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Hans-Dieter Eickmeyer

© privat

Nachruf auf Hans-Dieter Eickmeyer: Was er hörte, behielt er für sich

Er arbeitete im "Tabasco" und im "Vagabund", er war der Wirt vom "Pussy-Cat". Und alle schütteten sie ihm ihr Herz aus.

Das „Pussy-Cat“ ist eine Schwulen-, Lesben-, Transen-, Hetero-, Sei-doch-wie-Du-willst-Bar, mit der strengsten Tür der Stadt, was Spaßbremsen angeht, ansonsten steht sie allen offen. Chef vor und hinter dem Tresen war bis zur Jahrtausendwende Hans-Dieter, von allen nur HD genannt, was weltläufig klang und die Herkunft aus Spenge, Ostwestfalen, vergessen ließ.

„Junge, so kannst du doch nicht rumlaufen“, schimpfte die Mutter, was schon den kleinen Hans-Dieter nicht weiter kümmerte, denn er wusste früh, was er wollte: raus aus der Provinz, rein in den Glamour. Der Vater hielt ihn nicht auf, der war früh gestorben, und als gelernter Polsterer und Dekorateur würde er überall in der Republik eine Stelle finden, erst recht in West-Berlin, der Stadt seiner Träume. Sein Gefühl trog ihn nicht, und auch nicht sein Glück, denn er traf auf O. E. Hasse, Frauenschwarm, Filmstar, „Geliebter Lügner“, der ihn unter seine Fittiche nahm und ans „Tabasco“ vermittelte, einen dieser Clubs, die den Schwulen der Stadt einen sicheren Rückzugsraum boten. Er avancierte zum Barmann, und da er sehr beliebt war bei den Gästen, Typ Bel Ami, konnte er bald seine Stelle als Dekorateur bei Neckermann aufgeben und sich fortan in Vollzeit dem Nachtleben widmen. Die Bars in West-Berlin waren dank der Anwesenheit der Alliierten weltläufig, es galt viel zu vergessen, viel zu feiern, aber nicht jeder wollte dabei gesehen werden. HD war diskret, er half seinen Gästen, wenn Razzien anstanden, bürgte für sie, wenn sie ihre Papiere nicht zur Hand hatten, und behielt ihre Geheimnisse für sich, wenn sie allzu sentimental ins Plaudern kamen.

Die Bar „Vagabund“ warb ihn ab. Ihr Wahlspruch wurde sein Lebensmotto: „Doch bleib ich stets nur mein / und niemand soll je wissen, / wer ich wirklich bin. / Das ist die Nacht des Vagabund’s … / hier kann ich niemand sein!“ Das klingt nach Zarah Leander im Duett mit Marlene Dietrich, und beide traf er tatsächlich persönlich, wobei Zarah Leander so betrunken war, dass er sie bei Sonnenaufgang diskret nach Hause geleiten musste. Etliche Prominente zog es an die Bar. Bubi Scholz, der im Rausch seine Frau erschossen hatte, und so viel Kummer gar nicht zu ertränken vermochte. Horst Buchholz trank sich fest am Tresen, „der deutsche Alain Delon“, der unter dieser Rollenerwartung zusehends litt und unter seiner Bisexualität, die er nicht offen leben konnte. Inge Meysel war Stammgast, „die Mutter der Nation“, die so gern über die scheinheilig-heile Fernsehwelt schimpfte.

Nicht wenige Ringe an der Hand

Es waren viele, die Trost suchten und Verständnis, und allen hörte HD zu, und was er hörte, behielt er für sich. Eine Familie. Da gab es keinen, den er von sich stieß, es sei denn, er trat auf wie Graf Koks. Wobei, für alles Adlige hatte er eine Schwäche. Er selbst kleidete sich gern wie Lord Casual, Seidensakko, Einstecktuch, und nicht wenige Ringe an der Hand. Gespeist wurde daheim von königlichem Porzellan, bevorzugt Meißen, was er sich zu der Zeit auch leisten konnte. Denn als er auf Wunsch der Vorbesitzerin 1979 das „Pussy-Cat“ übernahm, begannen seine goldenen Zwanziger.

