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Regine Röder-Ensikat

© Robert Recker

Nachruf auf Regine Röder-Ensikat (*1942): Morbide war nur die Kehrseite der unstillbaren Lust am Leben

Nur nackte kleine Weiber? Ach was, sie malte so viel mehr. Und sie trat dem "Club der mörderischen Schwestern" bei. Denn merke: Männer sind die geborenen Opfer

Wer dem Club der „Mörderischen Schwestern“ beitritt, tut das im Bewusstsein, „dass die kriminelle Energie zumeist von Frauen ausgeht, Männer sind geborene Opfer.“ Was sich natürlich nur auf die literarische Ausübung krimineller Fantasien bezieht, so zumindest die Hoffnung der Angehörigen. Insbesondere die Ehemänner sind instinktiv geneigt, das Mörderische an dieser Selbsthilfegruppe der etwas anderen Art zu betonen, wohingegen den Mitgliedern des eingetragenen Vereins die Solidarität der schreibenden Kriminalistinnen wichtig ist, die weit über den Austausch der wirkungsvollsten Giftrezepte hinausreicht. Regine Röder, Urheberin des obigen Zitats, war eine der Gründungsschwestern und regsten Teilnehmerinnen, was ihrer Herkunft und ihrem Äußeren nach überhaupt nicht zu vermuten stand.

Eine schlanke und zierliche Person, schon in der Jugend sehr hübsch anzuschauen und immer tipptopp geschminkt mit einem dezenten Hang zum Glitzer. Sie war das Nesthäkchen, daheim in Aschersleben, drei größere Schwestern, eine resolute Mutter und ein stets duldsamer Vater. Sie hat gern getanzt, noch viel lieber gemalt und ihr Glück immer dort gefunden, wo sie es gesucht hat, Lotterien ausgenommen.

Nach Abschluss der Kosmetiklehre wandte sie sich, ästhetisch durchaus folgerichtig, dem Fach der Angewandten Kunst zu, welches sie auch studierte, obwohl sie das Schöne ohnehin allerorten fand, bevorzugt auf Flohmärkten, in Blumenbeeten, in Gestalt von Frauenleibern und Katzenköpfen. Auf der Fachhochschule traf sie auch ihren späteren Mann, den sie lebenslang und ohne größere Unterbrechungen liebte, obwohl auch er Künstler war, noch dazu einer, der sich recht viel Ruhm verdiente. Ein Miteinander, das nie ein Wettstreit war. Was auch daran liegen mochte, dass sie in der DDR als Kinderbuchillustratorin gut zu tun hatte – nach der Wende wurde das schwieriger. Auch mit dem Verkauf der Bilder. Als ihr Gatte befragt wurde, was seine Gattin so malt, antwortete er: „Kleine nackte Weiber“. Aber sie malte viel mehr, Katzen und Blumen und alles, was ihr sonst noch am Herzen lag, was nicht wenig war, weil sie viel sammelte. Ihre Bilder wurden gern angeschaut, aber selten gekauft. Das hat sie betrübt, aber nicht gelähmt.

Das muss in Mord und Totschlag enden

Sie hatte ja noch „LesArt“ mitgegründet, das Kinderliteraturhaus in Mitte, wo Jungen und Mädchen lernten, dass Lesen mehr ist als Buchstabieren, nämlich ein großes Abenteuer, wenn alle zusammen helfen, die Figuren aus den Büchern zu befreien. Mit Masken spielen, mit Gespenstern die Nächte durchwachen, Märchen zum Leben erwecken. Mit den „Distelchen“, einer Schülerkabarettgruppe, die sie 15 Jahre leitete, ging sie ähnlich energisch an die Ermunterung der kabarettistischen Talente. Für die nähere Zukunft schwebte ihr eine „Kabarett-Gruppe 50 + “ vor, in der alles, was so im Alter komisch aufstößt, auf die Bühne gebracht werden sollte. Und anschließend gleich in einen Krimi, lokalisiert und persifliert in einer Rentner-Wohngemeinschaft. Aus ihren Erfahrungen mit den Ferienwohngemeinschaften, die sie auf den jährlich stattfindenden Urlaubsfahrten mit ihren ehemaligen Klassenkameraden einging, wusste sie: Auf Dauer kann so etwas nicht funktionieren, sondern muss in Mord und Totschlag enden.

Bei ihr persönlich funktionierte das Altern bestens, sie besuchte regelmäßig ihre Sehnsuchtsorte in Mecklenburg und im Harz und natürlich Wien, das sie ein wenig an das Berlin von früher erinnerte. Dort ging sie gern ins Theater, weniger gern ins Caféhaus, weil da, entgegen allen Behauptungen der Bohème, Schreiben gar nicht möglich war, viel zu laut, viel zu unruhig. Ansonsten hielt sie sich überall dort gern auf, wo sie ihre schlanken Zigaretten zücken konnte, was sie gesundheitlich erstaunlich gut vertrug: Sie hat geraucht, der Mann hat gehustet. Sport war verpönt. Wenn sie Inspiration im Freien suchte, spazierte sie gern über Friedhöfe, der Namen und der Sprüche wegen: „Entschuldigen Sie, dass ich liegen bleibe.“

Im Jahr 2000 erschien ihr erster Kriminalroman „Vor Witwen wird gewarnt“, aber eigentlich schrieb sie lieber kurze Geschichten als lange. „Was bewegt jemanden, der etwas Kriminelles plant?“, die Frage stellte sie sich gern und nicht selten in Kombination mit kulinarischen und pharmazeutischen Fantasien. Sie kannte sich aus mit allerlei Ingredienzen, was ihre Kochkunst weder suspekt noch ungenießbar machte. Braten und Saucen gelangen ihr auf verdächtig vorzügliche Weise.

Das Morbide war bei ihr nicht Trauma, sondern nur die Kehrseite einer unstillbaren Lust am Leben, was sie gern hinter handfesten Scherzen verbarg. Krimiautorinnen verfügen zuweilen über einen sehr schrägen Humor; das zeigt sich nicht zuletzt in den Titeln. „Tödliche Heilung oder praktisch denken, Särge schenken“.

So mörderisch ihre Fantasie sich zwischen den Buchdeckeln austobte, so höflich und herzig war ihr Umgang mit den Lebenden, insbesondere ihrem Enkel. Leider hatte sie es selbst ein wenig zu eilig mit dem Sterben, wie ihr Mann nicht ohne Vorwurf anmerkt, denn dem Alter nach hätte er vorausgehen müssen: „Es können sich eben einige nicht anstellen.“ Was auch insofern schade war, als der ersehnte Lottogewinn in Form einer Reise nach Zypern nach ihrem Tod doch endlich noch im Briefkasten lag, also: „Ran an’n Sarg und mitjeweent!“

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