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Hans Wallbaum

© Peter-M. Scheibner

Nachruf auf Hans Wallbaum: „Bist du Rock-’n’- Roller oder willst du rumjammern?"

Nach einer Konzertkritik im Tagesspiegel baten sie ihn gern: „Entwirf doch mal wieder ein paar intelligente Schlagmuster!“ Nachruf auf einen Trommler von Format

Eine neue Band, The Escalatorz, 1980 probten sie zum ersten Mal. Hans am Schlagzeug trieb sie an, nicht nur musikalisch. Wann ist der erste Auftritt? Wann machen wir eine Platte? Er wollte keine Zeit verplempern, es war nicht seine erste und nicht seine letzte Band.

Es ging dann schnell: Übungsraum, Studio, Platte. Hans stand immer bereit, wenn ihn ein Bandkollege am Morgen abholte; dann schüttete er sich schnell noch einen Rest Kaffee rein, in der anderen Hand eine Zigarette. Spätestens im Proberaum war er dann voll da. Auf dem Teppich, links neben seinem alten weißen Rogers-Schlagzeug, häufte sich ein kleiner Berg feiner Holzspäne, abgesplittert von seinen Drumsticks.

Ihr erstes Konzert gaben die Escalatorz im April 1981 in der Weddinger „Sumpfblüte“. Wenn der Sänger mal einen Anflug von Unsicherheit verspürte, musste er sich nur umdrehen zu Hans, der da mit leidenschaftlich verzerrtem Affengesicht trommelte, in vollem Einsatz. Das gab dem Frontmann einen Energiestoß – und alles war gut.

Anderen hat Hans immer Mut gemacht, aber Zweifel oder Klagen mochte er nicht. „Bist du Rock-’n’- Roller oder willst du rumjammern?“ Nur einmal war er wirklich ratlos. Der Sänger spielte den anderen einen neuen Song vor, eine Art Reggae. Hans konnte so was nicht spielen: „Was is’n das für’n Scheiß? Ich bin doch nicht aus Jamaika!“ Sie hatten den Song schon aufgegeben, als Hans zwei Proben später beiläufig vorschlug: „Lasst uns doch noch mal diesen komischen Reggae spielen!“

Er hatte rumprobiert, jetzt konnte er es. Und wie er es konnte! Sie spielten den Song im „Quartier Latin“, und im Tagesspiegel erschien die Konzertkritik eines Musikwissenschaftlers: „Die Escalatorz verfügen über einen der erfindungsreichsten Schlagzeuger der Stadt, der rhythmische wie farbig abwechslungsreiche und intelligente Schlagmuster entwirft.“ Das wurde zum geflügelten Wort: „Entwirf doch mal wieder ein paar intelligente Schlagmuster, Hans!“

Ein kleiner Nebenverdienst

Wenn sie sich trafen, erzählte Hans oft kleine Stückchen aus seinem Leben: dass er die längsten Haare im Ruhrgebiet getragen, eine kaufmännische Lehre abgebrochen und früh schon einen Drummerwettbewerb gewonnen hatte.

Da es sich vom Musikmachen kaum leben ließ, hatte Hans in den 70ern einen kleinen Nebenverdienst. Mit Frank Slim and the Continental Cowboys spielte er im „Quasimodo“, und während der Pause ging Hans mal kurz nach draußen. Als sie weiterspielen wollten, fehlte er. In einer dunklen Ecke hatte er einen Typ für ein schnelles Tauschgeschäft getroffen. Doch dann waren da auf einmal noch ein paar mehr Typen, das Geschäft war geplatzt und Hans in Handschellen. Er zeigte später grinsend den Zeitungsartikel: „Berlins größter Kokain-Dealer festgenommen!“ Der größte war er ganz bestimmt nicht, aber die Sache hat ihm ein Jahr in Tegel eingebracht.

Im Knast traf er zufällig seinen Bandkollegen, den Bassisten Kurt Herkenberg, und saß mit ihm eine Zeit lang in derselben Zelle. Einige Jahre später fragte Kurt an, ob er bei Hans mal unterkommen könnte. Konnte er natürlich, auch wenn Hans die düstere Einzimmerbude im Hinterhaus, Goltzstraße, schon mit seiner Freundin Silvia teilte.