Annährend 70 Leute passten in die kleine Bar, aber Hunderte standen Schlange am Wochenende, in Dreierreihen drängten sie zur Tür. Von 21 Uhr bis morgens um fünf, irgendwann wurde der Ruhetag gestrichen, und von sechs Uhr abends bis sechs Uhr früh geöffnet. „Sie kommen als Fremde und gehen als Freunde“, warb HD für sein Zuhause, denn eigentlich lud er die Gäste in sein Wohnzimmer. Auf alles gab er Acht, insbesondere darauf, dass sich jeder amüsierte. Und wenn es draußen zu kalt war, ließ er drinnen eimerweise Sand ausstreuen: Strandparty. Alle kamen, auch die Prominenten, die nicht immer zahlten, es waren etliche offene Rechnungen, die HD gewissenhaft bis ins hohe Alter in einer Keksdose aufbewahrte. Persönlich war er nie knausrig, jeden Winter ging er zur Bahnhofsmission, spendierte Kaffee und Garderobe. „Ich komm mir vor wie Mutter Teresa“, seufzte er dann kokett, wohl wissend, dass da in Fragen Lifestyle wenig Verwechslungsgefahr bestand. Denn wenn er morgens erschöpft die Bar hinter sich schloss, stieg er nicht selten in den Flieger nach Westerland, und feierte dort weiter, bis die Müdigkeit schwand.

Für Schwule war Sylt damals wie West-Berlin, eine Insel der Seligen, nur sandiger. Wenn im „Hotel Atlantic“ gefeiert wurde, dann gab sich auch gern Arndt von Bohlen und Halbach die Ehre, in jungen Jahren Erbe der Krupp-Werke, nach seinem Verzicht auf die dynastische Nachfolge von Beruf Jet-Setter, was HD zuweilen nachahmte, allerdings im Linienflug-Tarif. Er besuchte Siegfried und Roy in Las Vegas, ging an Bord der „MS Italia“, Fernweh im Blick, ein wenig an Curd Jürgens erinnernd, so dass ihm die älteren Damen seufzend zu Füßen lagen. Und auch etliche Herren. Es war ihm Ernst in der Liebe, einmal sogar sehr ernst, doch sie hielt nicht bis zum Ende, die große Partnerschaft seines Lebens. Aber es gab auch keine Tragödien, Aids ausgenommen. Viele Bekannte musste er zu früh aus seinem Adressbuch streichen, worüber er nicht groß Worte verlor. Wenn er Kummer hatte, schwieg er, bei Kleinigkeiten hingegen wurde er laut. HD konnte sehr kapriziös sein. Eine Jungfrau in allen Facetten, die dem Sternzeichen eigen sind: fleißig, zuverlässig, aufopferungsvoll, mit einem ausgeprägten Hang zur Pingeligkeit und Besserwisserei: Wenn er Recht haben wollte, wollte er auch Recht haben, wissend, dass er sehr wahrscheinlich völlig falsch lag.

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Als er das „Pussy-Cat“ aufgab, weil er sich zu alt fühlte, tat er das ohne Tamtam. Er ließ „Schnapsverkäufer a. D.“ auf seine Visitenkarte drucken und kümmerte sich um sein Zuhause. Eine große altberliner Wohnung in der Mommsenstraße, die er mit einer Freundin teilte, und regelmäßig umdekorierte. Als ihm auch das zu viel wurde, bezog er eine kleinere Wohnung. Nur das Arbeiten gab er nicht auf. Er ging zurück in den „Vagabund“, übernahm dort die Nachmittagsschicht, weil er Geld verdienen wollte, aber vor allem, weil er sich allein langweilte.

„Ich bin ein zähes Luder“, scherzte er, als die Krankheiten kamen, und er steckte alles gut weg, bis auf den Sturz. Er konnte die Wohnung nicht mehr verlassen, die Nachbarn halfen, die Freunde, das Wir, an das er immer so fest geglaubt hatte, trug ihn bis zuletzt. Als es dann ans Abschiednehmen ging und Tränenstau drohte, wiegelte er ab: „Ich hatte ein wunderbares Leben, was will ich mehr?“

[Wir schreiben regelmäßig über nicht-prominente Berliner, die in jüngster Zeit verstorben sind. Wenn Sie vom Ableben eines Menschen erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben sollten, melden Sie sich bitte bei uns: nachrufe@tagesspiegel.de. Wie die Nachrufe entstehen, erfahren Sie hier.]

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