zum Hauptinhalt
Norbert Kleiner

© privat

Nachruf auf Norbert Kleiner: Ein Leben an zwei Orten

Mal war er hier, mal da. Aber wo er war, war Norbert ganz. Der Nachruf auf einen, der das Leben akribisch genoss.

Gerade nach Berlin gezogen, jung, auf der Suche, noch nicht wissend wonach, wollte er mit einem Freund in eine Kneipe. Ob sie Wein hätten, fragte Norbert. Aber natürlich. Sogar zwei! Einen weißen und einen roten. Norbert bestellte ein Bier.

Er kam in den 70er Jahren aus einer Weingegend, Weil am Rhein. Sein Leben lang sollte er einen guten Tropfen, gutes Essen genießen. Einmal war er mit einem Freund verabredet. Norbert packte die Nudelmaschine aus, legte die Teigstränge zum Trocknen über zwei Besenstiele, die er auf zwei Stuhlkanten platziert hatte. Erstaunt wurde er angeblickt. Sie wollten doch nur kochen. Anderthalb Stunden Vorbereitung für 15 Minuten Essen. Der Aufwand war es ihm wert. Immer.

Was er tat, tat Norbert mit Sorgfalt. Beim ZDF, wo er als Kameramann Dokumentarfilme drehte, spotteten sie manchmal über ihn und einen ebenso akribischen Kollegen: Jetzt machen die wieder Hollywood!

Dabei interessierte ihn nicht die Fiktion, sondern das Echte. Er drehte im Atommüllager Gorleben, auf türkischen Baumwollfeldern. Manche Themen hallten in seinem Kopf nach. Nachdem er einen Lehrfilm über ein Schlachthaus gedreht hatte, aß er kein Fleisch mehr. Für ein anderes Projekt sah Norbert bei Lungenoperationen zu; Zigaretten steckten in seiner Tasche. Mit dem Rauchen war es aber schwerer als mit dem Fleisch. Das gewöhnte er sich erst mit 40 ab.

Die Außentoilette schloss er nie ab. Für Obdachlose

Norbert beobachtete die Schattenseiten des Lebens, erzählte der Welt von Armut und Prostitution, Schulschwänzern und einem Siebenjährigen, den ein Brand zum Waisen machte. Weil Norbert war, wie er war, interessiert, einfühlsam, öffneten sich ihm selbst Menschen mit allergrößtem Schmerz. „Er hatte ein Herz für die Geschundenen und Beladenen“, so sagte es seine Lebensgefährtin Anke. Zu einer von Norberts früheren Wohnungen gehörte eine Außentoilette. Die schloss er nie ab, damit Obdachlose sie benutzen konnten.

Zwischendurch musste Norbert auch mal zum Arbeitsamt. Mal für zwei Wochen, mal länger. Doch so was stört keinen leichtlebigen Geist.

Irgendwann fingen freie Kameramänner an, sich beim ZDF einzuklagen, wenn sie mehr als die Hälfte ihrer Zeit für den Sender arbeiteten. Endlich eine feste Stelle, ein festes Gehalt! Norbert legte da keinen Wert drauf. Ihm wurde ein Angestelltenjob angeboten. „Danke, aber nein!“ Sollten die anderen nach Sicherheit streben, so wie sein Vater, der das Schuhgeschäft aufgeben musste und Polizeibeamter wurde. Norbert wählte die Freiheit. Wie sollte er auch sonst ständig in Italien sein?

Schon als Kind war Norbert jeden Sommer dort, Manciano, selber Ort, selber Strand. Er sprach fließend Italienisch, kaufte sich in den 90ern ein Grundstück in der Toskana, verkaufte es, als die damalige Liebe zerbrach, suchte später erneut, unterschrieb für seinen zweiten Hang 2014.

Kein Grund zur Sorge, bin bald wieder da

Olivenbäume pflanzen und Wein anbauen, das brachte er sich selbst bei. An Wochenenden nahm er an Workshops teil, bei denen stundenlang Öl probiert wurde. Seine Oliven verkaufte Norbert auf dem Markt in Weil zu den höchsten Preisen. Die Qualität seines Weins wurde irgendwann so gut, dass die italienischen Bauern um ihn herum neidvoll schwiegen.

Mal war er hier, mal da. Aber wo er war, war Norbert ganz. Er sah bei einem Treffen nie auf sein Handy, telefonierte nicht nebenbei. Er teilte gutes Essen genauso gern wie seine Gedanken. In Italien nannten sie Norbert irgendwann „Tedesco Napoletano“, der deutsche Neapolitaner. Er wurde einer von ihnen. Das gefiel Norbert. Er wollte nicht bloß ein Besucher sein, ein Sommergast.

Natürlich fehlte er viele Tage in Berlin, aber wie in den ganzen gemeinsamen 20 Jahren vermittelte er seiner Lebensgefährtin auch über die Distanz Stabilität. Kein Grund zur Sorge, bin bald wieder da.

[Die anderen Texte unserer Nachrufe-Rubrik lesen Sie hier]

Sein Leben an zwei Orten regelte er so: An den ersten zehn Tagen im Monat arbeiten, dann nach Italien. Dort die zweite Hälfte des Monats und die erste des nächsten verbringen. Zurück zum Sender. Auf den Autofahrten nahm Norbert immer mal Fremde mit. Er mochte Menschen, er baute schnell eine Beziehung zu anderen auf. Sogar Hunde grüßte er auf der Straße.

Sie erhielt den Anruf am 6. Juli. Niemand weiß, was geschah

Das Loslassen fiel ihm umso schwerer: Seine Autos fuhr er so lange, wie es klappernd möglich war. An Prestige lag ihm sowieso nichts. Eher an der Vergangenheit. Als seine Schwester bei einem Unfall starb, befasste er sich mit größter Akribie mit ihrem wichtigsten Nachlass. Unzählige Puppen hatte sie in zwei Wohnungen. Norbert wusste um den Wert für seine Schwester und gab sie nur an liebevolle Sammler weiter. Es dauerte Jahre.

Viele Kameramänner hören schon mit 62 auf, zu arbeiten, weil die Gelenke und der Rücken schmerzen. Norbert nicht. Er war fit, liebte, was er tat. Und so drehte er bis zu seinem Ruhestand, der am 29. Februar begann. Norbert fuhr zu seinem Weinhang. La dolce vita für immer. Anke sollte nachkommen.

Sie erhielt den Anruf am 6. Juli, zwei Wochen nach Norberts 66. Geburtstag. Niemand weiß, was plötzlich geschah. Vermutlich war es ein Herzinfarkt.

[Wir schreiben regelmäßig über nicht-prominente Berliner, die in jüngster Zeit verstorben sind. Wenn Sie vom Ableben eines Menschen erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben sollten, melden Sie sich bitte bei uns: nachrufe@tagesspiegel.de. Wie die Nachrufe entstehen, erfahren Sie hier.]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false