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Helga Kahler (1928-2018)

© privat

Nachruf auf Helga Kahler (Geb. 1928): In jeder Hinsicht groß

„Erstens, ich bin keine Genossin. Zweitens, mein Mann ist kein Genosse. Drittens, ich komme als eigenständige Person“. So sprach sie vor der Kaderleitung.

Das Bewerbungsgespräch verlief soweit gut, der Kaderleiter der Akademie der Künste in Ost-Berlin holte zu einer freundlich gemeinten Zusammenfassung aus: „Das ist ja schön, Genossin Kahler, dass Sie also zu uns an die Akademie kommen möchten. Sie als Frau des Genossen Ernst Kahler, ein Künstler und Schauspieler, den wir sehr schätzen, Sie passen sicher gut zu uns. Da freuen wir uns doch auf die Zusammenarbeit.“

Helga Kahler hätte in diesem Moment dankbar lächelnd die ausgestreckte Hand des Genossen schütteln und sich über die neue Stelle als Abteilungsleiterin in einem so renommierten Haus freuen können. Stattdessen sagte sie: „Erstens, ich bin keine Genossin. Zweitens, mein Mann ist kein Genosse. Drittens, ich komme hier nicht als Frau eines berühmten Mannes, sondern als eigenständige Person. Das möchte ich von Anfang an klarstellen.“ Das war 1968, und sie bekam den Job.

Woher nahm sie den Mut? Sie sprach nicht darüber, auch später nicht, als viele erst entdeckten, wie mutig sie gewesen waren. „Sie war in jeder Hinsicht groß, stark und furchtlos“, sagt einer ihrer Freunde.

Das war sie wohl, schon als sie, noch keine 20 Jahre alt, mit ihrem Sohn Georg aus der Provinz nach Berlin zog. Ihre Liebe zum Vater des Kindes, einem sowjetischen Soldaten, war verboten. Die gelernte Zahnarzthelferin suchte den Weg ins Offene. Enge hatte sie genug erlebt. Bertolt Brecht gründete das „Berliner Ensemble“ am Schiffbauerdamm, wo Helga als Statistin begann. Das Theater und seine Kantine wurden zu ihrer Heimat. Sie war nicht zu übersehen und schon gar nicht zu überhören, bald kannte sie jeden Beleuchter, jede Kartenabreißerin und die Schauspieler sowieso. Sie liebte die Kunst, die Künstler liebten sie, einen der gefeierten Schauspieler heiratete sie, und nachdem die Ehe gescheitert war, gleich einen weiteren.

Helga Kahler selbst war keine Künstlerin, auch keine Akademikerin. Weder im Schöpferischen noch im Analytischen lag ihr großes Talent. Sie war eine Menschensammlerin, eine Mittlerin. Der Weg vom Theater führte sie zum Rundfunk, in der Abteilung Hörspiel kümmerte sie sich um die Besetzung der Sprecher und wurde Regieassistentin.

Dann der neue Arbeitsplatz an der Akademie der Künste – eigentlich waren es zwei: zum einen die Büros und der Ausstellungsraum im Neuen Marstall neben dem Palast der Republik und die Werkstätten der Ausstellungsabteilung, die Helga Kahler nun leitete, am Pariser Platz, gleich neben der Mauer. Von der Toilette im obersten Stock blickte man auf den Todesstreifen zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz. Sämtliche Leitern und selbst die Mülltonnen waren angekettet, und zwischen 22 und sechs Uhr war der Zutritt zum Gebäude strengstens untersagt. Auf dem Stadtplan war es überhaupt nicht eingezeichnet.

Ausgerechnet hier schuf Helga Kahler einen Ort, der für viele eine Zuflucht im sozialistischen Alltag war. Es galt das strenge Motto: Ein Tag, an dem man nicht wenigstens einmal lacht, ist ein verlorener Tag. Bei Frau Kahler arbeiteten nicht wenige, denen es aus den unterschiedlichsten Gründen schwerfiel, ihren Platz in der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ zu finden. Einer beschreibt es so: „Ich war Teil der Untergrundszene im Prenzlauer Berg und wollte nicht in den Westen. Durch Frau Kahler konnte ich in der DDR bleiben, offen und ehrlich, ohne mich zu verbiegen.“ Ein Freund schreibt: „Helga half Menschen, und wenn sie dabei der Engstirnigkeit, der politischen und charakterlichen Borniertheit oder einfach der Dummheit ein Schnippchen schlagen konnte, dann war sie fröhlich. Lautstark und weithin hörbar.“

Zwei Fähigkeiten halfen ihr dabei. Sie beherrschte die Technik, so lange mit Vorgesetzten und anderen wichtigen Leuten zu reden, bis sie dachten, Helgas Vorschläge stammten von ihnen selbst. Außerdem musste sie sich nichts beweisen. Sie musste nicht größer erscheinen, als sie war. Sie maß 1,70, sie wusste, was sie konnte und was sie wollte, das genügte.

Es gibt keinen Grabstein, der an sie erinnert. Ihre Asche wurde, so hat sie es sich gewünscht, in einem Friedwald vergraben, damit die Wurzeln der Bäume sie aufnehmen und sie somit ein Teil des Waldes wird.

In Potsdam, nicht weit von der Havel, gibt es aber ein Schild mit ihrem Namen. Helgas Gäste, die sie in den letzten Jahren so gern in ein Restaurant in der Nähe ihrer Seniorenresidenz einlud, wussten oft nicht, wo sie in der Gegend ihr Auto abstellen sollten. Helga, die selbst nie ein Auto hatte, kaufte einen Stellplatz vor der Gaststätte. Die Betreiberin hat das Schild mit dem blauen „P“ und der Aufschrift „Kahler“ nicht abschrauben lassen. Es erinnert immer noch an die großzügige Menschenfreundin Helga Kahler.

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