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Hilmar Schroschk

© privat

Nachruf auf Hilmar Schroschk: Hier ein Lachen, da ein Staunen

Er hatte sich schon einen Sarg gebaut, in Form eines Hobels. Leider war der dann zu groß.

Hilmar baute verrückte Dinge, kleine und große, je ausgefallener, desto besser. Vielleicht, so seine Hoffnung, würde die Welt erkennen, was für ein Genie in ihm steckte. Vielleicht würde er endlich berühmt werden. Einen Instagram-Account hatte er sich dafür zugelegt, ein Freund half ihm mit den Videos. Mit lakonisch klingender Stimme kommentierte Hilmar in reimenden Strophen, während er ein Bild von Putin durch einen Schredder jagt, der wiederum gerade dabei ist, eine ukrainische Flagge zu verspeisen. Aktionskunst. Jedes Like zählte, jeden Kommentar sehnte Hilmar herbei. Dabei hätte er gar nicht nach den Sternen greifen müssen.

Da waren zum Beispiel die Kinder, die große Augen machten, wenn er an ihnen vorbeifuhr: Verkleidet in seinem riesigen Affenkostüm auf einem seiner selbst gebauten Lastenräder, die aussahen wie kleine Autos. Oder die Frau, die eine Behinderung hatte und schon immer davon träumte, einmal mit dem Auto zu fahren. Weil das nicht ging, kaufte sie eins von Hilmars Lastenrädern, Modell Trabant. Glücklich fuhr sie damit vom Hof. Hier ein Schmunzeln, da ein Lachen, dort ein Staunen und immer wieder Gespräche mit den verschiedensten Leuten über seine aktuellen Pläne. Hilmar, der alte Mann, hatte zu tun. Es gab kleine Ausstellungen, er hatte einen Stand auf dem Kunstmarkt. Berühmt werden? Auf eine Weise war er das längst.

Hilmar wohnte im Erdgeschoss. Eine kleine Wohnung nur, die mehr einer Werkstatt glich, in der er all das stapelte, was ihm noch nützlich sein konnte. Hobel zum Beispiel, Hunderte von Hobeln. Wenn er einen sah, der ihm noch fehlte, kaufte er ihn. Draußen vor der Tür stand ein selbst gebauter Sarg in der Form eines riesigen Hobels. Ein Fernsehteam war deswegen schon da gewesen und hatte ihn interviewt. Aufmerksam wurden sie, weil Hilmar per Zeitungsannonce nach ernsthaften Mitstreitern für ein Sargbauteam suchte.

Kein Kontakt mehr zu den Söhnen

Das Tolle aber war, dass Hilmar immer vor seiner Haustür sitzen konnte. Für die Nachbarn hatte er eine Begrüßung und einen gut überlegten Witz. Ab und an warf er einen Blick auf die Kinder, wenn die noch im Buddelkasten spielen wollten, die Eltern aber schon mal hochgingen. Kinder nahm er ernst. Hörte sich an, was sie zu berichten hatten, beantwortete geduldig ihre Fragen, merkte sich die Geburtstage. Dann hatte er einen kleinen Teddybär oder etwas aus Holz Gebautes für sie.

Seinen eigenen Enkel holte er einmal in der Woche von der Kita ab und ging mit ihm auf den Spielplatz. Später stand er einmal die Woche vor dem Schultor und wieder später trafen sie sich mittwochs beim Türken und aßen Kumpir, gefüllte Kartoffeln. Diskutieren konnte man mit seinem Opa gut, fand der Enkel, sich von ihm alles lang und breit erklären lassen und dann darüber nachdenken. Zu seinen Söhnen hatte Hilmar allerdings keinen Kontakt mehr. Drei sind es. Nur seine Tochter sorgte sich um ihn, als er älter wurde.

Sein eigener Vater war streng gewesen. Wenn die Bäckersstube nicht ordentlich ausgefegt war, wenn Hilmar nur den Ansatz von Widerworten auf den Lippen hatte, wenn er irgendwas angestellt hatte, dann setzte es was. 19 war Hilmar, als er nach West-Berlin floh. Als gelernter Tischler fand er schnell Arbeit. Gut aussehend, groß gewachsen und witzig, wie er war, fand er auch schnell eine Freundin. Sie war 16, machte gerade ihre Lehre, als sie schwanger wurde. Kaum selbst erwachsen, begann für die beiden das Familienleben. Die drei Söhne waren zuerst da, etwas später dann die Tochter. Zusammen lebten sie in einer riesigen Wohnung in Friedenau. Hilmar ging arbeiten, seine Frau kümmerte sich um den Rest. Irgendwann trennten sie sich, blieben aber verheiratet.

Auf einem seiner Selbstbauräder
Auf einem seiner Selbstbauräder

© privat

Urlaube, Ausflüge und viele Freunde, es wurde getanzt und gefeiert. Einmal nahm Hilmar für eine Faschingsfeier 20 Kilo ab, malte seinen nackten Oberkörper mit roter Farbe an und setzte sich eine schwarze Perücke auf. Oder er engagierte sich in einer Nachbarschaftsinitiative und baute Spielplätze mit auf. Hilmar war eigentlich immer da, wo was los war, wo er den Leuten etwas berichten und seine Sprüche loslassen konnte.

Einen eigenen Laden für Renovierbedarf hatte er mal, dann verkaufte und verlegte er Parkett, oder er baute Hochbetten und sanierte Wohnungen. In seinem Lebenslauf schrieb er, dass er ein Studium der Betriebswirtschaft absolviert habe, dabei war es nur ein Kurs. Einmal sollte seine Tochter schnell noch ein paar Fotos von einer renovierten Wohnung machen. Der Wohnungsbesitzerin stellte er sie als seine Architektin vor. Dem Fernsehteam berichtete er, dass er Jahrzehnte an dem Sarg gearbeitete habe, dabei waren es nur ein paar Wochen gewesen. Dass er seine Geschäfte nicht immer optimal organisiert hatte und er dabei Schulden anhäufte, behielt er für sich.

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Lieber dachte er schon über die neueste Idee nach. Gorilla- und Eisbärkostüme, die er so konstruiert hatte, dass es aussah, als ob die Tiere ihn tragen würden. Kruzifixe aus Lego, aus Actionfiguren, aus verschleierten Barbiepuppen. Holzmännchen, die eine goldene Klinke putzen. Einen Kalten Hund, dessen Kekse so geschichtet waren, dass sie das Brandenburger Tor darstellten. Die Ideen flogen ihm zu. Da er kein Perfektionist war, immer das verbaute, was zur Hand war, setzte er sie dann einfach um.

Sein Hobel-Sarg war ja leider viel zu groß für die deutsche Friedhofsordnung – also wollte er sich eine Urne bauen, aus Holzrinde, die hatte er schon besorgt. Doch weiter kam er nicht. Nach einer Herzoperation schlief er ein und wachte nicht mehr auf.

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