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Bobo Freitag in seiner Künstlerklause

© Peter Adamik

Nachruf auf Peter Bobo Freitag (Geb. 1945): Zum Wohl!

Er bezeichnete sich als Nürnbergs zweitgrößten Sohn nach Albrecht Dürer. Auf jeden Fall war er ein Künstler mit diversen Talenten, großem Durst und klarer Identität: ein West-Berliner. Der Nachruf auf eine untergegangene Welt

Von David Ensikat

Vor acht Jahren dachte sich Berlin eine Berlin-Kampagne aus. Der Slogan, der die Welt an der hauptstädtischen Selbstgenügsamkeit teilhaben ließ, lautete: „Be Berlin“. Ein „Icke“ hätte es vielleicht auch getan.

Nürnberg war nicht ganz so selbstbewusst. Nürnberg benötigte im selben Jahr für seine Kampagne einen Bezugspunkt. Berlin. Beziehungsweise den Berliner Eisbär Knut. Die Nürnberger, stolz auf ihre eigene junge Eisbärin namens „Flocke“, warben mit: „Knut war gestern“. Damit erzeugten sie nicht nur eine Missstimmung unter Knut-Freunden, sondern auch, ganz wie erhofft, die Aufmerksamkeit der Medien.

Und Nürnbergs zweitgrößter Sohn nach Albrecht Dürer, Peter Freitag, besser bekannt als Bobo Freitag, hatte ein Bildmotiv. Seit mehr als 40 Jahren lebte er in Berlin und war genervt von diesen hohlen Aufregungen. Da nun seine Geburtsstadt Nürnberg das neue Knut-Fieber ausgelöst hatte, widmete er sich Knut, malte den Eisbär als rotäugiges Monster, das – Rätsel für Kunsthistoriker – eine brennende Zitrone auf der Nase trägt, links daneben hässliche Berlin-Jubler und ein zerberstender Berliner Dom, rechts die schöne Gegenwelt: eine Dürer’sche Madonna, die einen Bacchus im Arm hält, welcher Bobos Antlitz trägt, außerdem, ganz in der Ecke, Bobos Mundpartie mit Zigarettenstummel. Dass die Raucherei ihn das Leben kosten würde, hätte er ahnen können, denn er hustete schon lange wie ein Zweitakter mit falschem Ölgemisch. Ob das Bilddetail jedoch als Memento Mori zu lesen ist oder als Genussparabel, bleibt ein Geheimnis, das Bobo in sein Nürnberger Rasengrab mitnehmen wird.

Das Bild jedenfalls, „Knut City“, hat ihm so viel bedeutet, dass er es in die Mitte seines Zimmers stellte, als er dort für einen Ausstellungskatalog fotografiert wurde. Er stellte es vor den Computermonitor – denn was suchte ein Computermonitor auf einem Boboporträt? Erstaunlich genug, dass er so etwas überhaupt besaß. Er war ein Handwerker, einer, der jeglichen Untergrund, Bierdeckel, Holzplatte, Serviette, virtuos bemalte, am virtuosesten mit Kugelschreiber, ein Meister der tausend Freihandstriche, dem die Idee, mithilfe einer Rechenmaschine Kunst zu erzeugen, ähnlich fremd war wie jene, gänzlich ohne Bier oder nur mit einem durch den Tag zu kommen.

Verantwortungslos frei

Auch wenn sein Leben in Nürnberg anfing und ebendort zu Ende ging, war Bobo Repräsentant einer durch und durch westberlinischen Spezies. Dazu gehörte seine Herkunft, Westdeutschland inklusive Wehrpflicht, woraus sich leicht das Jahr seiner Übersiedelung auf die Insel errechnen lässt: 1963, da war er 18 und tauglich für die Flucht vorm Bund.

Dann dieses verantwortungslos freie Leben, das der schuftende westdeutsche Wirtschaftswunderrest halb desinteressiert, halb abgestoßen zur Kenntnis nahm, stets in der Angst, dass die eigenen Söhne und Töchter dorthin fliehen und versinken könnten, so wie Bobo. Grundlage waren die satten Subventionen, die lächerlichen Mieten – und die fehlende Sperrstunde. Das Berliner Bier mochte im Vergleich zum fränkischen eine bittere Plörre sein, aber es floss rund um die Uhr und einiges davon in Bobos Kehle.

Sein prägendes Erlebnis auf dem Vorposten der freien Welt beschrieb er in einem Interview wie folgt: Als ich nach Berlin zog, wohnte ich in der Blücherstraße in Kreuzberg. Da hatte Kurt einen Trödelladen – gemeint ist Kurt Mühlenhaupt, der später als Maler bekannt werden sollte – so was gibt es in Nürnberg überhaupt nicht. Kurt gefiel mir sehr gut. Da fragte ich: „Alter, woll’n wir mal ein Bier trinken gehen?“ Sagt er: „Hast mich überredet.“ Hat den Laden zugemacht und dann sind wir in die Schultheiß-Klause und haben uns erst mal richtig einen eingeleuchtet. Mir hat Berlin gut gefallen. Zum Wohl!“

Erst Werber für HB und Varta, dann Bohèmien

Als Mann mit Trink- und Schwadroniertalent gelang es Bobo schnell, Anschluss an die Trink- und Schwadronierszene zu finden, der einige Künstler entwachsen sind und viele, die mit etwas mehr Trink- und Prinzipienfestigkeit welche hätten werden können.

