sein Gemüse und Obst zu kaufen, aber wie soll man das dem Finanzamt erklären? Um ihm zu zeigen, dass er seine Wechselgeldkasse besser wegschließen muss, nimmt sie sie ihm einmal heimlich weg. Immerhin, nach zwei Tagen bemerkt er es.

Als Amazon-Verkäufer hat der gutwillige Buchhändler des Vertrauens ein schlechtes Ranking. Es kommt halt vor, dass er die Lieferungen an die Kunden vertauscht. Dann ruft er sie an und fragt, ob sie sich nicht gegenseitig die Bücher zuschicken könnten.

Geschäftlich kommt ein Hoch, als Kiepert, der große Buchladen um die Ecke, pleitegeht. Das bekommt vielen kleinen Buchhändlern der Gegend gut. David organisierte sich endlich einen Großhändler, der über Nacht liefert. Aber es braucht nicht lange, bis die Riesen neu erwachen, FNAC, Virgin Mega-Store, Herder, Hugendubel, Thalia und Dussmann. Und alle haben sie amerikanische Bücher.

Die Krise der Buchhandlungen ist nicht sein einziges Problem. Es fällt ihm auch schwer, Parkgebühren zu bezahlen, von den Strafzetteln ganz zu schweigen. 4000 Euro soll er irgendwann zahlen. Er schafft es einfach nicht, einen Anwohnerparkausweis zu beantragen. Auf einem der Zettel, die in Sträußen hinter seinem Scheibenwischer klemmen, hat ein verzweifelter Ordnungsamtler notiert: „Wie soll das weitergehen?“

Bachelor mit 56

David hat Wichtigeres zu tun. Er engagiert sich bei den „Democrats Abroad“ und den Irak-Kriegs-Gegnern „American Voices Abroad“. Mit Papieren hat er es nicht so, aber die Unterlagen, die ein Amerikaner in Deutschland braucht, um sich hier für die Wahl in den USA registrieren zu lassen, legt er in seinem Laden aus. Er besitzt auch das County-Verzeichnis und weiß genau, wann wer innerhalb welcher Fristen zu wählen hat.

Vor zwei Jahren, da ist er 56, bringt er per Fernstudium seinen Bachelor-Abschluss in „Education“ zu Ende. Er verfolgt im Fernsehen Baseball und spielt sonntags mit Freunden Softball im Park. Er zeltet beim Festival in Roskilde. Größer sind seine Ansprüche nicht, aber viel mehr ist auch nicht drin. Amerikanische Bücher sind keine Mangelware mehr. David ist ein Mann im Dispo und in der allergrößten Not benutzt er die Kreditkarte seiner Mutter.

In den letzten Jahren kommt ein Großteil seiner Post vom Amtsgericht. Aber vorm Gerichtsvollzieher muss er keine große Angst haben. Den entwaffnet er mit seiner ehrlichen Verpeiltheit. Das Glück ist ohnehin auf seiner Seite. Die Eigentümergemeinschaft des Hauses senkt zwei Mal die Miete, damit er bleiben kann. Alle scheinen sich einig, dass David mit seinem Laden ein guter Zweck ist: die Kunden, der Vermieter, die Familie.

Der Buchladen in Berlin, das hat sein Vater einmal zusammengerechnet, habe ihn im fernen Amerika etwa 95 000 Dollar gekostet. Der Vater ist glücklich damit, denn David ist glücklich damit. David nimmt keine Drogen, er wird nicht kriminell, hat ein selbstständiges Leben, einen Beruf und eine einzigartige Funktion in der Stadt. Der Vater kann sich keine bessere Investition vorstellen als in diesen lieben, dunklen Lockenkopf.

Ende Mai will David Solomon in der Nacht zum „Anti-War-Café“ in Mitte. Da kollidiert er auf seinem Fahrrad mit einem Taxi.

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