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Jiři Lenin Kubíček (1925-2016)

© privat

Nachruf auf Jiři Lenin Kubíček (Geb. 1925): Kommunist mit Mercedes

An seiner Wiege stand das ZK der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei. Er war Spion in Wien, Waffenhändler, Renegat. Und legte immer großen Wert auf gute Autos. Der Nachruf auf ein bewegtes Leben.

Was ihn als Spion so erfolgreich machte? Seine drei goldenen Regeln, die er unmittelbar nach Dienstantritt in Wien durchgesetzt hatte: Keine konspirativen Treffen mehr im Wald, denn da treffen sich ohnehin nur Geheimdienstler. Kein Skoda als Dienstwagen, denn wo sonst vermutet man einen osteuropäischen Agenten. Und schließlich: Den Prostituierten immer mehr zahlen als die gewöhnlichen Freier, so erfährst du über die feindlichen Armeen alles, was du wissen musst.

Jiři Kubíčeks diplomatische Mission in Österreich endete, als er den Auftrag bekam, einen Angriffskrieg gegen die Westeuropäer logistisch vorzubereiten. Da rebellierte sein Gewissen und er meldete sich krank. Was ihm umso leichter fiel, als er durch einen kollegialen Wink der Gegenseite erfahren hatte, dass seine Enttarnung unmittelbar bevorstand. Auch wenn er immer stolz auf seinen Beinamen Lenin gewesen war, den aggressiven Sozialismus stalinistischer Prägung verachtete er zutiefst.

Die Eltern in Haft

Jiři  wurde in Brünn geboren. Bei seiner Taufe stand das gesamte Zentralkomitee der kommunistischen Partei der Tschechoslowakischen Republik an der Wiege. Die Eltern waren Kommunisten, und im Leben überzeugter Kommunisten gibt es immer Wichtigeres als das eigene Kind. Der Vater, Redakteur der Volksillustrierten und als Parteisekretär immer im Einsatz, scheute auch nicht davor zurück mit seinem Sohn Propaganda für die Weltrevolution zu machen. Der Junge durfte stolz erzählen, dass es zu Hause nie einen Weihnachtsbaum gab, weil das ersparte Geld den Flüchtlingskindern in aller Welt gespendet würde. So oft Jiři diese Geschichte im Alter wiederholte, so herzzerreißend war zu spüren, wie gern er eigentlich einen Weihnachtsbaum zu Hause gehabt hätte, und ein wenig mehr Familienleben. Mit elf Jahren versuchte er sich an dem sportlichen Wagnis, die örtliche Skisprungschanze mit einem Schlitten zu bezwingen und landete geradewegs im Krankenhaus. Erst nachdem sich drei Tage das dreckige Geschirr zu Hause stapelte, bemerkte seine Mutter, dass der Sohn, der sonst den Abwasch machte, gar nicht im Haus war und holte ihn schließlich aus der Klinik.

Zwei Tage nachdem die Deutschen Prag besetzt hatten, wurden die Eltern verhaftet. Jiři  war auf sich allein gestellt. Die Lehrer am Gymnasium mochten ihn, er war mathematisch begabt, ein guter Schüler – der sich nach der Besetzung strikt weigerte, im Unterricht Deutsch zu sprechen. „Um Gottes willen, Kubíček“, flehte ihn der Deutschlehrer an, „du musst mindestens einen Satz auf Deutsch sagen, sonst werden die mich hängen nach dem Krieg, weil ich dich hab durchfallen lassen!“

Da stand Jiři  auf und rezitierte die Glocke, auswendig, alle 30 Strophen. In Literatur kannte er sich aus. Die eine Hälfte der großen Bibliothek des Vaters hatte aus deutschen, die andere aus russischen Büchern bestanden. Die Mutter kam zurück aus dem Gefangenenlager, der Vater wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Auch dort las er noch Schiller und Goethe, aber seine Gesundheit litt schwer. Mit 16 fuhr Jiři  zum Gefängnis und bat den Direktor um die Freilassung seines Vaters. Zwei Wochen später wurde er in eine Klinik nach Prag überstellt, wo er starb.

Die Großeltern waren im Lager, viele Freunde und Bekannte waren verhaftet worden, etliche von ihnen kamen nach Theresienstadt. Jiři  organisierte einen illegalen Paketdienst, um Kleidung, Lebensmittel und Arznei ins Lager zu schmuggeln. Eine junge Frau half ihm dabei, Mila, die er nur allzu gern auf der Stelle geheiratet hätte. Aber mit falschem Namen kann man nicht heiraten, unter ihrem richtigen Namen wollten sie bei der Behörde nicht vorstellig werden, und von einem Pfarrer wollten die beiden schon gar nicht getraut werden. Die Liebe hielt dennoch. Zudem war die Romanze eine wunderbare Tarnung, wenn sie mit ihren Fahrrädern über Land fuhren, um die Hilfslieferungen zu verteilen. Doch es wurde immer gefährlicher. Milas Eltern wurden verhaftet, der Vater starb im Lager. Die Gestapo war ihnen immer dichter auf den Fersen. Viele der Freunde erlebten das Kriegsende nicht.