Bei Bobo, der aus ordentlichen bürgerlichen Verhältnissen stammte, der Großvater Anstreicher und Hobbymaler, die Mutter in der Modebranche, der Stiefvater Anwalt, hat es schließlich auch ein wenig gedauert, bis er die Reste bürgerlicher Regelmäßigkeit hinter sich ließ. Er machte eine Grafikerausbildung, verfeinerte in der Werbebranche seine zeichnerischen Fähigkeiten und entdeckte das Talent zum gereimten Quatsch, warb für HB-Zigaretten und Varta-Batterien, war „Kreativdirektor“, und bemerkte, dass er die Hälfte seiner Zeit damit verbrachte, seinen Stuhl gegen andere zu verteidigen, die gern denselben Stuhl verteidigen wollten. Er hatte das doch gar nicht nötig, nicht in West-Berlin, nicht mit seinen Kontakten.

Bobo kündigte und verdiente fortan sein Geld als Illustrator und Kunstmaler – wobei die Kneipen eine wesentliche Rolle spielten. Bobos Kunstbetrieb versammelte sich nicht in Ausstellungen und Galerien, wo die Luft zu gut und die Musik zu leise war. Man saß und stand beim Bier, Bobo hatte seine Mappe dabei, die Bilder waren von überschaubarer Rätselhaftigkeit, und von einem Humor geprägt, den Experten der Hochkultur auf keinen Fall akzeptierten, der sich dafür umso besser in die Tresenkultur einfügte. Da daran nicht nur arme Künstler teilhatten, sondern auch kaufkräftiges Bürgertum – West-Berlin-Zulage! – konnte Bobo sich ohne Weiteres sein bescheidenes Leben in der Zweizimmer-Hinterhofwohnung zuzüglich der ein oder anderen Ausschweifung leisten.

Kneipennächte ohne Ende

Wirte hängten seine Bilder bei sich auf, und nur die gierigsten nahmen für den Verkauf eine Provision. Bobo war schließlich auch ein Meister der Speisekartengestaltung. Da er gern gut aß, gehörten zu seinen Kunden neben den Schultheiß-Klausen auch die besseren Italiener. Der bekannteste von ihnen, Massimo Mannozzi vom „Bacco“ in der Marburger Straße, wo noch immer ein paar Bobo-Bilder hängen, wurde einer seiner engsten Freunde. Er soll es auch gewesen sein, der ihn als Erster Bobo nannte. So erzählte Bobo das im Interview – und dann sagte einer, im Französischen ist das die Abkürzung für bourgeoiser Bohémien. Na bitte. Einem Freund hat er gesagt, dass schon seine Mutter ihn Bobo genannt habe. Aber so ist das bei guten Geschichtenerzählern. Die müssen flexibel sein, sonst wird’s langweilig.

Weil er diese Gabe hatte und mit seinen Bildermappen was hermachte, waren die Frauen ganz vernarrt in ihn. Am Äußerlichen kann das weniger gelegen haben, das war geprägt von Kinnbart und Genießerbauch. Ein Freund aus alten Zeiten, auch ein Wirt, erzählt von Bobos Anziehungskraft und von seinem mangelnden Talent, aus dem großen Angebot die Richtige zu wählen. Am längsten war er mit Gitti zusammen, was ihm schlecht und Gitti noch viel schlechter tat. Sie hat sich totgesoffen.

Überhaupt, die Sauferei. Der Freund erzählt von den Kneipennächten, die kein Ende fanden, und eigentlich erzählt er gar nicht viel, sondern beteuert immer wieder: „Dit kann sich ja heute gar keiner mehr vorstellen.“

100 Bierdeckel auf einen Ruck

Da hat er recht. In der „Aue“, Bobos Wilmersdorfer Stammlokal, darf zwar immer noch geraucht werden, und es finden sich ein paar Bilder und Wandmalereien von ihm. Aber die Zeiten, in denen hier 200 Menschen gegen die Jazz-Musik anbrüllten und es für unmöglich hielten, dass es östlich von Wilmersdorf ein gesellschaftliches Leben geben konnte, sind lang her. Bobo hat seit den Siebzigern im „Aue“-Haus, Berliner Straße 48, gewohnt. Hier hat er in einer wilden Nacht mit seiner Trompete in den Hinterhof getrötet und gerufen, dass heute Trödel-Elke bei ihm pennt, die Trödel-Elke, die sonntags im Nonnenkostüm mit nichts drunter in die „Aue“ kam. Hier hat er seine Acrylbilder gemalt, Öl ging nicht, weil das noch mehr stank als all die Zigaretten, hier hat er die Bierdeckel bemalt, 100 Stück auf einen Ruck. Wenn einer Geld gibt, mache ich es halt.

Und hier überlegen jetzt die Überlebenden, was sie mit dem ganzen Zeug machen sollen, den hunderten Bildern an den Wänden, den Skulpturen aus Gänseknochen. Das ist doch Geschichte und Kunst sowieso, das darf doch nicht weg.

Nicht so wie Bobo. Der war wieder auf Besuch in Nürnberg bei seiner Mutter, die fast hundert ist, kam da ins Krankenhaus, die Lunge, und ist dort gestorben. Jetzt kommt er in Nürnberg unter die Erde, und hier, in Berlin, erinnert sich kaum jemand noch an West-Berlin, geschweige denn an all die West-Berliner Helden.

Und Bobos Wunsch bleibt unerfüllt: Wenn ich sterbe, lasse ich mich verbrennen, und dann lasse ich meine Asche in eine Eieruhr füllen. Damit ich auch nach meinem Tod noch etwas mache. David Ensikat

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