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Dietmar Meckel (1945-2016) im Jahr 1976

© privat

Nachruf auf Dietmar Meckel (Geb. 1945): "Hosianna!"

Am 2. September 1976 erschien er mit Stullenpaket zu einem Sit-in im Foyer des "Neuen Deutschland". Weil er Pfarrer war, wurde er nicht verhaftet. Er behauptete mal, er glaube nicht an Gott - und war alles andere als unfehlbar. Dafür hatte er Humor, so schwarz wie sein Talar

Freunde wie Unbekannte begrüßte Dietmar Meckel gerne mit „Hosianna!“ Gut möglich, dass er das auch getan hat, als er an einem Donnerstag vor 40 Jahren im Redaktionsgebäude des „Neuen Deutschland“ eintraf. „Hosianna!“ Im Bundesarchiv Lichterfelde findet sich über seine Intervention beim „Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei“ eine Mitteilung an die „Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED“. Am 2. September 1976 sei der Pfarrer Dietmar Meckel aus Zeitz erschienen, „um seinen Protest gegen den in unserer Zeitung veröffentlichten Beitrag ‚Du sollst nicht falsch Zeugnis reden’ vorzubringen.“

Dietmar Meckel erzählte später in einem Interview, dass zunächst der Pförtner versucht habe, ihn abzuspeisen. „Ich meinte aber, dass es normal sei, dass ich Kontakt aufnehme zu einem Menschen, der uninformiert sei. Denn nur von so jemandem könne der Artikel stammen.“

Zwei Tage zuvor hatte das „ND“ die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz vor der Michaeliskirche in Zeitz in gehässiger Weise kommentiert: Man sehe sich gezwungen, auf den „Selbstmord eines ‚Pfarrers’, der nicht alle fünf Sinne beisammen hatte“ zu reagieren. Bei einem Fußballspiel mit Kindern soll Brüsewitz „weniger angehabt haben als eine Unterhose“. Ob er unter seinem „General“, zu dem er „heimkehren“ wollte, Gott oder den BND verstanden habe, wolle man nicht näher erörtern.

Ein guter Prediger, kein guter Seelsorger

Das Westfernsehen hatte über Brüsewitz’ Selbstverbrennung und die damit verbundene Anklage gegen das SED-Regime berichtet, und darauf war der Zeitungskommentar eine hilflose Entgegnung. Er rief Ärger und Entsetzen hervor bis tief in die SED hinein. Der eigentliche Adressat war wohl die evangelische Kirche in der DDR. Deren Bischöfe hatten das Feuerzeichen des Pfarrers zwar nicht gebilligt, aber sie hatten sich auch nicht ausdrücklich davon distanziert. Ihnen sollte signalisiert werden, dass man auch anders könne, dass die Zeiten der harten Konfrontation zwischen Staat und Kirche nicht lange zurücklagen.

Dietmar Meckel hatte für derlei Signale zwischen den Zeilen nie viel übrig. Er fuhr „als lebender Leserbrief“ nach Berlin. „Ich wollte zeigen: So geht das nicht. So dürft Ihr über meinen Bruder nicht berichten.“

Nur war er auch ein Mensch mit vielen Schwächen: Dietmar Meckel mochte Autos, aber nicht so sehr, dass er sie pfleglich behandelte. Er fuhr sie einfach gern und schnell. Und war dennoch notorisch unpünktlich.

Als Pfarrer war er ein guter Prediger, aber kein guter Seelsorger – darin glich er seinem Amtsbruder Oskar Brüsewitz. Jedoch war Meckel kein religiöser Fundamentalist, und er war auch kein Glaubensbeamter, der vorgab, einen exklusiven Zugang zur Wahrheit zu haben. Er wusste, dass die Welt durchs Beten nicht besser wird. Bei einer Veranstaltung anlässlich der Wahlen zu den Bezirkstagen meldete er sich zu Wort: „Hosianna. Ich bin Pfarrer Dietmar Meckel und glaube nicht an Gott.“ Alles staunte. „Aber ich glaube daran, dass Gott durch Jesus Mensch geworden ist.“

Sein Humor war zuweilen so schwarz wie sein Talar. In den Stasi-Akten findet sich eine Gesprächsnotiz von der Trauerfeier für Oskar Brüsewitz. Ein Stasispitzel hatte ihn gefragt, worin sich ein Pfarrer wie Brüsewitz, der der Altpreußischen Union angehörte, von einem Lutheraner unterscheide. Darauf Meckel: „Wenn der Lutheraner sich öffentlich verbrennen will, geht er vorher zu seinem Bischof und bittet um Erlaubnis. Nicht so der unierte Pfarrer: Der macht das einfach.“

Dietmar Meckel hätte der Gedanke gefallen, dass eines Tages die vier Söhne und zwei Töchter an seinem Grab den irischen Segenswunsch vorlesen: „Sei über 40 Jahre im Himmel, bevor der Teufel merkt, du bist schon tot.“