„Wenn es der Partei dient …"

Kaum war Frieden, begann Jiři  das Studium der Volkswirtschaft. Dank seiner guten Russischkenntnisse fand er sofort eine Anstellung im Ministerium für Außenhandel, es galt die Wirtschaftshilfe der sozialistischen Staaten untereinander zu organisieren. Millionensummen wurden bewegt. Viel Verantwortung für einen jungen Mann. Später kokettierte er immer ein wenig damit, wie einfach er sich damals hätte selbst bereichern können. Aber er war Kommunist, noch immer, auch wenn viele Genossen im Gefängnis verschwanden oder gar liquidiert wurden. „Wenn es der Partei dient …“, hieß es dann nicht selten von den Opfern selbst. Aber seine Zweifel wuchsen, denn er sah, dass die Wirtschaft nicht funktionierte, nicht funktionieren konnte, weil die Bürokratie alles erstickte. Funktionärsdiktatur statt der Herrschaft des Proletariats. Offen hat er darüber allerdings erst nach dem Niedergang des Sowjetimperiums gesprochen. Er fürchtete stets, verraten und erschossen zu werden.

Jiři  Lenin Kubíčeks private Definition von Kommunismus war ganz einfach: Allen muss es gut gehen. Aber es gab keinen Wohlstand für alle. Es gab noch nicht einmal gute Automobile. Als ihn auf einer Passstraße den Großglockner hinab ein Rad seines eigenen Autos überholte, schwor er sich, nie mehr in einen Skoda einzusteigen.

Von da an fuhr er nur noch die Wagen mit dem Stern. Er und Karel Gott waren lange Zeit die Einzigen in Prag, die in einem Mercedes unterwegs waren. Er hatte einen Grundig-Fernseher, eine deutsche Waschmaschine, er besaß eine schöne Wohnung und weitgehende Reisefreiheit. Der Familie ging es gut, denn als er aus Wien zurückkam, begann er erneut im Ministerium für Außenhandel zu arbeiten, Sparte Waffenhandel. Wo immer Krieg war in der Welt, wurde militärisches Gerät aller Art geliefert. Ein gutes Geschäft. Er war erfolgreich. Man bot ihm an, als Diplomat nach Amerika zu gehen, aber die Botschaftsangehörigen dort waren allesamt Spione in russischen Diensten, wie er bei einem Erkundungsbesuch feststellte. Zudem hätte er dort Bus fahren müssen oder Volkswagen. Er lehnte dankend ab, was vor ihm noch keiner gewagt hatte.

Sieben Jahre Hausmeister

Aber die Stimmung im Land schien sich zu drehen, der Prager Frühling. Es kamen die russischen Panzer, und er weigerte sich, eine Ergebenheitserklärung zu unterschreiben. Prompt folgte seine Entlassung. Was ihn nicht weiter bekümmerte, fortan arbeitete er als einfacher Angestellter. Er war wohl der einzige Hausmeister im gesamten Ostblock, der mit einem Mercedes zur Arbeit fuhr. Die beiden Kinder halfen mit.

Im großen Kofferraum des Mercedes waren die Kanister mit dem warmen Wasser und die Wischwedel untergebracht. Und da er regelmäßig den westlichen Wetterdienst abhörte, wusste er auch immer im Vorhinein, wann er streuen musste.

Sieben Jahre verdiente er so sein Geld. Es war eine gute Zeit, denn die Familie hielt zusammen. Jiři s Sohn wurde zwei Jahre vor Beendigung seines Jurastudiums von der Uni geworfen. Er schlug sich anfangs als Krankenwagenfahrer durch, emigrierte, arbeitete als Taxifahrer in München. Kaum war die Grenze offen, kehrte er zurück, beendete sein Studium und wurde ein berühmter Anwalt. Er starb noch vor dem Vater.

Die Tochter ging nach Deutschland und heiratete dort. Beide waren früh zur Selbstständigkeit erzogen worden. Das Makarenko-Prinzip: „Ich fordere dich, weil ich dich achte.“ Auch wenn es darum ging, Entschuldigungen für die Schule zu schreiben. „Du bist zwölf! Kannst du immer noch nicht meine Unterschrift fälschen? Verschone mich in Zukunft mit derlei Kleinigkeiten.“

Als ehemaliger Widerstandskämpfer durfte Jiři  frühzeitig in Rente gehen. Fortan waren er und Mila frei. Die beiden pendelten zwischen Prag und Berlin, und auch als seine Frau gestorben war, zog er sich nicht zurück, sondern fuhr weiterhin gern zur Tochter nach Deutschland, im Mercedes, versteht sich.

Worüber er sich im Alter gelegentlich beschwerte: Dass sein Modem zu Hause zu langsam war. „Ich will endlich mal das schnelle Internet!“ Ansonsten zählte er zufrieden die wachsende Schar seiner Enkel und Urenkel. Sein Leben war abenteuerlich genug gewesen, er genoss die Tage in Frieden, und er hoffte inständig, dass es so bleiben würde, denn nichts fürchtete er mehr, als dass Russland einen neuen Krieg beginnen würde.

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