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Harald Dreher (1958-2019)

© privat

Nachruf auf Harald Dreher (Geb. 1958): Er macht's passend

Bis zum Schluss ging er zur Arbeit, denn die hielt ihn vom Grübeln ab. Der Nachruf auf einen Praktiker am Theater.

Im Sommer wäre er gern noch mal zur „Sail“ in Bremerhaven gefahren, dem Auslaufen der Windjammern zusehen, den Bands am Deich lauschen, Labskaus essen, von der großen Freiheit träumen. Denn hier hatte ja alles angefangen. Harald kam aus der Ecke, aus dem Teufelsmoor, unweit von Bremerhaven, Hambergen, eine kleine Stadt, die ein ruhiges Leben versprach, das er so nie wollte.

Der Vater war Kaufmann, und das sollte der Sohn auch werden, aber das wollte er nicht. Was Streit gab, denn schlimmer noch als Läuse waren Flausen im Kopf. Also hat Harald mit seinen Eltern einen Handel vereinbart: Wenn er erfolgreich seine Lehre als Bankkaufmann abschließen würde, durfte er nach Berlin ziehen und studieren, was er wollte.

Die Lehre stand er durch, das Studium nicht. Zu viel anderes im Kopf, Musik vor allem. Harald hatte einige Jahre im „Stagge’s“ aufgelegt, der ersten Dorfdisco von Welt in Osterholz-Scharmbeck, wo die amerikanischen Soldaten mit Soul und Funk den Deutschen einen ganz anderen Marsch bliesen. Aber als großer Plattendirigent mochte er in Berlin nicht antreten, dazu war politisch zu viel los. Er ging gegen die Atomkraft auf die Straße, mischte im Häuserkampf mit, schob das Examen vor sich her, weil er das Fach Politologie sehr praktisch verstand: Keine Atempause / Geschichte wird gemacht / Es geht voran!

Großer Spaß bei kleinen Jobs

Er studierte gern und lang, aber weil er den Eltern nicht ewig auf der Tasche liegen wollte, heuerte er bei den „Heinzelmännchen“ an. Die schickten ihn an die städtischen Bühnen, wo er kleine Jobs bekam, die ihm großen Spaß machten. Bei der Bühnentechnik konnte er das Handwerk mit dem Dirigieren verbinden, und so wurden es immer mehr Jobs, bis er das Studium ganz aufgab. Er arbeitete sich durch viele Theater der Stadt, war lange selbstständig, bis er im „UNI.T“, dem Theater der Universität der Künste, sein Zuhause fand.

Auf der Bühne treffen Traum und Realität nicht selten hart aufeinander. Was die Studenten und Dramaturgen und Regisseure wollen, und was der Brandschutz und die Technik gestatten, sind oft zweierlei, was Harald nicht weiter aus der Ruhe brachte. Er machte das alles immer irgendwie passend ohne großes Getue, weil es ihm leichtfiel, mit anderen gut auszukommen. Er war beharrlich und verlässlich und seinen Träumen treu. So wie es nur einen Fußballverein seines Herzens gab, nämlich Werder Bremen, so mochte er auch nur in einer Wohnung leben bleiben, in Neukölln, Karl-Marx-Straße, die noch eine WG war, als er dort einzog, zu der von Anfang an auch zwei Katzen gehörten. Und er mochte auch nur eine Frau lieben, Susanne, kurz Sanne. Die kam aus Bremerhaven, und nach einer halbjährigen Schnupperphase war klar, dass es passen könnte. Nach knapp 18 Jahren sagte sie dann endlich „Ja“ auf der Brücke der „M.S. Lale Andersen“, die, nun ja, von Bremerhaven aus in See stach. Zwei Wochen später wurde dann noch solide an Land gefeiert, in der ehemaligen Offiziersmesse des Flughafens Tempelhof. Da spielte eine Country-Band auf, die keine Countrymusik spielen durfte, sondern Rock and Roll: „Sweet Home Alabama“. Und zum Finale dann Hans Albers, „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“. Das war und blieb das Hochzeitslied, welches Harald auch auf anderen privaten Feiern immer wieder anstimmte, wobei ihm das Gefühl wichtiger war als die Tonlage.

Er wollte das ausdiskutiert haben

Von Tempelhof aus ging es auf Hochzeitsreise nach Venedig und im Lauf der Jahre fast rund um die Welt. Wann immer sie Urlaub hatten, gingen sie auf Reisen. „Lass uns doch jetzt leben“, war seine Ansage, und das galt vor allem auch beim Essen und beim Trinken. Denn wenn gerade nicht auf Reisen, dann wollte er wenigstens kulinarisch die Welt erkunden.

Er hat Kochbücher gelesen wie andere Romane. Bei der Zubereitung selbst war er nur „Schnibbelhilfe“, aber sachkundig wurde eingetragen, ob Rezepte gelangen oder noch verbessert werden konnten – die Rouladen der Schwiegermutter selbstverständlich ausgenommen. Zum Essen gab es guten Wein und zum guten Wein ein gutes Gespräch, und wenn da nicht alle seiner Meinung waren, konnte es schon mal sein, dass er kein Ende fand, was seinen Freunden gehörig auf die Nerven ging. Das spürte er natürlich, und dann schwieg er still, aber nur für einen Moment, um dann doch wieder neu anzusetzen. Er wollte das ausdiskutiert haben.

Als die Diagnose „Lungenkrebs“ kam, „unheilbar“, hat er nicht weiter herumargumentiert. Außer: „In Zukunft werde ich ja mehr zu Hause sein, da ist es doch naheliegend, dass ich jetzt ,Sky‘ abonniere.“ Er wollte kein Spiel von Bremen mehr verpassen.

Er hat das Urteil angenommen, er hat nicht gehadert, und er hat alles getan, um die letzte Zeitspanne noch zu verlängern. Vier gute Jahre kamen dabei raus. Vier Jahre, die sie gemeinsam lebten. Er konnte weinen, er konnte aber auch getröstet werden.

Bis zum Schluss ist er zur Arbeit gegangen, weil er hat seine Arbeit ja geliebt, und sie hielt ihn vom Grübeln ab. Was hätte er denn auch ändern sollen? Er briet seinem besten Kumpel wie immer die besten Hamburger, und es gab Weißwein und manchmal einen Rum, und Van Morrison gab den Takt vor. Ansonsten hat er nicht groß drüber gesprochen, über den Tod. Er hatte seinen Kinderglauben, und er hatte seine Sanne, die bis zum Schluss bei ihm blieb.

Als dann alles vorbei war, ging es noch einmal an Bord. Wieder von Bremerhaven aus, hinaus aufs Meer. Die Urne wurde ins Wasser gelassen, der Kapitän läutete die Glocke, das Schiff drehte Kreise und in der Mitte, da war das Wasser plan und ruhig. Es gab Fischbrötchen und Butterkuchen, und Hildegard Knef sang und Rio Reiser, und nicht wenige flennten, aber die Tränen flossen ja geradewegs in die Nordsee, ihm hinterher.

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