War auch die schrumpfende Kirche in der DDR-Gesellschaft eine Randerscheinung, so waren die Pfarrer doch hoch angesehen. Das mussten Nonkonformisten sein. Und sie verdienten halb so viel wie Lehrer oder Facharbeiter, sie galten als unbestechlich und kompetent in sämtlichen sozialen Belangen. Außerdem waren sie begehrte Heiratskandidaten, denn wenn sie in den Westen übersiedeln wollten, ließ man sie; nicht die Kirchenleitung, die war dagegen, sondern die „staatlichen Organe“, die kaum ein Mittel scheuten, die Entkirchlichung voranzutreiben. So kam es nach dem Mauerbau zu einem akuten Pfarrermangel – womit verständlich wird, dass die Kirche einen wie Dietmar Meckel überhaupt Pfarrer werden ließ. Wegen versuchter Republikflucht hatte er einige Monate im Leipziger Stasigefängnis verbracht. Mit Anfang zwanzig war er in der Danziger Bucht auf ein westdeutsches Schiff zugeschwommen. Zuvor hatte er bereits zwei Jahre im Gefängnis gesessen, weil er den Wehrdienst verweigert hatte. Auf den gelernten Elektriker wartete damals ein Leben in irgendwelchen Hilfsjobs. So empfand er es als großes Glück, als die Kirche ihn einstellte.

Nach der dreijährigen Predigerausbildung wurde er 1971 in der Gemeinde Zeitz-Aue ordiniert. „Bleibe im Lande“, hieß es, „und wehre dich täglich“. In seinen Stasi-Akten trägt ein Operativer Vorgang den Namen „Schlange“: Meckel fotografierte Warteschlangen vor Geschäften und gab die Fotos an westdeutsche Journalisten. Nach Meinung der Stasi betrieb er sogar Spionage für die USA. Er besuchte regelmäßig einen ökumenischen Gesprächskreis, und da saßen zuweilen auch Protestanten aus den USA dabei.

Wer ist "A. Z."?

Weil er Pfarrer war, kam er nicht mehr ins Gefängnis. Nur keine Märtyrer! Auf keinen Fall sollte das Westfernsehen von einer Christenverfolgung berichten.

So ist es wohl auch erklärlich, dass Dietmar Meckel an jenem 2. September 1976 nicht aus dem Foyer des „Neuen Deutschland“ von der Polizei abgeführt wurde. Er blieb einige Stunden dort, eine Art christlich-realsozialistisches Sit-In, und forderte immer wieder, den Autor zu sprechen, der den Brüsewitz-Kommentar geschrieben hatte und das Kürzel „A.Z.“ trug. „Also sagte ich ihnen, dass ich Zeit habe. Ich würde ja niemandem zur Last fallen. Als einer, der viel Bahn fährt, wusste ich nämlich, wie wichtig es ist, Essen und Trinken dabeizuhaben.“ Es wurden Redakteure zu ihm geschickt, aber keiner war „A. Z.“ Sie sagten, dass es im Kommentar üblich sei, etwas zu übertreiben. Pfarrer Meckel entgegnete, dass eine Halbwahrheit auch eine halbe Lüge sei – und eben davon habe sein Amtsbruder Oskar Brüsewitz im Abschiedsbrief geschrieben: „Wahrheit und Lüge stehen nebeneinander.“

Am späten Nachmittag verließ er das Gebäude. Ihm sei schließlich erklärt worden, so erinnerte er sich später, dass der oberste Chef den Beitrag abgezeichnet habe, Erich Honecker. Für Dietmar Meckel war die Sache klar: „Nach DDR-Lesart war das eine Entschuldigung.“

Es galt damals und es gilt noch heute: Evangelische Pastoren haben in ihrer Lebensführung der bürgerlichen Norm zu entsprechen. Der Kirchenvorstand seiner letzten Gemeinde in Groß Rosenburg, einem Nest zwischen Magdeburg und Halle, strebte ein Verfahren gegen Meckel an wegen „nichtgedeihlichen Wirkens“. Er hatte sich von seiner Frau geschieden und lebte mit seiner Lebensgefährtin und zwei kleinen Töchtern im Pfarrhaus. So kam es, dass Dietmar Meckel 1989/90 sehr viel Zeit hatte, sich in der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ zu engagieren. Er befand sich „im Wartestand“ und sollte nie wieder eine Gemeinde bekommen.

Von seiner Kirche fühlte Meckel sich nicht verstanden, aber er konnte ihr nicht vorwerfen, dass sie ihn ins Bodenlose hätte fallen lassen. Aus dem Wartestand wurde ein gut dotierter Ruhestand.

Da war er längst nach Berlin gezogen, in den Neubaubezirk Marzahn-Hellersdorf, und widmete sich der Arbeit für „Bündnis 90/Grüne“. In den letzten 20 Jahren organisierte er Hilfslieferungen für Krankenhäuser und Kinderheime in Osteuropa. Rumänien, Bulgarien, Russland, er war ständig unterwegs. Und war dabei wohl seinem Jesus näher, als er es auf irgendeiner Kanzel hätte sein können.

An einem Todestag von Oskar Brüsewitz hatte er, damals noch Pfarrer, in der Kirche Zettel ausgelegt. Darauf schrieb er Brüsewitz Gedanken aus den „Gebeten aus der Arche“ zu. Das Gebet der Wildgeiß passte aber viel mehr zu ihm selbst: „Herr, ich habe nach meiner Phantasie gelebt – Phantasie für dich. Ich brauchte ein wenig wilde Freiheit, ein wenig Taumel im Herzen und den fremden Geschmack von unbekannten Blumen. Die Schafe verstehen nichts! Sie rupfen alle und allzeit im selben Sinn und käuen dann endlos wieder. Ich, ich bin gesprungen inmitten deiner Schöpfung, über Abgründe hinweg, über den Abgrund meines Herzens, dir in die Arme.“

Karsten Krampitz

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