In den Knast wollte Hans jedenfalls nie wieder und verdiente sein Geld nur noch legal mit verschiedenen Bands, Studio-Sessions, Live-Auftritten.

Winzige Ausrutscher mag es mal gegeben haben: Als die Escalatorz zur Eröffnung eines neuen Berliner Rockschuppens spielen sollten, hatte der Veranstalter die Band mit einem Stapel Freikarten ausgestattet. Kurz vor dem Konzert wurde der Sänger ins Büro des Geschäftsführers beordert. Da saßen schon Hans und Silvia, laut argumentierend. Sie hatten vor dem Eingang Hans’ Freikarten verkauft. Kleiner Nebenverdienst, großes Theater.

An dem Abend spielte Hans wieder exzellent, und wenn dem Sänger Zweifel kamen, drehte er sich um, sah Hans – und alles war gut.

Hans spielte bei Interzone – das war seine größte Band – und bei Stoppok. 1991 landete er wieder bei den Escalatorz. Der Sänger drehte sich um, sah Hans, und alles war wie früher. Eine Zeit lang. Dann, als der Chef eine Gage auszahlte und die Übungsraummiete wie üblich anteilig von den einzelnen Mitmusikern abziehen wollte, wurde Hans heftig: „Wieso das denn?“ Es sei doch die Band vom Chef, da müsse der auch den Übungsraum bezahlen. Bei so was war er kompromisslos, Übungsraum zahlt er nicht, kommt nicht in die Tüte. Am Ende meinte der Chef: „Okay, es ist meine Band, dann löse ich sie hiermit auf!“ Und das war’s.

[Die anderen Texte unserer Nachrufe-Rubrik lesen Sie hier]

Hans fand schließlich eine Art Lebensstellung bei der Hamburg Blues Band. Der alte Escalatorz-Chef freute sich, als sie sich 2009 über den Weg liefen und sie wieder miteinander sprachen. Hans erzählte, dass Silvia jämmerlich gestorben sei und dass er, harter Brocken, geheult habe wie ein Schlosshund. Doch dann ging es ihm wieder gut, er sei viel unterwegs, trete viel auf, sei gesund und verdiene sein Geld. Und was die Frauen angehe, da mache er es wie die Matrosen: in jeder Stadt ein Liebchen.

Jahre vergingen, in denen sie sich nicht mehr sahen, bis jemand erzählte, Hans Wallbaum sei sehr krank. Der alte Bandkumpel fragte, ob Hans sich über einen Besuch freuen würde? Klar tat er das. Sie lachten viel bei diesem Treffen im Krankenhaus. Hans erzählte von seinem Ausstieg aus der Hamburg Blues Band, und er erzählte von seiner Krankheit, lachte.

Endlich mal wieder jemand, dem er das erzählen könne, wie er sich trotz schlimmer Schmerzen noch zu einem Auftritt geschleppt habe, um danach beim Arzt von seinem Lungenkrebs zu erfahren, fortgeschritten. Während der Chemotherapien und Bestrahlungen habe er weiter Schlagzeug gespielt und mit einem Freund Filmmusik aufgenommen: „Das wird’n großes Ding, aber das werde ich ja leider nicht mehr erleben. Haha.“

Vorm Sterben, sagte er, habe er keine Angst. „Hab doch alles gehabt. Es war ein schönes Leben. Ich war ein guter Schlagzeuger. Ich bekomme ausreichend Schmerzmittel, was will ich mehr?“

Und er erzählte noch mal die die Geschichte von der Verhaftung hinterm „Quasimodo“, und dass es doch nie einen zweiten Elvis geben werde oder einen Schlagzeuger wie Ringo Starr. „Oder einen wie Hans Wallbaum“, sagte der Besucher, und sie lachten.

[Wir schreiben regelmäßig über nicht-prominente Berliner, die in jüngster Zeit verstorben sind. Wenn Sie vom Ableben eines Menschen erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben sollten, melden Sie sich bitte bei uns: nachrufe@tagesspiegel.de. Wie die Nachrufe entstehen, erfahren Sie hier.]

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