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Gertraud Skowronnek (1928-2019)

© privat

Nachruf auf Gertraud Skowronnek (Geb. 1928): Mehr vom Leben!

Sie lebte in der kleinen Welt und in der großen, lebte in Saus und Braus, dann mal im Flüchtlingsheim, dann wieder als Geschäftsfrau...

Nicht dass sie etwas gegen ihre Eltern gehabt hätte. Eine Arbeiterfamilie aus Friedrichshain, der Vater schuftete auf dem „Zentralviehhof“, die Mutter war eine Kaltmamsell. Zwei Zimmer, Klo halbe Treppe, vier Geschwister, und immer war Trubel, Besuch, Feste und Feiern. Doch Gertraud wollte raus, zu eng war es ihr hier, es fehlte der Horizont. Ein Foto zeigt sie am Strandbad Wannsee im Bikini, zusammen mit zwei Freundinnen, 1943 war das. Sie lachen in die Kamera, als ob die Welt nur auf sie warten würde. Die mittlere Reife war der erste Schritt. Die Ausbildung bei der Post als Telefonistin der zweite. Den Krieg überlebte sie trotz einiger schlimmer Erlebnisse mit russischen Soldaten, über die sie nur andeutungsweise sprach.

Ihr Ticket nach draußen war Heinz. Im Mai 1945 lernten sie sich kennen, ein paar Wochen später schon heirateten sie, Hnizdo lautete ihr neuer Nachname. So war sie, sie machte einfach los, egal, was es später vielleicht einmal kosten würde, sie oder die anderen. Er war erfolgreich, viel älter, später wurde er der Leiter der Berliner Messe. Das Paar zog nach Dahlem, und die 17-jährige Gertraud war plötzlich in einer anderen Welt: Professoren, Schauspieler, Künstler, Tennisplätze und Clubhaus. Arbeiten musste sie nicht. Zwei Jahre genoss sie Saus und Braus, selbst als Berlin noch hungerte. Doch erst schaute Heinz sich anderweitig um. Dann wollte Gertraud mehr vom Leben. Sie lernte Horst kennen, der sie in die Geheimnisse des Schwarzmarktgeschäfts einweihte.

Sie war gut darin, an Straßenecken zu stehen, unschuldig zu tun, Blicke aufzunehmen, in Seitenstraßen zu verschwinden, Kaffee gegen Geld oder andere seltene Güter zu tauschen. Den Gewinn investierte sie in Hüte, Maßschuhe, Mäntel und in das schöne Leben.

1949 kam ihre Tochter zur Welt, und Gertraud heiratete Horst. Pawlowski wurde ihr neuer Nachname. Sie arbeitete im Büro auf dem Zentralviehhof, wohnte in Lichtenberg, die Tochter aber verbrachte die meisten Tage bei der Oma. Horst, der Vater, war froh, wenn sie nicht da war, und Gertraud war keine aufopferungsvolle Mutter. Sie spielte in einem Laientheater, sie feierte, wollte gut aussehen und den Ernst des Lebens nicht so sehr an sich heranlassen.

Viele Jahre später, Anfang der 2000er Jahre, schrieb sie einen Abschiedsbrief an ihre Tochter. Sie war krank, dachte, sie würde sterben. Im Brief bittet sie ihre Tochter um Verzeihung für ihre Sprunghaftigkeit. „Du hast unter den von mir oft voreilig getroffenen Entscheidungen leiden müssen.“

Ein plötzlicher Aufbruch 1957. Ein Kollege in ihrem Betrieb wurde der Spionage beschuldigt, Gertraud verweigerte die Aussage und verließ über Nacht die DDR. Die Tochter blieb bei der Oma, und den Mann ließ Gertraud auch zurück.

Neuanfang im Flüchtlingsheim am Mehringdamm und als Staubsaugervertreterin von Elektrolux. Eine junge, hübsche Frau, energisch, selbstbewusst. Bald lernte sie Klaus-Dieter kennen, Heirat Nummer drei, ihr vierter und letzter Nachname: Skowronnek.

Ihre Tochter bestand darauf, dass sie sie endlich zu sich nahm. Was Gertraud dann auch tat.

Sechs Zimmer am Ku'damm

In der Baubranche lernte sie Abrechnung, Kalkulation, Auftragsvergabe und verdiente gut. Ihr Mann scheiterte mit diversen Geschäftsideen, dann hatten sie die zündende gemeinsam: Spielplatzgeräte! Wie in Gertrauds Leben üblich, ging es schnell, bald bestückten sie West-Berlin und West-Deutschland mit Seilbahnen. Sie kauften Eigentumswohnungen und ein Haus und zogen in eine Sechszimmerwohnung mit drei Balkonen am Ku’damm. Gertraud erstand Antiquitäten und einen Papagei. Hoffeste, Nachbarschaftstreffen, lange Besuche im „Zwiebelfisch“ mit vielen neuen Freunden, für die sie das „Traudchen“ war. Sie gab 20 Mark Trinkgeld, dem Rosenverkäufer kaufte sie den ganzen Strauß ab, und dabei agitierte sie leidenschaftlich für eine gerechtere Gesellschaft. „Spiegel“, „Tagesspiegel“, „Spandauer Volksblatt“ wurden von vorn bis hinten gelesen und debattiert.

Mitte der 80er Jahre: Rosenkrieg im Hause Skowronnek. Da Gertraud wütender und wütender wurde, sowieso immer alles durchzog, kämpfte sie, bis die Gerichtskosten das meiste von dem, um das es ging, verschlungen hatten.

Ein weiteres Beispiel für ihre Sturheit: Mit Freunden ging es mal nach Brandenburg. Der Fahrer war viel zu schnell, wurde geblitzt und gestoppt. Gertraud zeterte und zeterte: „Du streitest alles ab, du gibst denen nichts, wie wollen die das beweisen?“ Die Freunde konnten sie gar nicht mehr beruhigen.

Während ihres Scheidungskampfes hatte sie festgestellt, wie wenig Beratung es für Frauen in solchen Situationen gab. Kurzerhand gründete sie den Verein „Forte“ und kämpfte fortan ehrenamtlich für die Rechte und das Geld anderer Ex-Ehefrauen. Noch Jahre später wurde sie auf der Straße gegrüßt: „Sie haben mein Leben verändert. Das Gespräch mit Ihnen war das wichtigste in meinem Leben!“

Für den Verein beschaffte sie Geld und Förderungen, trat im Fernsehen auf, gab Zeitungsinterviews. In einer Dokumentation sieht man sie, Mitte 2000, als eine alte Frau mit kurzen, eleganten weißen Haaren, großen, schönen Augen hinter der randlosen Brille. Auf dem Tisch die Packung Zigaretten. Geraucht hat sie immer.

Um weiterzuleben, wie sie es gewohnt war, verkaufte sie das letzte Haus und spielte Lotto. 70.000 Euro hat sie einmal gewonnen. Aus der Wohnung am Ku’damm ausziehen, nur weil die Rente nicht reichte? Sie doch nicht!

Operationen, Krankheiten, Erblindung, Stürze. Den Rollator schob sie noch mit ihren hochhackigen Schuhen durch die Straßen. Dass es dann wirklich dem Ende zuging, war allen klar, als sie nicht mehr rauchen wollte. Tochter, Freunde saßen Tag und Nacht an ihrem Bett. Am 13. April hörte sie auf zu atmen. Auf der Trauerfeier spielten sie „Für mich soll’s rote Rosen regnen“.

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