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Isabella Tsigarida

© Privat

Nachruf auf Isabella Tsigarida (Geb. 1970): „Nichts ist so, wie es erscheint“

In einem war sie unbeirrbar, im Glaube an den Zweifel. Hätte sie gängigen Meinungen nicht so tief misstraut, wäre sie womöglich noch am Leben. Oder hatte sie am Ende Recht?

Von Barbara Nolte

Im Internet ist ein einziges Foto von Isabella Tsigarida zu finden. Es zeigt sie als Nonne, aufgenommen bei der Aufführung von „The Sound of Music“ in der Schweiz. Isabella Tsigarida spielte darin die verknöcherte Ordensschwester Bertha. Eine Rolle, die ihr selbst so gar nicht entsprach.

Sie war lebenslustig, zuweilen ausschweifend. Doch eins hatte sie mit Nonnen gemeinsam: einen unbeirrbaren Glauben. Nur, dass ihr zentraler Glaubenssatz das Zweifeln postulierte: „Nichts ist so, wie es erscheint.“ Hätte Isabella Tsigarida Ausnahmen davon zugelassen, hätte sie gängigen Meinungen nicht so tief misstraut, so glauben einige ihrer engen Freunde, wäre sie noch am Leben.

In Schöneberg ist sie aufgewachsen, wenige hundert Meter entfernt besaß ihr Vater ein griechisches Restaurant. Er war kein typischer Gastwirt, hatte ein Faible für antike Geschichte, das er der Tochter vererbte. Sie studierte Alte Geschichte und Betriebswirtschaft. Sie sah gut aus, sie war kontaktfreudig, deshalb kam sie auch in der Marketingbranche sehr gut an. Doch die Absatzförderung war ihr zu profan.

Warum handelte sie nicht?

Geschichte gefiel ihr besser. Da die Geschichtsschreibung nie objektiv und immer vom Zeitgeist bestimmt ist, sah sie sich in ihrem Widerspruchsgeist herausgefordert. Was, wenn Jesus ganz anders war, als in der Bibel beschrieben?, fragte sie sich. Daraus entstand ihr erstes Buch: „Der historische Jesus“. Ihr Fazit: Jesus hatte Charisma, war aber nur eine Lokalgröße. Der Ruhm kam später.

Mitte der Neunziger ging Isabella Tsigarida mit ihrem Freund nach New York. Sie heirateten und gründeten eine Software-Firma. Als die New-Economy-Blase platzte, zogen sie an den Zürich-See. Dort bekamen sie zwei Kinder, und Isabella Tsigarida machte eine Ausbildung zur Farb- und Stilberaterin.

Menschen scharten sich um sie, sagt eine Freundin. Ihr Rat war gefragt. Gefühle zu analysieren, dieses im Grunde paradoxe Unterfangen, lag ihr. Jetzt versuchen ihre Freunde, sie zu analysieren. Warum handelte sie so? Beziehungsweise: Warum handelte sie nicht?

Im Jahr 2010 war bei ihr ein Tumor in der Brust entdeckt worden. Ihrer Überzeugung entsprechend, dass das Wahre nicht das Offenbare ist, sondern erst ergründet werden muss, begriff sie ihre Erkrankung nicht als eine zufällige Mutation von Zellen, der man mit Skalpell und Giftcocktails begegnet. Sie sah ihre Krankheit als Symptom unverarbeiteter Traumata, die sie lösen müsse, „sonst kommt der Krebs zurück wie ein Bumerang.“

Den Tumor ließ sie sich herausoperieren, auf eine Chemotherapie verzichtete sie. Stattdessen veränderte sie ihre Ernährung, machte eine Familienaufstellung, besuchte Homöopathen und Heiler.

Eine Freundin bot ihr an, einen Termin beim Chef des renommiertesten Krebszentrums der Schweiz zu arrangieren, den sie persönlich kannte. „Ich lass’ das mal sacken“, erwiderte Isabella und kam nicht darauf zurück.

Unmittelbar nach der Diagnose hätten sie bereits diverse Onkologen besucht, sagt ihr Mann. Doch deren Behandlungsmethoden erschienen ihr zu riskant. Sie wollte ihren Weg gehen. Auf Nachuntersuchungen, ob der Krebs gestreut hatte, verzichte sie. Sie habe „ein gutes Bauchgefühl“. Mit ihrer Zuversicht panzerte sie sich gegen jede Einflussnahme und trieb viele, die ihr nahstanden, in die Verzweiflung. Glaubte sie sich auf dem Weg der Heilung, oder fürchtete sie eine weitere Krebsdiagnose so sehr, dass sie die Ungewissheit vorzog?

Oder hatte sie am Ende recht?

Bis zum Schluss das blühende Leben

Sie lebte die nächsten Jahre das Leben einer Gesunden. Schrieb ihre Doktorarbeit über die wirtschaftliche Bedeutung von Salz im alten Rom, hielt Vorträge auf internationalen Konferenzen, spielte Theater, machte eine Ausbildung zum „Life Coach“. Ihre Ehe zerbrach, sie verliebte sich anschließend in einen anderen, mit dem sie die Welt bereiste. Sie sah bis zum Schluss aus wie das blühende Leben, sagt eine Freundin.

Im letzten Sommer hustete sie viel. Nur eine Erkältung, meinte sie. Rückenschmerzen tat sie als Hexenschuss ab. Ende Oktober ging sie schließlich doch zum Arzt. Der sah die Metastasen.

„Da war ich wohl auf dem Holzweg“, sagte sie. In der Silvesternacht starb sie.

Ihr Lebensgefährte sagte in seiner Beerdigungsrede in tiefer Trauer: „Jeder hat das Recht, den eigenen Weg zu gehen.“

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